Die Bonapartes am Bodensee

Von Burkhard Müller-Ulrich · 20.04.2008
Charles Louis Napoléon Bonaparte, der spätere Napoléon III., wird meist als historische Randfigur wahrgenommen. Anlässlich seines 200. Geburtstag widmet ihm das Napoleonmuseum Schlosss Arenenberg bei Konstanz eine große Jubiläumsschau und macht dabei erstaunliche Entdeckungen: Der Kaiser der Franzosen war ein eigentlich ein gefühlter Alemanne.
Wenn man alles verloren hat, dann ist dies ein Ort, wo die Seele wieder zu sich findet: der Bodensee. Liebliche Hügellandschaft, geschaffen von eiszeitlichen Endmoränen, der Klang der Wellen, der Blick über das Wasser auf die Insel Reichenau, alles eine einzige Idylle. Besonders hier im Thurgau, am schweizerischen Ufer. Zur Schönheit der Gegend kommt noch die Stabilität ihrer Geschichte: die Schweiz als Hort demokratischer Freiheitsrechte.

Hierher floh 1815 eine Familie, die in der Tat alles verloren hatte. Ihr Name "Bonaparte" machte sie zu Parias der europäischen Gesellschaft. Ihre französische Heimat mußten Napoleons Verwandte nach seinem endgültigen Scheitern bei Waterloo eiligst verlassen. Doch auch im Ausland waren sie alles andere als willkommen. Die badische Stadt Konstanz und der angrenzende Thurgau stellten Ausnahmen dar, und so ging ein Teil der französischen Geschichte in einem anmutigen Schlößchen 200 Meter über dem Seespiegel weiter: Arenenberg.

"Zum Beispiel hier im Erdgeschoß: Das sind die Räume, in denen Louis Napoléon aufgewachsen ist. Da hatte seine Mutter die Salons abgehalten, da hat sie die ganzen Berühmtheiten, die Freunde getroffen, Berühmtheiten wie Alexandre Dumas, Châteaubriand, Juliette Récamier, Franz Liszt haben dort gegessen, da saß man zusammen, hat musiziert, diskutiert, Zeitung gelesen. Das ist seine Welt."

Die Welt des Charles Louis Napoléon Bonaparte war komfortabel, aber es war ein Exil. Sieben Jahre war er alt, als er mit seiner Mutter Hortense de Beauharnais, einer Stieftochter des ersten Napoleon, die eben noch Königin von Holland gewesen war, sowie einem kleinen Hofstaat an den Bodensee kam. Nichts sprach dafür, daß der kleine Prinz Louis einmal Kaiser der Franzosen werden würde – nichts, außer seinem Namen. Doch der ließ eben alles erwarten. Diese Beharrlichkeit, dieses Stehaufmännchentum gehört zu den erstaunlichsten Zügen des ansonsten stets als weich und wankelmütig beschriebenen Charakters. Auch auf dem Thron war Napoleon III. vielen Leuten ein Rätsel. Nicht von ungefähr nannten sie ihn die "Sphinx an der Seine".

Auf Schloß Arenenberg lebte er da schon lange nicht mehr, und nachdem seine Mutter dort 1837 gestorben war, brach die napoleonische Tradition des Ortes ab. Aber nur für kurze Zeit! Denn sein Herz hing an der Gegend – und nicht nur sein Herz, sondern auch seine Zunge. Sein Französisch soll zeitlebens von einem alemannischen Akzent gefärbt gewesen sein. Dominik Gügel, Direktor des heutigen Napoleonmuseums Arenenberg, geht sogar noch weiter:

"Man sieht ihn zwar als Franzosen, weil er französischer Kaiser war, darf aber nicht vergessen, daß er die längste zusammenhängende Zeit seines Lebens nicht in Frankreich, sondern im alemannischen oder schwäbischen Sprachraum verbringt. Und wenn Sie das Charakterbild eines Einheimischen sehen, dann entspricht das eigentlich völlig dem, wie sich Napoleon III nachher auf dem Thron verhält."

