Die Bibliothek des Brückenbauers
Zeit seines Lebens setzte sich Schalom Ben-Chorin für den Dialog zwischen Juden und Christen ein. Jetzt, zehn Jahre nach seinem Tod, ist seine persönliche Bibliothek samt seines Arbeitszimmers von Jerusalem ins Münchner Stadtarchiv umgezogen. Eine symbolträchtige Geste.
Ein schwarzes Telefon mit Drehscheibe, ein Diktiergerät, eine alte Olivetti-Schreibmaschine. Das Arbeitszimmer von Shalom Ben-Chorin. Sogar ein leichter Tabakgeruch schwebt in der Luft, als hätte er soeben den Raum verlassen. Sessel, Bilder, Lampen – sie haben eine Patina. Und in den Regalen stehen die Bücher, über dreitausend Stück, zum Teil doppelreihig. Kostbarkeiten sind darunter: handsignierte Bücher von Else Lasker-Schüler, viele Erstausgaben, Raritäten. Originalgetreu wieder aufgebaut sind Arbeitszimmer und Bibliothek des großen jüdischen Religionsphilosophen jetzt im Münchner Stadtarchiv. Mit großer Sorgfalt und viel Engagement hat der Historiker Andreas Heusler den Umzug organisiert:
"Das waren sechs starke kräftige Männer mit einem Überseekontainer auf einem Lastwagen und die haben dann nach meinen Vorgaben, nach meinem System, die Dinge verpackt. Es war ja wichtig, dass man beim Auspacken wieder eine gewisse Logik vorfindet und nicht lange rum überlegen muss, wo gehört jetzt was hin. Dann wurde das im Laufe eines Tages alles eingepackt, sehr sorgfältig, sehr vorsichtig, kam in diese großen Container, reiste nach Haifa per Lastwagen und dann per Schiff nach Deutschland und kam dann wieder per Lastwagen hierher ins Archiv, wurde ausgepackt und seit Juli sind wir zugange, um das Detailgetreu zu rekonstruieren."
Andreas Heusler ist im Münchner Stadtarchiv für die Bibliothek von Schalom Ben-Chorin zuständig. Noch zu Lebzeiten hatte Ben-Chorin verfügt, dass sein literarischer Nachlass: Briefe, Texte, Dokumente, im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar verwahrt wird. Dass darüber hinaus die persönliche Bibliothek nun, zehn Jahre nach Ben-Chorins Tod, in München steht, ist vor allem ein Verdienst seiner Frau Avital, die extra zur Einweihung nach München gekommen ist.
"Das ist natürlich sehr erregend, weil sie in ihrer Vielseitigkeit ganz die verschiedensten Interessen meines Mannes zum Ausdruck bringt. Und viele haben auch in diesem Zimmer gesessen, es war so etwas, was ich noch nicht so ganz auflösen wollte."
Nein – Avital Ben-Chorin wollte, dass die Bücher zusammen bleiben, nicht verteilt werden auf verschiedenste und entlegendste Bibliotheken. Also war es eine gute und sinnvolle Lösung, sie komplett nach München zu bringen. Ihr Mann, da ist sie sicher, hätte sich gefreut, hatte er doch eine besondere Beziehung zur deutschen Sprache:
"Meine Heimat ist eigentlich die Sprache, es ist also nicht Deutschland, sondern das Deutsche, und da fühle ich mich ganz zuhause. Aus einem Land kann man auswandern, aus der Muttersprache nicht."
Schalom Ben-Chorin. In der Sprache, in Büchern, in der Literatur – da war er zuhause. Als Fritz Rosenthal wird er 1919 in München geboren, verbringt Kindheit und Jugend an der Isar. Weil die Religion, das Judentum ihm immer wichtiger werden, wählt er einen anderen Namen: Schalom Ben-Chorin - Frieden, Sohn der Freiheit. Als Hitler an die Macht kommt, ist er als Jude bedroht. Er wird vorübergehend verhaftet, im Gefängnis verprügelt. Schalom Ben-Chorin weiß diese Zeichen zu deuten und verlässt 1935 die Stadt. Sein Ziel war Palästina, Jerusalem. Hier wurde der enge Freund und Schüler Martin Bubers zu einem prominenten Intellektuellen und Schriftsteller. Sein Interesse innerhalb des Judentums gilt dem liberalen Zweig. Mit "Har El" gründet Schalom Ben-Chorin die erste Reformgemeinde Jerusalems. Deutschland aber, vor allem der Stadt München, bleibt er bis zu seinem Tod 1999 eng verbunden. Als er 1956 das erste Mal nach dem Krieg wieder nach Deutschland kam, ging dies auf Einladung der Münchner Israelitischen Kultusgemeinde, kurz IKG zurück. Für viele war diese Reise eine Geste der Versöhnung, so der Historiker Andreas Heusler:
"Dass er das Angebot gemacht hat, in einen Dialog einzutreten mit dem Volk der Mörder, mit den Nachkommen der Täter, und das ist natürlich eine ganz bemerkenswerte persönliche Haltung, die er hier zeigt und die für die Stadt München, aber auch für die Deutschen als Volk unglaublich wichtig waren."
