Die Bundeswehr: Heilsarmee oder Kampftruppe?
Im Januar 1995 wurde ein holländisches Bataillon nach Srebenica geschickt, um im Auftrag der UNO die dort lebenden Muslime vor den Milizen des Generals Mladic zu schützen. Im Juli des Jahres stürmten die Serben die Schutzzone, ließen Frauen und Kinder ziehen und ermordeten unter den Augen der holländischen Soldaten 7000 männliche Zivilisten, die anschließend in Massengräbern verscharrt wurden.
Das größte Massaker in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg löste in den Niederlanden eine Debatte aus, in deren Verlauf der an der Erasmus-Universität lehrende und mit der psychologischen Beratung der heimgekehrten Dutchbatter betraute Hans Binneveld, die Gründe für das jämmerliche Scheitern dieser militärischen Operation nannte:
"Eine Gesellschaft wie die unsere kann keine guten Soldaten hervorbringen. Wir sind kein kriegerisches Volk, das Kämpfen ist nicht Teil unserer bürgerlichen Kultur- das gilt übrigens auch für Nachkriegsdeutschland. Srebrenica zeigt, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Wir halten uns da raus und spielen keine Rolle. Oder wir nehmen Abschied von unserer antimilitärischen Kultur."
Dass der ebenso nüchterne wie anspielungsreiche Befund des niederländischen Wissenschaftlers in Deutschland bislang geflissentlich überhört werden konnte, lässt unterschiedliche Schlussfolgerungen zu. Entweder wird man von Glück sagen können, dass es der Bundeswehr bislang erspart blieb, ihre Kampfbereitschaft unter Beweis stellen zu müssen, oder man wird vermuten dürfen, dass dem Glück ein wenig nachgeholfen wurde, indem die Auslandseinsätze in ihrer Zielsetzung eine militärische Konfrontation ausschließen. Für diese Mutmaßung spricht die erstaunliche Tatsache, dass sich die in den Krisengebieten dieser Welt agierenden Kontrahenten um die Anwesenheit der Bundeswehr zu reißen scheinen, und die deutsche Regierung wird nicht müde, diesen Enthusiasmus auf den Respekt und das Ansehen zurückzuführen, das unsere demokratisch legitimierte Armee in der Welt genießt.
Diese von verhaltenem Stolz und anrührendem Optimismus beflügelte Einschätzung wird durch eine Werbeschrift der Bundeswehr konterkariert, die noch in der Ära des sozialdemokratischen Verteidigungsministers Peter Struck entstand und kurz nach ihrem Erscheinen zurückgezogen und eingestampft wurde. Im zentralen Passus empfiehlt sich die Bundeswehr der Öffentlichkeit mit dem Hinweis, dass nunmehr "niemand in der Welt vor deutschen Soldaten Angst haben muss." Es ist billig, diese grandiose Fehlleistung mit Hohn und Spott zu überziehen, sie enthüllt das betrübliche Dilemma einer Gesellschaft, die das Kind mit dem Bade, respektive die soldatischen Tugenden mit der Wehrmachtsausstellung ausgeschüttet hat und ihre "Staatsbürger in Uniform" einerseits mit einem robustem Mandat in die diversen Kampfzonen schickt, aber andererseits unterstreicht, dass bei der Durchsetzung dieses Mandats keiner der Beteiligten um Leib und Leben fürchten muss. Der jetzige Verteidigungsminister Jung scheint etwas von der verantwortungslosen Verrücktheit dieses Auftrags zu ahnen, wenn er anlässlich des Militärhistorikerkongresses in Potsdam bemerkt, "dass der moderne Soldat trotz seiner Funktionen als Helfer, Vermittler und Retter im Kern immer noch Kämpfer sei."
Es wäre bösartig, die humanitären Leistungen der Bundeswehr in Abrede zu stellen. Deutschland hatte nach dem Zweiten Weltkrieg unter anderem den Tod von 5,5 Millionen Soldaten zu beklagen und hätte guten Grund gehabt, sich fortan einen bedingungslosen Pazifismus aufzuerlegen. Die Westbindung der Bundesrepublik hat diese Option wenig realistisch erscheinen lassen und unter dem atomaren Schutzschild der Amerikaner führte die Bundeswehr bis zur Selbstauflösung des Warschauer Pakts eine relativ sorglose, weil abhängige Existenz. In unserer durch einen nunmehr sechzigjährigen Frieden verwöhnten Gesellschaft scheint es obsolet wenn nicht gar anrüchig, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob es sich lohnt für irgendetwas zu kämpfen, geschweige denn zu sterben. Dass die in Kinshasa, Kundus und vor dem Libanon stationierten Söhne und Töchter unseres Landes mit dieser Frage allein gelassen werden, ist ein Skandal, der von der Politik in bewährter Weise unter den semantischen Schaumteppich gekehrt wird, und erst wenn die Zinksärge mit den sterblichen Überresten dieser freundlichen, weltoffenen und dialogfähigen jungen Menschen auf dem Flughafen Köln-Wahn eintreffen, wird man sich an eine historische Lektion erinnern, die die Israelis auf leidvolle Weise gelernt haben. Soldaten müssen - so bitter es ist - im Zweifelsfall ein Handwerk beherrschen. Es ist das Handwerk des Tötens.
