Die BND-Debatte bleibt an der Oberfläche

Von Hartmut Kühne |
Die Republik ruft Skandal. Über Jahre hat der Bundesnachrichtendienst Journalisten bespitzelt und abgeschöpft. So steht es im Bericht des Ermittlungsrichters Schäfer für den Bundestag. Jeder kann nun im Internet nachlesen, wie der BND Gesetze gebrochen hat.
Zu Recht fordert die Opposition, dass sich der Untersuchungsausschuss im Bundestag des Themas annehmen sollte. Aufklärung muss sein. Übrigens auch über die Rolle von uns Journalisten. Die Angelegenheit zeigt, dass beim BND vieles schief gelaufen ist - nicht weniger haarsträubend scheinen freilich auch die Zustände in den deutschen Medien zu sein. Kein Journalist wurde zur Mitarbeit gezwungen. Sie haben sich selbst dem BND angedient. Wenn schon von Rücktritten die Rede ist: Wer den Abgang des früheren BND-Präsidenten und jetzigen Staatssekretärs Hanning verlangt, muss auch die Frage stellen, ob nicht einzelne Chefredakteure ihren Hut nehmen sollten.

Dieser Skandal wird irgendwann aufgearbeitet sein, dann wissen wir genauer, was den BND und Journalisten zueinander trieb. Aber geht es nur um die Pressefreiheit? Liegt der Schaden allein darin, dass der BND dort geschnüffelt hat, wo er es nicht durfte? Nein, viel verheerender ist, dass sich der BND gewissermaßen selbst ein Bein gestellt hat. Der BND steht jetzt in schlechtem Licht da. Die Geheimdienstler gelten wieder als schmutzige Zeitgenossen, die ihre Schlapphüte tief ins Gesicht ziehen und denen auch sonst nicht über den Weg zu trauen ist.

Ärgerlich. Denn die Arbeit der Geheimdienste ist heute wichtiger denn je. Seit dem 11. September sprechen viele von asymetrischen Kriegen, bei denen auf der einen Seite Staaten wie die USA, Spanien oder auch Deutschland stehen, auf der anderen Seite Terrororganisationen wie Al Kaida. Sie arbeiten letztlich wie Geheimdienste und bedienen sich ebenso wie diese des Mittels der Konspiration. Deshalb ist nicht die staatliche Armee eine effektive Waffe in dieser ungleichen Auseinandersetzung, sondern die Geheimdienste können am besten gegen die neue Art von Gewalt vorgehen. Der BND wird Terrorakte eher verhindern als die Bundeswehr.

Zurzeit ist der Pullacher Geheimdienst freilich mehr mit sich selbst beschäftigt. Die Journalistenaffäre absorbiert viele Kräfte, die für die eigentliche Arbeit fehlen. Wie können wir in Zukunft verhindern, dass sich der BND bei seiner so wichtigen Arbeit selbst behindert?

Immer wieder werden Geheimdienste ihre Stellung missbrauchen und Gesetze brechen, wie jetzt bei der Journalistenbespitzelung. Also brauchen wir eine effektivere Kontrolle der Geheimdienste. Und das geht allein durch Transparenz, also indem zum Beispiel Abgeordnete in den Geheimdienst hineinschauen. Ein Widerspruch, denn die Geheimdienste müssen, wie sollte es anders sein, im Geheimen arbeiten. Andererseits wird die Öffentlichkeit nur einem gut kontrollierten Geheimdienst Vertrauen schenken - ein Vertrauen, das der BND für seine Arbeit im Verborgenen dringend nötig hat.

Wohin man auch schaut, diese Kontrolle findet nicht statt. Das Kanzleramt, eigentlich die Aufsichtsbehörde für Pullach, bekommt vieles nicht mit. Und auch das Parlamentarische Kontrollgremium erfährt wichtige Informationen erst aus der Zeitung. Das Problem liegt in der Struktur: Auf der einen Seite stehen die Geheimdienste mit Tausenden von Mitarbeitern, auf der anderen der Kontrollausschuss des Bundestags mit gerade einmal neun Abgeordneten, die diese Aufgabe neben anderen Themen mit abdecken. Die neun Mitglieder haben zwei Vollzeitkräfte aus der Parlamentsverwaltung an ihrer Seite.

Hier hilft ein Blick nach Washington. Dort sind die "Select Comittees on Intelligence" des amerikanischen Kongresses viel besser ausgestattet als ihr Berliner Pendant. Nach dem 11. September haben die US-Ausschüsse Fehler aufgedeckt. Ihre Berichte über die Fehleinschätzungen und Lügen der Bush-Regierung zu den Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins im Vorfeld des Irak-Kriegs füllen Hunderte von Aktenblättern. Die Abgeordneten in Washington geben konkrete Empfehlungen, was in den Geheimdiensten in Zukunft anders laufen soll - und noch wichtiger sie führen die großen Debatten über die Zukunft der Dienste.

Eine Diskussion, die in Deutschland fehlt. Denn Geheimdienste gelten nach wie vor als eine unappetitliche Materie, mit der sich niemand gerne beschäftigt. Die Amerikaner sehen das offenbar unverkrampfter. Sie schätzen die Geheimdienste als legitimes Instrument des Staats.

Woran das liegt? Gewiss auch daran, dass die USA nicht unter Diktaturen zu leiden hatten. Bei uns wirkt die Angst vor dem Spitzelstaat Erich Mielkes nach. Stasi und auch Gestapo werfen Schatten auf die heutigen Geheimdienste, und das obwohl diese in das grelle Licht der öffentlichen Debatte gehören.


Hartmut Kühne, Jahrgang 1965, Jura-Studium und Promotion über ein völkerrechtliches Thema, Grundsatzreferent in der Staatskanzlei Berlin. Seit 1999 Hauptstadtkorrespondent der Wochenzeitung "Rheinischer Merkur".