Bedächtigkeit und Bauernschläue, Zähigkeit und Zögerlichkeit sind hier die Stichworte. Und natürlich Heimattreue. Es ist schon erstaunlich, was für Lokalbezüge Dominik Gügel und die Kuratorin Christina Egli bei ihren Forschungen gefunden haben. Da ist zunächst die Geschichte des Hauses selbst. Kaum in Paris an der Macht, kauft Louis Napoleon Arenenberg zurück und wünscht, dass es in genau den Zustand versetzt werde, wie es war, als Mama noch da wohnte. Im Pariser Bois de Boulogne lässt er, zusammen mit Fürst Pückler, die Bodenseeregion nachbauen: Es gibt dort einen Obersee und einen Untersee mit einer Insel mittendrin, und der "Kiosque de l’Empereur" steht maßstabsgerecht an der Stelle von Arenenberg.

Und dann sind da diese Ringe in der Ausstellung, aus Kupfer oder Bronze, die zum Teil von irgendwelchen Dachböden aus der Gegend stammen. Christina Egli:

"Wir schauen immer wieder auf Ebay unter Napoleon III weltweit. Man kann Glück haben und auf ein Objekt stoßen und wenn’s möglich ist ergattern. Und dann sind wir auf diese Ringe gestoßen."

"Also immer wieder gibt es Ringe, die Napoleon III verschenkt hat. Es ist auch eingraviert innen drin 'Napléon III Empereur' und eine Jahreszahl. Und das wußten wir schon, dass er Ringe verschenkt hat. Wir sind uns noch nicht hundertprozentig sicher, zu welchem Zeitpunkt. Ursprünglich haben wir gedacht, nach dem Schäferstündchen dem Mädchen. Oder wenn Nachwuchs da war? Und mittlerweile sind wir der Meinung, es war viel später. Also was wir sehen konnten: 1861 bis 63. Wir kennen vier Ringe, und die sind alle aus dem Jahr 1863. Vielleicht mit der Volljährigkeit von dem Kind? Aber ich muß noch diese 'Liste civile' in den 'Archives nationales' durchgucken; vielleicht finde ich eine Antwort auf diese Frage, vielleicht auch nicht."

Ja, der junge Herr Napoleon, hat in der Gegend auch soziale Spuren hinterlassen. In so mancher Familie wird seit anderthalb Jahrhunderten etwas von vorkaiserlichen Schäferstündchen gemunkelt. Und natürlich haben es Dominik Gügel und Christina Egli auch mit allerlei Aufschneidern zu tun, die gelegentlich sogar Ansprüche auf Schloß Arenenberg anmelden.

Bei aller lokalhistorischen Begeisterung sollte man aber stets im Blick behalten, daß Napoleon III. eine prägende Gestalt der französischen und gegen seinen Willen auch der deutschen Geschichte war. Doch seltsam: Die Franzosen, die sonst jede auch nur halbwegs prominente Persönlichkeit mit nationalen Festivitäten ehren, haben für ihren letzten Kaiser anläßlich seines 200. Geburtstags bloß ein kleines wissenschaftliches Symposium übrig. Und bei uns kommt er in den Geschichtsbüchern nur ganz am Rande vor.

Er gilt als politischer Träumer, erfolgloser Feldherr, Frauenheld und Verschwender. Doch vielleicht ist es an der Zeit, dieses negative Bild zu korrigieren. Dominik Gügel:

"Ich denke, seine nachhaltigste Leistung war die Förderung des Sozialwesens in Frankreich, seien es die Armenküchen, sei es das Streikrecht, sei es entspreche die Einführung der Tarifautonomie, des Tarifrechtes."

Und nicht zuletzt der grandiose Umbau von Paris, die Schaffung einer modernen Kanalisation und großzügiger Boulevards, die aus einer mittelalterlichen Stadt DIE Kulturkapitale des 19. Jahrhunderts machten.

Dass diese glänzende Geschichte dann plötzlich schlecht ausging, war Schicksal, aber es war auch wieder typisch: Napoleon III., der Unberechenbare, der Zauderer, der doch vor nichts zurückschreckte, ließ sich im Juli 1870 in einen Krieg mit Preußen reißen, bei dem er sich schwer verkalkulierte. Am 2. September sah er in Sedan die ganze Aussichtslosigkeit der Sache und ergab sich. Das immerhin rettete wohl 80 000 bis 100 000 Soldaten das Leben – ein Umstand, der in der Geschichtsschreibung oft übergangen wird.

Die Kutsche, in der er als Gefangener abtransportiert wurde, ist jetzt in Konstanz ausgestellt.