Die Bühne als Reader's Digest
Seit einigen Jahren sind Bühnenkurzfassungen populärer und manchmal auch entlegener Bücher wichtige Bestandteile der Spielpläne. Die Ergebnisse sind jedoch durchaus zwiespältig. Einige, wie John von Düffels Buddenbrooks-Adaption, schaffen aus der Vorlage eine überzeugende Neuschöpfung. Andere beschränken sich auf eine Zitatesammlung oder braves Nacherzählen. Das Eindampfen im "Reader's Digest"-Stil ist der Alltag im Theater.
Vier Bestseller in einem Buch, das ist seit 1955 das Erfolgskonzept der "Reader's Digest Auswahlbücher". Das englische Verb "to digest" lässt sich übersetzen mit "zusammenfassen" aber auch mit "verdauen". Beides trifft hier zu, die Romane werden durch Kürzungen leichter verdaulich.
Diese Sammelbände haben nun durch die deutschsprachigen Theater Konkurrenz bekommen. Seit einigen Jahren sind Bühnenkurzfassungen populärer und manchmal auch entlegener Bücher wichtige Bestandteile der Spielpläne. Die Adaptionen sind ein Erfolgskonzept.
John von Düffels Fassung der "Buddenbrooks" ist in dieser Saison einer der meistgespielten Texte und überall gut besucht. "Effi Briest" von Theodor Fontane - nebenbei auch gerade mal wieder fürs Kino bearbeitet - ist nicht nur in Essen ein Renner. Die Bude ist voll mit Jugendlichen, die sich - die Unterstellung sei gewagt - mit dem Theaterbesuch eine lästige Leseverpflichtung ersparen. Die Inszenierung der jungen Regisseurin Cilli Drexel glättet den Text aus dem 19. Jahrhundert, erzählt die Geschichte locker und flüssig, stellt den langweiligen Ehemann der lebenstollen Effi nicht als Karikatur dar, sondern als nachvollziehbaren Charakter. Nichts fehlt, was für den Deutschunterricht wichtig sein könnte, es ist eine handwerklich absolut souveräne Aufführung. Aber es bleibt ein Beigeschmack. Theater scheint sich hier auch als Dienstleistung zu verstehen, als Diener der Verdaulichkeit.
Gute Literaturadaptionen sind ebenso wie Buchverfilmungen überzeugende Interpretationen. Aus der Bearbeitung eines großen Werkes entsteht ein neues, geprägt von der kreativen Kraft des Neuschöpfers. Schnell dahin arrangierte Fassungen erfüllen zwar meist kurzfristig ihren Zweck. Aber sie führen meist entweder zu einem braven Nacherzählen - zum Beispiel der "Effi Briest" in Essen - oder zu einem etwas beliebigen Herumspielen mit Motiven des Romans.
Das geschieht in Frankfurt, wo Sebastian Baumgarten Albert Camus' Existentialismusdrama "Der Fremde" inszeniert hat. Da flimmert erstmal eine Lesung über Bildschirme mit Texten des Kolonialismuskritikers Frantz Fanon, danach probieren gute Schauspieler Haltungen und Spielmöglichkeiten aus, ohne dass sich eine konsequente Deutung ergäbe.
Die liefert dagegen John von Düffel in seinen nicht zu Unrecht so erfolgreichen "Buddenbrooks". Er reduziert die gewaltige Familiensaga auf die Kerngeschichte um die drei Geschwister Toni, Thomas und Christian samt Eltern und stellt mit ebenso unaufdringlichem wie präzisem Blick auf die Gegenwart die Frage nach dem ökonomischen Wert eines Menschen. Außerdem schafft es Düffel, den komplexen Stil Thomas Manns, die genau komponierte Weitschweifigkeit und die hintergründige Ironie auf die Bühne zu übertragen.
Eine vergleichbare Meisterleistung gelingt Düffel mit seinem neuesten Mann-Projekt "Joseph und seine Brüder", das gerade in Düsseldorf Uraufführung hatte. Er wird der monumentalen Romantetralogie wahrhaftig gerecht. Dafür dauert die Adaption mit sechs Stunden (Pausen inklusive) doppelt so lange wie die "Buddenbrooks" und wird wohl allein wegen ihres Volumens keine vergleichbare Verbreitung erfahren.
Eben das zeichnet Düffel aus, er verbiegt die Vorlage nicht aus Gründen der Praktikabilität. Außerdem besitzt er einen Blick für das Wesentliche, was Inhalt und Ästhetik angeht, und scheint mit dem Autor der Originalvorlage zu verschmelzen, bis eine Neuschöpfung entsteht.
