Die Bibel als Alltagsratgeber

Werner Tiki Küstenmacher im Gespräch mit Andreas Malessa · 17.10.2009
Anknüpfend an den Mega-Erfolg "Simplify your life" hat Werner Tiki Küstenmacher einen Ratgeber mit dem Titel "Biblify your life" geschrieben. Darin zeigt er den Erfahrungsschatz der Bibel auf und wie er sich auf das heutige Leben übertragen lässt.
Andreas Malessa: Sein schnurrig-augenzwinkernder Ratgeber "Simplify your Life" – vereinfache dein Leben, ein Millionen-Bestseller übers Aufräumen und Entrümpeln der Wohnung und des Kopfes, geht ins zehnte Jahr seit Erscheinen, wurde weltweit über zwei Millionen Mal verkauft. Und nun hat der Münchner Theologe und Karikaturist Werner "Tiki" Küstenmacher ein Buch vorgelegt, das die Biblifizierung des Lebens empfiehlt. Werner Küstenmacher ist unser kleines, provisorisches Buchmessenstudio gekommen, Herzlich Willkommen!

Werner Tiki Küstenmacher: Hallo!

Malessa: Was, bitte schön, soll ich mir darunter vorstellen? Kaum habe ich mein Leben vereinfacht, nun soll ich es biblifizieren?

Küstenmacher: Na ja, "Biblify your Life" soll das Verb sein zu dem Substantiv Bibel. Also man könnte irgendwie sagen, verbibeln Sie Ihr Leben oder so was. Die Grundidee dahinter ist, dass in der Bibel – das haben wir ja gerade gehört –, dass da ganz viele Weisheiten drin sind, dass da viel Lebenskraft drinsteckt, die man immer wieder lebendig machen kann. Und ich traue mich, das so wie bei "Simplify your Life" in ganz praktische Tipps umzusetzen. Und soweit ich weiß, war so was noch nicht da.

Malessa: Nennen Sie mal ein Beispiel!

Küstenmacher: Na ja, zum Beispiel das Aufräumen. Also das war so eine schöne Erfahrung bei "Simplify your Life", wo die Menschen halt einfach jetzt ihre Schubladen ausgeräumt haben und ihren Kleiderschrank entrümpelt haben und den Schreibtisch leer gemacht haben und den Keller. Da habe ich immer wieder gemerkt – das haben sie mir geschrieben, ich hab's auch immer wieder erlebt –, da passiert auch was mit der Seele, mit dem Inneren. Man wird selber leichter, man lässt etwas los, und das hat Implikationen, hat Auswirkungen auf die Seele.

Und nun habe ich mir gedacht, ja, wofür wird es denn dann frei, was wird denn dann? Man kommt auf das Wesentliche im Leben, aber was ist es denn genau? Womit fülle ich denn jetzt diesen leeren Raum, der da entstanden ist? Und da habe ich gemerkt, dass die Menschen, die ihre Erfahrungen mit Gott in der Bibel aufgeschrieben haben, dass man von denen diese Fülle lernen kann für das, womit man das anfüllt, was man weggeschmissen hat.

Malessa: Eins lass ich ungern los, mein Geld. Und da heißt es in "Biblify your Life", man soll das Geld mit den Augen Jesu anschauen. Mit Verlaub, muss ich das ernst nehmen, wenn ich diese Überschrift lese?

Küstenmacher: Also interessant ist, dass über 30 Prozent der Gleichnisse von Jesus übers Geld gehen, also er hat das Geld immer als eine Metapher genommen. Und das habe ich auch immer wieder erlebt, dass wenn Menschen zum Beispiel Schulden haben, dass das oft eine Materialisierung ist von nicht-materieller Schuld, die sie irgendwo haben, also da gibt es ganz verblüffende Zusammenhänge. Oder zum Beispiel das Jobeljahr, was in der Bibel im Alten Testament erzählt wird, dass nach 50 Jahren alle Schulden gelöscht werden. Das habe ich jetzt gemerkt, eigentlich ist unser Geldsystem so gebaut, dass es nach 50 Jahren zusammenbricht.

Malessa: Oder letztes Jahr mit den Banken.

