Die Bringschuld der Einbürgerungswilligen
Seitdem die Spannung zwischen Einheimischen und Zugewanderten in vielen Ländern der Welt zunimmt, ist das Bekenntnis zur Integration in Mode gekommen. Leider ist Mode etwas Aufgesetztes, die schöne Außenhaut, die Unterscheide nur verdeckt, nicht ausgleicht.
Die Integrationsfanfaren klingen so ähnlich wie die Solidaritätsappelle, mit denen die Menschen ja auch nicht zusammengeführt, sondern gegeneinander aufgebracht werden sollen. Man solidarisiert und integriert sich nicht nur mit jemandem, sondern auch gegen jemanden. Gemeinsam sind wir stark! rufen die Integrationisten. Stark gegen wen?
Stark gegen den politischen Gegner. Nach dem baden-württembergischen ist nun der hessische Fragebogen für Einbürgerungswillige zum Streitgegenstand der in Berlin gemeinsam regierenden Parteien geworden. Mit 100 verschiedenen Fragen soll überprüft und festgestellt werden, was Neubürger über die Geschichte, die Verfassung, die Kultur des Landes wissen, in dem sie heimisch werden wollen. Kaum war die Liste fertig, wurde von einem Test gesprochen, der die Integration nicht erleichtere, sondern erschwere, da von den Einwanderern Dinge erwartet würden, von denen die meisten Altbürger auch keine Ahnung hätten.
Das mag so sein, spräche dann aber eher gegen die Altbürger als gegen den Fragebogen, der sich ja nur als Handreichung versteht, die beiden Seiten Freiheit lässt. Er ist kein Test, der mehr oder weniger vollständig beantwortet werden müsste, um nicht durchzufallen, sondern ein Leitfaden, mehr nicht. Er beruht auf der Annahme, dass sich Verbundenheit mit Land und Leuten durch einen Fragenkatalog ermitteln lässt; und das ist ziemlich naiv. Denn was Kultur ist, lässt sich mit Wissensfragen nicht einfangen. Kultur, sagt man, sei das, was sich von selbst versteht. Statt Forderungen aufzustellen, die erfüllt werden müssen, weckt sie Erwartungen, die enttäuscht werden können. Kultur ist schwer fixierbar, hat mit Gewohnheiten zu tun und äußert sich in dem, was man gerade nicht tut, also unterlässt: nicht, weil es ausdrücklich verboten wäre, sondern weil es sich nicht gehört.
Wer glaubt, Loyalität zum deutschen Staat und der hiesigen Kultur mit Wissensfragen überprüfen zu können, sollte sich an die Berliner Mittelschule erinnern, an der sich Schüler, Eltern und Lehrer auf den Gebrauch des Deutschen als des alleinigen Verständigungsmittels geeinigt hatten. Viele Vereinigungen und etliche Einzelpersonen fanden das empörend und haben öffentlich widersprochen. Besonders hervorgetan hat sich dabei ein Mann, der für die Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin sitzt, längst also im Besitz dessen ist, was Einbürgerungswillige erst noch erwerben wollen, des deutschen Passes. Er weiß Bescheid, sonst allerdings nicht viel. Den Fragebogen hätte er vermutlich glanzvoll ausgefüllt; nur da Fragebögen eben nichts über die Bereitschaft verraten, sich einzufügen und zu integrieren. Die Sprachenfrage macht das deutlich. Integration setzt nun einmal Sprachkenntnis voraus; Kulturerwerb ist ohne Spracherwerb nicht denkbar. Wer Sprachkenntnis für überflüssig hält, will sich vermutlich gar nicht integrieren.
So etwas in Rechnung zu stellen und daraus seine Konsequenzen zu ziehen, ist aber nichts für Leute, die die Gesellschaft als eine Maschine betrachten, die man nach Lust und Laune auseinander nehmen und anschließend nach einem neuen Plan wieder zusammensetzen - eine geschichtslose, wirklichkeitsfremde und kulturfeindliche Illusion, die allerdings erklärt, warum die Integration hierzulande weitgehend gescheitet ist. In Berlin gibt es nicht nur viele Schulen, sondern ganze Stadtviertel, die das eindrucksvoll bestätigen. Bekenntnisfreudige Multikulturalisten reagieren darauf mit dem bekannten Slogan: Weiter so! Die Frage ist dann nur: wie lange?