Ähnliches gelingt manchmal Armin Petras, der sich - zum Beispiel mit Tolstois "Anna Karenina" - auch an die ganz großen Stoffe traut. Wobei in seinen Bearbeitungen der Drang zum Theater direkter ist, die Inszenierung oft mitgedacht scheint, weshalb er weniger mit literarischen Widerständen ringt, die bei Düffel produktiv wirken und Oberflächlichkeit vermeiden.
Das Theater hat sich inzwischen ein reichhaltiges Instrumentarium zurecht gelegt, um mit epischen Stoffen umzugehen. Dialoge und psychologisch nachvollziehbare Charaktere sind in der Postdramatik schön, aber nicht unbedingt nötig. Videoeinspielungen, assoziative Bilder, stark präsente Musik - all das ist kein Sonderfall mehr, sondern ein Normalzustand, zumindest an den anspruchsvolleren Bühnen. Alles scheint sich in so ein Gesamtkunstwerk überführen zu lassen, der dickste Wälzer, der komplexeste Film, auch das einfache Genreprodukt, das sich leicht aufladen und überhöhen lässt.
Mit all diesen Mitteln gehen viele Regisseure inzwischen so souverän um, dass sich fast schon wieder Langeweile einschleichen kann. Die Herausforderung an eine gelungene Adaption jedoch ist geblieben. Es gilt, den Geist eines Werkes zu erfassen und ihn mit neuen Ideen zu konfrontieren. Durch die respektvolle Begegnung zweier Künstlerpersönlichkeiten können Aufführungen und Texte entstehen, die dann wieder aus sich selbst heraus Bestand haben.
Solche Begegnungen sind eher selten, das Eindampfen im "Reader's Digest"-Stil ist der Alltag im Theater. Oder das beliebige Herzeigen einzelner Elemente, was oft zum Vorwurf des Etikettenschwindels führt. Viele Bühnen schielen nach bekannten Titeln, um die Häuser zu füllen.
Die Sehnsucht nach großen Geschichten spielt ebenfalls eine Rolle, wobei sie zur Frage führt, wieso sich heute kaum ein Dramatiker so etwas zu erzählen traut. Es ist kein gutes Zeichen, wenn sich das Theater - neben einigen Klassikern - am liebsten mit Romanen und Filmen beschäftigt, um eine bestimmte inhaltliche wie formale Fallhöhe zu erreichen. Es wäre sinnvoll, Dramatiker zu ermutigen, neue Originalstoffe für die Bühne zu entwickeln und spannende Geschichten nicht Film und Fernsehen zu überlassen.
Die Adaptionsflut ist auch ein Zeichen, dass außerhalb der reizvollen Talentprobe und des viel versprechenden Kammerspiels dramatische Würfe fehlen. Denn wenn der letzte Tolstoi, Dostojewski oder Thomas Mann dramatisiert ist, wird man merken, dass große Erzähler nicht auf Bäumen wachsen.
Diese Sammelbände haben nun durch die deutschsprachigen Theater Konkurrenz bekommen. Seit einigen Jahren sind Bühnenkurzfassungen populärer und manchmal auch entlegener Bücher wichtige Bestandteile der Spielpläne. Die Adaptionen sind ein Erfolgskonzept.
John von Düffels Fassung der "Buddenbrooks" ist in dieser Saison einer der meistgespielten Texte und überall gut besucht. "Effi Briest" von Theodor Fontane - nebenbei auch gerade mal wieder fürs Kino bearbeitet - ist nicht nur in Essen ein Renner. Die Bude ist voll mit Jugendlichen, die sich - die Unterstellung sei gewagt - mit dem Theaterbesuch eine lästige Leseverpflichtung ersparen. Die Inszenierung der jungen Regisseurin Cilli Drexel glättet den Text aus dem 19. Jahrhundert, erzählt die Geschichte locker und flüssig, stellt den langweiligen Ehemann der lebenstollen Effi nicht als Karikatur dar, sondern als nachvollziehbaren Charakter. Nichts fehlt, was für den Deutschunterricht wichtig sein könnte, es ist eine handwerklich absolut souveräne Aufführung. Aber es bleibt ein Beigeschmack. Theater scheint sich hier auch als Dienstleistung zu verstehen, als Diener der Verdaulichkeit.
Gute Literaturadaptionen sind ebenso wie Buchverfilmungen überzeugende Interpretationen. Aus der Bearbeitung eines großen Werkes entsteht ein neues, geprägt von der kreativen Kraft des Neuschöpfers. Schnell dahin arrangierte Fassungen erfüllen zwar meist kurzfristig ihren Zweck. Aber sie führen meist entweder zu einem braven Nacherzählen - zum Beispiel der "Effi Briest" in Essen - oder zu einem etwas beliebigen Herumspielen mit Motiven des Romans.