Küstenmacher: Ja, fast. Es ist ja eigentlich genau das, was wir erleben. Und normalerweise haben wir diese 50 Jahre nie erlebt, weil dazwischen, da kam immer ein Krieg oder sonst eine große Katastrophe, und jetzt haben wir dieses Phänomen, dass nach über 50 Jahren dieses Geldsystem ganz offensichtlich an seine Grenzen kommt. Alle sind überschuldet, da muss es, müsste es eigentlich so was geben wie ein Jobeljahr. Wir haben's leider nicht, also es wird auf irgendeine andere Weise kommen.

Malessa: Womit wir bei dem Problem sind, dass sich viele noch so schöne Dinge aus der Bibel nun mal nicht in einer modernen Industriegesellschaft und auch hoffentlich nicht in einem demokratischen Rechtsstaat verwirklichen lassen. Zugespitzt gefragt: Taugt die Bibel als Alltagsratgeber?

Küstenmacher: Also für mich ist die Bibel ein Erfahrungsschatz, und das Grundprinzip, wie Bibel funktioniert, kann man vielleicht sogar erst kapieren, seit es das Internet gibt. Internet ist Hypertext. Also wir klicken da auf irgendein Wort, und dann gelangen wir ganz woanders hin, wir merken, verschiedene Texte, verschiedene Weisheiten sind miteinander verknüpft.

Und das ist so meine Metapher, um die Bibel zu verstehen: Bibel ist auch innerhalb der Texte miteinander verknüpft. Es gibt also Verknüpfungen zwischen Altem und Neuem Testament, aber es gibt auch Verknüpfungen zu uns, zu unserem ganz privaten, aktuellen, präsentischen Leben. Und eine ganz wunderschöne solche Hypertextverknüpfung habe ich gefunden bei Georges Bernanos, dem französischen Schriftsteller, der hat mal geschrieben: Wir kommen in der Bibel vor. Es gab da mal vom Hanns Dieter Hüsch so eine schöne Biografie, die hieß "Du kommst auch drin vor", es wäre ein schöner Titel auch für die Bibel. Also wir sind auch schon mal Jesus begegnet. Und seit ich diesen Hypertext, diese Verlinkung mir vorstelle, lese ich persönlich die Bibel mit ganz anderen Augen.

Malessa: Mit einer Figur der Bibel möchte ich mich hoffentlich bis an mein Lebensende nicht identifizieren können müssen, und das ist die, die Sie am Ende Ihres Buches einführen: Hiob.

Küstenmacher: Also ich persönlich liebe Hiob, weil Hiob – also ich liebe ihn nicht deswegen, dass er so viel Unglück erlebt hat ...

Malessa: Da müssen wir jetzt mal einschieben: Der hat Besitz verloren, Gesundheit verloren, Frau und Kinder.

Küstenmacher: Genau, also daher das Wort Hiobsbotschaft, das wollen wir nicht. Aber was Hiob dann macht, ist eine grandiose Geschichte innerhalb der Religionsgeschichte, weil er sagt: Ich habe einen Vertrag mit Gott. Gott hat mir versprochen, wenn ich gerecht lebe, dann passiert mir kein Unglück. Und was ist jetzt mit dem, was ich erlebe? Und Hiob bleibt hart. Und da, finde ich, kann man ganz enorm da draus lernen, das Gottesbild, was sich dann ergibt aus diesem Buch Hiob, das ist ein, finde ich, ganz modernes Gottesbild, von dem man sehr viel lernen kann. Es ist kein grausamer Gott, kein Gott, der irgendwie Buchhaltung macht, sondern es ist ein Gott, der zum Schluss sich erbarmt, der liebevoll ist, der für uns da ist.

Malessa: Kurze letzte Frage: Muss man gläubig und bibelfest sein, um Ihr neues Buch zu verstehen?

Küstenmacher: Ganz im Gegenteil, also je lockerer man gegenüber der Bibel und gegenüber dem Glauben ist, desto fröhlicher, glaube ich, wird man's lesen.

Malessa: Vielen Dank, Werner Tiki Küstenmacher, für den Besuch im Studio. "Biblify your Life" ist im Pattloch-Verlag erschienen, hat 272 Seiten und kostet 19,95 Euro.