Anders als in Deutschland, wo Schalom Ben-Chorin nach dem Krieg gewürdigt und geschätzt wird, findet sein literarisches Oeuvre in Israel nur bedingt Aufmerksamkeit. Seine Bücher schrieb er im Wesentlichen für deutsche Verlage. Insofern ist die Rückkehr der Bibliothek konsequent, meint Ellen Presser, Kulturreferentin der Münchner Israelitischen Kultusgemeinde.
"Seine Bibliothek in Israel wäre nur noch einem ganz kleinen Kreis zugänglich und dass man sie hierher holt und wissenschaftlich aufbereiten kann, ist wegen dieser Umgebungskultur und der deutschen Sprache hier sicherlich leichter möglich und man wird mehr Zuspruch finden. Aber ich könnte mir vorstellen, dass man in Israel noch aufwachen wird und fragen wird, wie konnten wir dieses Erbe und dieses Vermächtnis so einfach ziehen lassen und haben es nicht zu schätzen gewusst in einem Moment, wo die deutsche Sprache in Israel keine Rolle spielt."
Schalom Ben-Chorin wurde in Deutschland gelesen und rezipiert. Hier ist der Religionsphilosoph geehrt und ausgezeichnet worden: für sein Engagement im jüdisch-christlichen Dialog sowie für eine Versöhnung und Verständigung zwischen Deutschland und Israel. Für Avital Ben-Chorin schließt sich ein Kreis:
"Die Bücher wurden mit ihrem Besitzer vertrieben und werden jetzt in Ehren heimgeholt. Das könnte man sagen. Meine liebe Tochter, das sieht sie eigentlich als einen gewissen Triumph, im wahrsten Sinne als Wiedergutmachung. Ich sehe natürlich etwas Symbolträchtiges darin und ich sehe auch eine Aufgabe darin, auch eine Aufgabe für München. Was in diesem Raum geschehen ist, da stand eigentlich die Wiege des christlich-jüdischen und des deutsch-israelischen Dialogs."
Avital Ben-Chorin ist mit einer Hoffnung nach München, nach Deutschland gereist: dass dieses Arbeitszimmer, in dem die Aura ihres Mannes spürbar ist, auf Besucher, auf München wirkt. Auf diese Weise könnte der Religionsphilosoph auch noch postum seine Friedensgespräche fortsetzen.
"Das waren sechs starke kräftige Männer mit einem Überseekontainer auf einem Lastwagen und die haben dann nach meinen Vorgaben, nach meinem System, die Dinge verpackt. Es war ja wichtig, dass man beim Auspacken wieder eine gewisse Logik vorfindet und nicht lange rum überlegen muss, wo gehört jetzt was hin. Dann wurde das im Laufe eines Tages alles eingepackt, sehr sorgfältig, sehr vorsichtig, kam in diese großen Container, reiste nach Haifa per Lastwagen und dann per Schiff nach Deutschland und kam dann wieder per Lastwagen hierher ins Archiv, wurde ausgepackt und seit Juli sind wir zugange, um das Detailgetreu zu rekonstruieren."
Andreas Heusler ist im Münchner Stadtarchiv für die Bibliothek von Schalom Ben-Chorin zuständig. Noch zu Lebzeiten hatte Ben-Chorin verfügt, dass sein literarischer Nachlass: Briefe, Texte, Dokumente, im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar verwahrt wird. Dass darüber hinaus die persönliche Bibliothek nun, zehn Jahre nach Ben-Chorins Tod, in München steht, ist vor allem ein Verdienst seiner Frau Avital, die extra zur Einweihung nach München gekommen ist.
"Das ist natürlich sehr erregend, weil sie in ihrer Vielseitigkeit ganz die verschiedensten Interessen meines Mannes zum Ausdruck bringt. Und viele haben auch in diesem Zimmer gesessen, es war so etwas, was ich noch nicht so ganz auflösen wollte."
