Die Biografie als Katalog
Der Schweizer Schriftsteller und Journalist Peter K. Wehrli hat bereits in jungen Jahren damit begonnen, sein Leben aufzuschreiben. Er beginnt sein Buch mit einem "Katalog der 134 wichtigsten Beobachtungen während einer langen Eisenbahnfahrt", wobei sich Nachdenklichkeit und Komik aus den lakonisch erfassten Erlebnissen ergeben.
Der Schweizer Schriftsteller, Kulturredakteur und Fernsehjournalist Peter K. Wehrli (geb. 1939) hat in vier Jahrzehnten das getan, was wohl die meisten in ihrer Lebensbilanz vermissen werden. Er hat in jungen Jahren damit begonnen, Chronist der eigenen biographischen Verläufe zu sein. Als Ergebnis der bald zum Ritual gewordenen Handlung erschien bereits 1999 ein "Katalog von allem", dessen Titel nach fast einem Jahrzehnt noch Gültigkeit besitzt. Doch während das einstige Katalogsystem chronologisch angelegt war, basiert das aktuelle auf einer vielschichtigen Topographie. Das 1697 Eintragungen umfassende Konvolut gliedert sich in Segmente wie "Der Brasilianische Katalog", "Der Österreichische Katalog" oder "Der Amazonische Katalog".
Nicht die Zeit der Betrachtung wird zum Prinzip erhoben, sondern der Ort selbst wird zum Akteur. Was als besonderer Zugriff des Autors auf das Material gedeutet werden kann, verlangt dem Leser eine resolute Entscheidung ab. Eine brave Lektüre ergibt sich unweigerlich, liest man von Nummer 1 bis 1697d. Die Grundidee des "Katalogs" wird dabei allerdings grandios verfehlt. Zu empfehlen ist die Naschmethode, mit der wahllos, aber genüsslich Details zu sich genommen werden können.
Peter K. Wehrli beginnt mit einem "Katalog der 134 wichtigsten Beobachtungen während einer langen Eisenbahnfahrt", wobei sich Nachdenklichkeit und Komik aus den lakonisch erfassten Erlebnissen ergeben:
"81. der Spender
die Eier, der Käse, das Brot, die mit einer Selbstverständlichkeit, als hätte sie die Eisenbahndirektion zusammen mit der Fahrkarte verabreicht, um Wagen unter die Leute aufgeteilt werden, so dass ich nicht weiß, wer in unserem Abteil der Spender ist…; dass ich es nicht war, das weiß ich."
Dem Autor geht es darum, bestehende Werturteile und Sehraster aufzubrechen. Außerdem sind seine Denk- und Sprachbewegungen niemals gradlinig. So wird das in Nummer 29 Wahrgenommene mit dem in Nummer 25 Beobachteten rückläufig verbunden. Es steht dem Leser frei, ob er sich davon beeinflussen lässt. Das Vergnügen dieser Lektüre ergibt sich ohnehin daraus, das Geheimnis des topographischen Prinzips vorgeführt zu bekommen.
So wird im "Londoner Katalog" über die "von der Stadt selber unternommene Aufhebung von London" sinniert, die sich gerade in dem Moment zeigt, wo das Ich seinen "Londoner Katalog" zu schreiben versucht: "weil sich das ‚Londonerische’ aus meinen Beobachtungen verflüchtigt, angesichts lokaler Lebensintensität".
Am besten lässt sich Wehrlis extravagantes Katalogangebot in thematischen Überschneidungen erkunden, die von verschiedenen Orten aus erkennbar sind. Ob im "Canner", "Bülacher" oder "Rumänischen Katalog" - es ist die neugierige , niemals voyeuristische Perspektive des Sprechenden, der über eigene Wahrnehmungsweisen nachdenkt und dabei mitunter erschrickt oder von einem Grübeln ins andere verfällt.
Rezensiert von Carola Wiemers
Peter K. Wehrli: Katalog von allem - Vom Anfang bis zum Neubeginn,
Ammann Verlag, Zürich 2008, 534 Seiten, 24,90 Euro.
Nicht die Zeit der Betrachtung wird zum Prinzip erhoben, sondern der Ort selbst wird zum Akteur. Was als besonderer Zugriff des Autors auf das Material gedeutet werden kann, verlangt dem Leser eine resolute Entscheidung ab. Eine brave Lektüre ergibt sich unweigerlich, liest man von Nummer 1 bis 1697d. Die Grundidee des "Katalogs" wird dabei allerdings grandios verfehlt. Zu empfehlen ist die Naschmethode, mit der wahllos, aber genüsslich Details zu sich genommen werden können.
Peter K. Wehrli beginnt mit einem "Katalog der 134 wichtigsten Beobachtungen während einer langen Eisenbahnfahrt", wobei sich Nachdenklichkeit und Komik aus den lakonisch erfassten Erlebnissen ergeben:
"81. der Spender
die Eier, der Käse, das Brot, die mit einer Selbstverständlichkeit, als hätte sie die Eisenbahndirektion zusammen mit der Fahrkarte verabreicht, um Wagen unter die Leute aufgeteilt werden, so dass ich nicht weiß, wer in unserem Abteil der Spender ist…; dass ich es nicht war, das weiß ich."
Dem Autor geht es darum, bestehende Werturteile und Sehraster aufzubrechen. Außerdem sind seine Denk- und Sprachbewegungen niemals gradlinig. So wird das in Nummer 29 Wahrgenommene mit dem in Nummer 25 Beobachteten rückläufig verbunden. Es steht dem Leser frei, ob er sich davon beeinflussen lässt. Das Vergnügen dieser Lektüre ergibt sich ohnehin daraus, das Geheimnis des topographischen Prinzips vorgeführt zu bekommen.
So wird im "Londoner Katalog" über die "von der Stadt selber unternommene Aufhebung von London" sinniert, die sich gerade in dem Moment zeigt, wo das Ich seinen "Londoner Katalog" zu schreiben versucht: "weil sich das ‚Londonerische’ aus meinen Beobachtungen verflüchtigt, angesichts lokaler Lebensintensität".
Am besten lässt sich Wehrlis extravagantes Katalogangebot in thematischen Überschneidungen erkunden, die von verschiedenen Orten aus erkennbar sind. Ob im "Canner", "Bülacher" oder "Rumänischen Katalog" - es ist die neugierige , niemals voyeuristische Perspektive des Sprechenden, der über eigene Wahrnehmungsweisen nachdenkt und dabei mitunter erschrickt oder von einem Grübeln ins andere verfällt.
Rezensiert von Carola Wiemers
Peter K. Wehrli: Katalog von allem - Vom Anfang bis zum Neubeginn,
Ammann Verlag, Zürich 2008, 534 Seiten, 24,90 Euro.