Das geschieht in Frankfurt, wo Sebastian Baumgarten Albert Camus' Existentialismusdrama "Der Fremde" inszeniert hat. Da flimmert erstmal eine Lesung über Bildschirme mit Texten des Kolonialismuskritikers Frantz Fanon, danach probieren gute Schauspieler Haltungen und Spielmöglichkeiten aus, ohne dass sich eine konsequente Deutung ergäbe.
Die liefert dagegen John von Düffel in seinen nicht zu Unrecht so erfolgreichen "Buddenbrooks". Er reduziert die gewaltige Familiensaga auf die Kerngeschichte um die drei Geschwister Toni, Thomas und Christian samt Eltern und stellt mit ebenso unaufdringlichem wie präzisem Blick auf die Gegenwart die Frage nach dem ökonomischen Wert eines Menschen. Außerdem schafft es Düffel, den komplexen Stil Thomas Manns, die genau komponierte Weitschweifigkeit und die hintergründige Ironie auf die Bühne zu übertragen.
Eine vergleichbare Meisterleistung gelingt Düffel mit seinem neuesten Mann-Projekt "Joseph und seine Brüder", das gerade in Düsseldorf Uraufführung hatte. Er wird der monumentalen Romantetralogie wahrhaftig gerecht. Dafür dauert die Adaption mit sechs Stunden (Pausen inklusive) doppelt so lange wie die "Buddenbrooks" und wird wohl allein wegen ihres Volumens keine vergleichbare Verbreitung erfahren.
Eben das zeichnet Düffel aus, er verbiegt die Vorlage nicht aus Gründen der Praktikabilität. Außerdem besitzt er einen Blick für das Wesentliche, was Inhalt und Ästhetik angeht, und scheint mit dem Autor der Originalvorlage zu verschmelzen, bis eine Neuschöpfung entsteht.
Ähnliches gelingt manchmal Armin Petras, der sich - zum Beispiel mit Tolstois "Anna Karenina" - auch an die ganz großen Stoffe traut. Wobei in seinen Bearbeitungen der Drang zum Theater direkter ist, die Inszenierung oft mitgedacht scheint, weshalb er weniger mit literarischen Widerständen ringt, die bei Düffel produktiv wirken und Oberflächlichkeit vermeiden.
Das Theater hat sich inzwischen ein reichhaltiges Instrumentarium zurecht gelegt, um mit epischen Stoffen umzugehen. Dialoge und psychologisch nachvollziehbare Charaktere sind in der Postdramatik schön, aber nicht unbedingt nötig. Videoeinspielungen, assoziative Bilder, stark präsente Musik - all das ist kein Sonderfall mehr, sondern ein Normalzustand, zumindest an den anspruchsvolleren Bühnen. Alles scheint sich in so ein Gesamtkunstwerk überführen zu lassen, der dickste Wälzer, der komplexeste Film, auch das einfache Genreprodukt, das sich leicht aufladen und überhöhen lässt.
Mit all diesen Mitteln gehen viele Regisseure inzwischen so souverän um, dass sich fast schon wieder Langeweile einschleichen kann. Die Herausforderung an eine gelungene Adaption jedoch ist geblieben. Es gilt, den Geist eines Werkes zu erfassen und ihn mit neuen Ideen zu konfrontieren. Durch die respektvolle Begegnung zweier Künstlerpersönlichkeiten können Aufführungen und Texte entstehen, die dann wieder aus sich selbst heraus Bestand haben.
Solche Begegnungen sind eher selten, das Eindampfen im "Reader's Digest"-Stil ist der Alltag im Theater. Oder das beliebige Herzeigen einzelner Elemente, was oft zum Vorwurf des Etikettenschwindels führt. Viele Bühnen schielen nach bekannten Titeln, um die Häuser zu füllen.
Die Sehnsucht nach großen Geschichten spielt ebenfalls eine Rolle, wobei sie zur Frage führt, wieso sich heute kaum ein Dramatiker so etwas zu erzählen traut. Es ist kein gutes Zeichen, wenn sich das Theater - neben einigen Klassikern - am liebsten mit Romanen und Filmen beschäftigt, um eine bestimmte inhaltliche wie formale Fallhöhe zu erreichen. Es wäre sinnvoll, Dramatiker zu ermutigen, neue Originalstoffe für die Bühne zu entwickeln und spannende Geschichten nicht Film und Fernsehen zu überlassen.
Die Adaptionsflut ist auch ein Zeichen, dass außerhalb der reizvollen Talentprobe und des viel versprechenden Kammerspiels dramatische Würfe fehlen. Denn wenn der letzte Tolstoi, Dostojewski oder Thomas Mann dramatisiert ist, wird man merken, dass große Erzähler nicht auf Bäumen wachsen.