Nein – Avital Ben-Chorin wollte, dass die Bücher zusammen bleiben, nicht verteilt werden auf verschiedenste und entlegendste Bibliotheken. Also war es eine gute und sinnvolle Lösung, sie komplett nach München zu bringen. Ihr Mann, da ist sie sicher, hätte sich gefreut, hatte er doch eine besondere Beziehung zur deutschen Sprache:
"Meine Heimat ist eigentlich die Sprache, es ist also nicht Deutschland, sondern das Deutsche, und da fühle ich mich ganz zuhause. Aus einem Land kann man auswandern, aus der Muttersprache nicht."
Schalom Ben-Chorin. In der Sprache, in Büchern, in der Literatur – da war er zuhause. Als Fritz Rosenthal wird er 1919 in München geboren, verbringt Kindheit und Jugend an der Isar. Weil die Religion, das Judentum ihm immer wichtiger werden, wählt er einen anderen Namen: Schalom Ben-Chorin - Frieden, Sohn der Freiheit. Als Hitler an die Macht kommt, ist er als Jude bedroht. Er wird vorübergehend verhaftet, im Gefängnis verprügelt. Schalom Ben-Chorin weiß diese Zeichen zu deuten und verlässt 1935 die Stadt. Sein Ziel war Palästina, Jerusalem. Hier wurde der enge Freund und Schüler Martin Bubers zu einem prominenten Intellektuellen und Schriftsteller. Sein Interesse innerhalb des Judentums gilt dem liberalen Zweig. Mit "Har El" gründet Schalom Ben-Chorin die erste Reformgemeinde Jerusalems. Deutschland aber, vor allem der Stadt München, bleibt er bis zu seinem Tod 1999 eng verbunden. Als er 1956 das erste Mal nach dem Krieg wieder nach Deutschland kam, ging dies auf Einladung der Münchner Israelitischen Kultusgemeinde, kurz IKG zurück. Für viele war diese Reise eine Geste der Versöhnung, so der Historiker Andreas Heusler:
"Dass er das Angebot gemacht hat, in einen Dialog einzutreten mit dem Volk der Mörder, mit den Nachkommen der Täter, und das ist natürlich eine ganz bemerkenswerte persönliche Haltung, die er hier zeigt und die für die Stadt München, aber auch für die Deutschen als Volk unglaublich wichtig waren."
Anders als in Deutschland, wo Schalom Ben-Chorin nach dem Krieg gewürdigt und geschätzt wird, findet sein literarisches Oeuvre in Israel nur bedingt Aufmerksamkeit. Seine Bücher schrieb er im Wesentlichen für deutsche Verlage. Insofern ist die Rückkehr der Bibliothek konsequent, meint Ellen Presser, Kulturreferentin der Münchner Israelitischen Kultusgemeinde.
"Seine Bibliothek in Israel wäre nur noch einem ganz kleinen Kreis zugänglich und dass man sie hierher holt und wissenschaftlich aufbereiten kann, ist wegen dieser Umgebungskultur und der deutschen Sprache hier sicherlich leichter möglich und man wird mehr Zuspruch finden. Aber ich könnte mir vorstellen, dass man in Israel noch aufwachen wird und fragen wird, wie konnten wir dieses Erbe und dieses Vermächtnis so einfach ziehen lassen und haben es nicht zu schätzen gewusst in einem Moment, wo die deutsche Sprache in Israel keine Rolle spielt."
Schalom Ben-Chorin wurde in Deutschland gelesen und rezipiert. Hier ist der Religionsphilosoph geehrt und ausgezeichnet worden: für sein Engagement im jüdisch-christlichen Dialog sowie für eine Versöhnung und Verständigung zwischen Deutschland und Israel. Für Avital Ben-Chorin schließt sich ein Kreis:
"Die Bücher wurden mit ihrem Besitzer vertrieben und werden jetzt in Ehren heimgeholt. Das könnte man sagen. Meine liebe Tochter, das sieht sie eigentlich als einen gewissen Triumph, im wahrsten Sinne als Wiedergutmachung. Ich sehe natürlich etwas Symbolträchtiges darin und ich sehe auch eine Aufgabe darin, auch eine Aufgabe für München. Was in diesem Raum geschehen ist, da stand eigentlich die Wiege des christlich-jüdischen und des deutsch-israelischen Dialogs."
Avital Ben-Chorin ist mit einer Hoffnung nach München, nach Deutschland gereist: dass dieses Arbeitszimmer, in dem die Aura ihres Mannes spürbar ist, auf Besucher, auf München wirkt. Auf diese Weise könnte der Religionsphilosoph auch noch postum seine Friedensgespräche fortsetzen.