Günter Franzen, Jahrgang 1947, lebt als freier Schriftsteller und Gruppenanalytiker in Frankfurt/Main. Buchveröffentlichungen u.a.: "Der Mann, der auf Frauen flog", Hamburg 1988. "Komm zurück, Schimmi!", Hamburg 1992. "Ein Fenster zur Welt. Über Folter, Trauma und Gewalt", Frankfurt/Main 2000.
"Eine Gesellschaft wie die unsere kann keine guten Soldaten hervorbringen. Wir sind kein kriegerisches Volk, das Kämpfen ist nicht Teil unserer bürgerlichen Kultur- das gilt übrigens auch für Nachkriegsdeutschland. Srebrenica zeigt, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Wir halten uns da raus und spielen keine Rolle. Oder wir nehmen Abschied von unserer antimilitärischen Kultur."
Dass der ebenso nüchterne wie anspielungsreiche Befund des niederländischen Wissenschaftlers in Deutschland bislang geflissentlich überhört werden konnte, lässt unterschiedliche Schlussfolgerungen zu. Entweder wird man von Glück sagen können, dass es der Bundeswehr bislang erspart blieb, ihre Kampfbereitschaft unter Beweis stellen zu müssen, oder man wird vermuten dürfen, dass dem Glück ein wenig nachgeholfen wurde, indem die Auslandseinsätze in ihrer Zielsetzung eine militärische Konfrontation ausschließen. Für diese Mutmaßung spricht die erstaunliche Tatsache, dass sich die in den Krisengebieten dieser Welt agierenden Kontrahenten um die Anwesenheit der Bundeswehr zu reißen scheinen, und die deutsche Regierung wird nicht müde, diesen Enthusiasmus auf den Respekt und das Ansehen zurückzuführen, das unsere demokratisch legitimierte Armee in der Welt genießt.
Diese von verhaltenem Stolz und anrührendem Optimismus beflügelte Einschätzung wird durch eine Werbeschrift der Bundeswehr konterkariert, die noch in der Ära des sozialdemokratischen Verteidigungsministers Peter Struck entstand und kurz nach ihrem Erscheinen zurückgezogen und eingestampft wurde. Im zentralen Passus empfiehlt sich die Bundeswehr der Öffentlichkeit mit dem Hinweis, dass nunmehr "niemand in der Welt vor deutschen Soldaten Angst haben muss." Es ist billig, diese grandiose Fehlleistung mit Hohn und Spott zu überziehen, sie enthüllt das betrübliche Dilemma einer Gesellschaft, die das Kind mit dem Bade, respektive die soldatischen Tugenden mit der Wehrmachtsausstellung ausgeschüttet hat und ihre "Staatsbürger in Uniform" einerseits mit einem robustem Mandat in die diversen Kampfzonen schickt, aber andererseits unterstreicht, dass bei der Durchsetzung dieses Mandats keiner der Beteiligten um Leib und Leben fürchten muss. Der jetzige Verteidigungsminister Jung scheint etwas von der verantwortungslosen Verrücktheit dieses Auftrags zu ahnen, wenn er anlässlich des Militärhistorikerkongresses in Potsdam bemerkt, "dass der moderne Soldat trotz seiner Funktionen als Helfer, Vermittler und Retter im Kern immer noch Kämpfer sei."
Es wäre bösartig, die humanitären Leistungen der Bundeswehr in Abrede zu stellen. Deutschland hatte nach dem Zweiten Weltkrieg unter anderem den Tod von 5,5 Millionen Soldaten zu beklagen und hätte guten Grund gehabt, sich fortan einen bedingungslosen Pazifismus aufzuerlegen. Die Westbindung der Bundesrepublik hat diese Option wenig realistisch erscheinen lassen und unter dem atomaren Schutzschild der Amerikaner führte die Bundeswehr bis zur Selbstauflösung des Warschauer Pakts eine relativ sorglose, weil abhängige Existenz. In unserer durch einen nunmehr sechzigjährigen Frieden verwöhnten Gesellschaft scheint es obsolet wenn nicht gar anrüchig, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob es sich lohnt für irgendetwas zu kämpfen, geschweige denn zu sterben. Dass die in Kinshasa, Kundus und vor dem Libanon stationierten Söhne und Töchter unseres Landes mit dieser Frage allein gelassen werden, ist ein Skandal, der von der Politik in bewährter Weise unter den semantischen Schaumteppich gekehrt wird, und erst wenn die Zinksärge mit den sterblichen Überresten dieser freundlichen, weltoffenen und dialogfähigen jungen Menschen auf dem Flughafen Köln-Wahn eintreffen, wird man sich an eine historische Lektion erinnern, die die Israelis auf leidvolle Weise gelernt haben. Soldaten müssen - so bitter es ist - im Zweifelsfall ein Handwerk beherrschen. Es ist das Handwerk des Tötens.
Günter Franzen, Jahrgang 1947, lebt als freier Schriftsteller und Gruppenanalytiker in Frankfurt/Main. Buchveröffentlichungen u.a.: "Der Mann, der auf Frauen flog", Hamburg 1988. "Komm zurück, Schimmi!", Hamburg 1992. "Ein Fenster zur Welt. Über Folter, Trauma und Gewalt", Frankfurt/Main 2000.