Konrad Adam wurde 1942 in Wuppertal geboren. Er studierte Alte Sprachen, Geschichte und Philosophie in Tübingen, München und Kiel. Mehr als 20 Jahre lang war er Redakteur im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", jetzt arbeitet er für die "Welt". Sein Interesse gilt vor allem Fragen des Bildungssystems sowie dessen Zusammenhängen mit der Wirtschaft und dem politischen Leben. Als Buch-Autor veröffentlichte er unter anderem "Die Ohnmacht der Macht", "Für Kinder haften die Eltern" und "Die Republik dankt ab". Soeben erschienen: "Die deutsche Bildungsmisere. Pisa und die Folgen".
Stark gegen den politischen Gegner. Nach dem baden-württembergischen ist nun der hessische Fragebogen für Einbürgerungswillige zum Streitgegenstand der in Berlin gemeinsam regierenden Parteien geworden. Mit 100 verschiedenen Fragen soll überprüft und festgestellt werden, was Neubürger über die Geschichte, die Verfassung, die Kultur des Landes wissen, in dem sie heimisch werden wollen. Kaum war die Liste fertig, wurde von einem Test gesprochen, der die Integration nicht erleichtere, sondern erschwere, da von den Einwanderern Dinge erwartet würden, von denen die meisten Altbürger auch keine Ahnung hätten.
Das mag so sein, spräche dann aber eher gegen die Altbürger als gegen den Fragebogen, der sich ja nur als Handreichung versteht, die beiden Seiten Freiheit lässt. Er ist kein Test, der mehr oder weniger vollständig beantwortet werden müsste, um nicht durchzufallen, sondern ein Leitfaden, mehr nicht. Er beruht auf der Annahme, dass sich Verbundenheit mit Land und Leuten durch einen Fragenkatalog ermitteln lässt; und das ist ziemlich naiv. Denn was Kultur ist, lässt sich mit Wissensfragen nicht einfangen. Kultur, sagt man, sei das, was sich von selbst versteht. Statt Forderungen aufzustellen, die erfüllt werden müssen, weckt sie Erwartungen, die enttäuscht werden können. Kultur ist schwer fixierbar, hat mit Gewohnheiten zu tun und äußert sich in dem, was man gerade nicht tut, also unterlässt: nicht, weil es ausdrücklich verboten wäre, sondern weil es sich nicht gehört.
Wer glaubt, Loyalität zum deutschen Staat und der hiesigen Kultur mit Wissensfragen überprüfen zu können, sollte sich an die Berliner Mittelschule erinnern, an der sich Schüler, Eltern und Lehrer auf den Gebrauch des Deutschen als des alleinigen Verständigungsmittels geeinigt hatten. Viele Vereinigungen und etliche Einzelpersonen fanden das empörend und haben öffentlich widersprochen. Besonders hervorgetan hat sich dabei ein Mann, der für die Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin sitzt, längst also im Besitz dessen ist, was Einbürgerungswillige erst noch erwerben wollen, des deutschen Passes. Er weiß Bescheid, sonst allerdings nicht viel. Den Fragebogen hätte er vermutlich glanzvoll ausgefüllt; nur da Fragebögen eben nichts über die Bereitschaft verraten, sich einzufügen und zu integrieren. Die Sprachenfrage macht das deutlich. Integration setzt nun einmal Sprachkenntnis voraus; Kulturerwerb ist ohne Spracherwerb nicht denkbar. Wer Sprachkenntnis für überflüssig hält, will sich vermutlich gar nicht integrieren.
So etwas in Rechnung zu stellen und daraus seine Konsequenzen zu ziehen, ist aber nichts für Leute, die die Gesellschaft als eine Maschine betrachten, die man nach Lust und Laune auseinander nehmen und anschließend nach einem neuen Plan wieder zusammensetzen - eine geschichtslose, wirklichkeitsfremde und kulturfeindliche Illusion, die allerdings erklärt, warum die Integration hierzulande weitgehend gescheitet ist. In Berlin gibt es nicht nur viele Schulen, sondern ganze Stadtviertel, die das eindrucksvoll bestätigen. Bekenntnisfreudige Multikulturalisten reagieren darauf mit dem bekannten Slogan: Weiter so! Die Frage ist dann nur: wie lange?
Konrad Adam wurde 1942 in Wuppertal geboren. Er studierte Alte Sprachen, Geschichte und Philosophie in Tübingen, München und Kiel. Mehr als 20 Jahre lang war er Redakteur im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", jetzt arbeitet er für die "Welt". Sein Interesse gilt vor allem Fragen des Bildungssystems sowie dessen Zusammenhängen mit der Wirtschaft und dem politischen Leben. Als Buch-Autor veröffentlichte er unter anderem "Die Ohnmacht der Macht", "Für Kinder haften die Eltern" und "Die Republik dankt ab". Soeben erschienen: "Die deutsche Bildungsmisere. Pisa und die Folgen".