Die Bilanz fällt bescheiden aus

Von Martin Steinhage, Hauptstadtstudio Deutschlandradio |
Ernsthaft hatte wohl niemand erwartet, dass eine große Koalition besser als jedes andere Regierungsbündnis geeignet ist, große Probleme zu lösen. Dass diese Rechnung nicht aufgeht, nicht aufgehen konnte, ist in den vergangenen dreidreiviertel Jahren an vielen Stellen nolens volens unter Beweis gestellt worden.
Zu unterschiedlich waren die Wünsche und Visionen der Protagonisten von Union und SPD, zu gering war oftmals die Einsicht, um der guten Sache willen auch mal über den eigenen Schatten zu springen.

So blieb manches liegen, was zwingend der Bearbeitung bedurft hätte – etwa das längst überfällige Umweltgesetzbuch, welches für bundesweit einheitliche Standards sorgen sollte. Nur zu Stückwerk hat es gereicht beim Klimaschutz. Nicht weitergekommen ist man bei der Neuorganisation der Arbeitslosenbetreuung in den Jobcentern – und so weiter, und so fort...

In anderen Bereichen führte die Notwendigkeit, handeln zu müssen, zu allerlei fragwürdigen Kompromissen. Das gilt vor allem für die Gesundheitsreform, die vielleicht etwas besser ist als ihr schlechter Ruf, und gleichwohl alles andere als ein großer Wurf. Diese Reform, von der Kanzlerin leichtfertig "hochgejazzt" zum Vorzeigeprojekt ihrer Regierungszeit, wurde zum Paradebeispiel für die engen Grenzen großkoalitionärer Handlungsfähigkeit.

Anderswo fällt die Bilanz deutlich besser aus - die größte Leistung in der Sozialpolitik wurde gleich zu Beginn der gemeinsamen Regierungszeit ins Werk gesetzt: Die Rente mit 67 ist zwar ebenfalls nach wie vor umstritten, und das bis in die Reihen der Koalitionsparteien hinein. Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit ist aber die angemessene Antwort auf die Anforderungen der Zukunft. Da hat die große Koalition ausnahmsweise einmal Mut zu unpopulären Entscheidungen bewiesen.

Positiv zu Buche schlägt auch die handfeste Stärkung der Familienpolitik, die niemand mehr als "Gedöns" verstanden wissen will. Andererseits ist das teilweise Zurückdrehen der Agenda 2010 kleinmütig und in seiner Wirkung höchst fragwürdig. Gleiches gilt für die Garantie für nicht sinkende Renten – da hat die Koalition ihre Bemühungen zugunsten späterer Generationen gleich wieder ad absurdum geführt.

Von der allergrößten Herausforderung, der sich die Merkel-Mannschaft in dieser Legislaturperiode stellen musste, war im Koalitionsvertrag aus dem Spätherbst 2005 natürlich noch keine Rede: Eine globale Finanzkrise mit einem in dieser Wucht in 60 Jahren Bundesrepublik nie dagewesenen wirtschaftlichen Niedergang – das traf die Koalitionäre völlig unvorbereitet, bestimmte aber notgedrungen ihr Handeln im letzten Drittel der schwarz-roten Ära. Ob die Bundesregierung dabei ein glückliches Händchen bewies, oder aber dazu beigetragen hat, dass es mit diesem Land in den nächsten Jahren dramatisch bergab gehen wird – das kann man noch gar nicht vorhersagen.

Festhalten lässt sich jedoch auch in diesem Kontext das Wechselspiel von Licht und Schatten in der schwarz-roten Bilanz: Welche Gefahren von der Bankenkrise ausgehend auch auf Deutschland zukommen würden, das hat die Koalition auch nach eigenem Eingeständnis nicht rechtzeitig erkannt. Daher wurde zu spät gehandelt. Zudem rächte sich, dass die bis etwa vor einem Jahr üppig sprudelnden Steuereinnahmen nicht konsequent in den Schuldenabbau gesteckt wurden. Nun eilt die Neuverschuldung von Rekord zu Rekord. Auf der anderen Seite hat nicht zuletzt die Politik der großen Koalition dafür gesorgt, dass Deutschland im internationalen Vergleich noch relativ gut dasteht.

Unter dem Strich fällt das Gesamturteil über die Merkel-Steinmeier-Regierung eher bescheiden aus: Mit einer, sagen wir mal, "drei minus" ist die Arbeit des Bündnisses durchaus wohlwollend beurteilt. Und im Zeugniskopf notieren wir nicht minder freundlich, und ohne böse Hintergedanken: "Sie haben sich bemüht".