Die Berührung eines Gegenstandes
Bei Giuseppe Penone besteht "die Zeit" aus der verschlungenen Form eines Astes, auf die immer neue Schichten von Terracotta aufgebracht werden. So entsteht eine gekrümmte Wand, eine tektonische Figur. Der Zuschauer wird in dieser Ausstellung zurückgeworfen auf einige Grundfragen der Existenz.
Giuseppe Penone hat auf der letzten "documenta" ein Zeichen gesetzt - mit einem aus Stahl gefertigten Baum, dessen Äste einen riesigen Stein trugen. Das sah so aus, als hätte der Baum durch sein Wachstum das schwere Gewicht langsam hochgehievt. Das war ziemlich spektakulär. Die Winterthurer Ausstellung kommt etwas bescheidener daher, aber die Natur ist auch hier ein Hauptthema. Penones Kunst fängt mit ganz elementaren Erfahrungen an: es geht immer um die Berührung, um den Atem, um Natur, Wachstum, die Zeit.
Ist "la struttura del tempo", die Struktur der Zeit festzuhalten, zu bannen in einer Skulptur? Bei Giuseppe Penone besteht "die Zeit" aus der verschlungenen Form eines Astes, auf die dann immer neue Schichten von Terracotta aufgebracht werden, so daß eine gekrümmte Wand entsteht, eine tektonische Figur...
Der Zuschauer wird in dieser Ausstellung also zurückgeworfen auf einige Grundfragen der Existenz. Mit der Berührung eines Gegenstands beginnt - für Penone - nicht nur das künstlerische Arbeiten (denn was ich berühre, das forme ich auch), sondern Erkenntnis überhaupt. Ich be-greife, er-fasse etwas. Der Finger-Abdruck spielt bei Penone eine große Rolle, er drückt das Gesicht auf Papier, in seinen Frottagen reibt er Blätter auf Leinwand, so dass sich der Wald dort auch materiell ab-bildet. Er kriecht quasi in das Material hinein: der Baum hat für ihn eine menschliche Gestalt, und das ist natürlich eine sehr alte Vorstellung von Kunst, sagt Kurator Dieter Schwarz.
"Diese antike Vorstellung, diese mythologische Vorstellung, die hat natürlich auch etwas sehr Poetisches, weil sie eine Art Gegenentwurf zu einer technischen Vorstellung von Skulptur ist. Damit entspricht sie sicher auch einer gewissen Sehnsucht, etwas, was immer wieder durchdringt und vielleicht auch frustriert wird durch andere Erscheinungen der zeitgenössischen Kunst, der Medienkunst und all dieser Dinge …"
Giuseppe Penone fertigte als junger Mann erste Zeichnungen und Fotoarbeiten in den Wäldern im südlichen Piemont. Der Kritiker Germano Celant nahm diese Werke 1969 in seine Anthologie über die "Arte Povera" auf, die dieser neuen Kunstrichtung den Namen gab. Als 22jähriger war Penone schon berühmt, und seitdem hat er kontinuierlich weitergeforscht an zum Teil abstrus anmutenden Ideen.
Abenteuerliche, mythisch angehauchte Eingebung, sich vorzunehmen, den menschlichen Atem darzustellen …
"Penone hat diesen Satz gesagt: der Atem ist Skulptur - und damit hat er vielleicht noch viel radikaler als ein Beuys, der ja auch viele menschliche Handlungen zur Kunst, zur Skulptur erklärt hat, eigentlich das Elementare des Daseins zur Skulptur gemacht, zu den Gründen, zu den Wurzeln der Skulptur erklärt … So wie die Bäume wachsen, das war für ihn ein Bild, so ist das menschliche Ein- und Ausatmen eine Art Formen - der Atem schafft so eine wolkenartige Form in der Welt, und er hat versucht, dafür eine dann plastische Form zu finden …"
Diese Formen sehen dann freilich sehr merkwürdig aus, wie riesige, bauchige braune Vasen, Urnen, Gefäße – aber das soll der menschliche Atem sein, wie er sich in der Welt materialisieren könnte. Die Skulpturen werden durch Zeichnungen vorbereitet, die meist aber einen eigenständigen Charakter behalten. Sie können durchaus mehrere Meter breit sein …
"Es gibt verschiedene Arten von Zeichnungen. Viele sind Zeichnungen, wo Penone sich einen Gedanken zurechtlegt, wo er probt, sehr häufig auch schreibend und zeichnend parallel Dinge entwickelt. Parallel zur Entwicklung einer Skulptur ihre Möglichkeiten weiter noch ausfächert auf dem Papier - und das durchaus in einer sehr poetischen Form. Dann gibt es aber auch zeichnerische Arbeiten, die für sich einen plastischen, raumbestimmenden Charakter haben."
Zum Beispiel die zehn Meter breite Zeichnung eines menschlichen Augenlids: das Augenlid wird auf die Wand projiziert und in seinen feinsten Verästelungen und Haut-Strukturen zeichnerisch ertastet. Von Weitem sieht das aus wie eine Landschaft, in Wahrheit aber sind das Hautpartikel, die sonst nur unter dem Mikroskop sichtbar werden. In einer früheren (Foto-)Arbeit hatte sich Penone spiegelnde Haftschalen in die Augen gesteckt – ein schreckliches, zombiehaft wirkendes Bild; aber: in den Augen des Künstlers spiegelt sich die Welt.
In der Winterthurer Ausstellung gibt es aber auch vom Wetter gegerbte Bronzegüsse von Ästen und die "Gesti Vegetari", Pflanzengesten - das sind Skulpturen, die vage an menschliche Silhouetten erinnern und von Pflanzen überwuchert werden. Es gibt, wenngleich nur als Zeichnung, den "Albero delle Vocali", den Vokal-Baum, bei dem das Wurzelwerk die Buchstaben A E I O U bilden….
Der Zugang zu all diesen Werken ist abstrakt, man muß sich da intellektuell reinwühlen - aber man geht mit einer neuen Erfahrung heraus: zwischen Menschen und Bäumen besteht gar nicht so ein großer Unterschied, und der Übergang von Natur zu Kultur ist fließender, als wir alle denken.
Ist "la struttura del tempo", die Struktur der Zeit festzuhalten, zu bannen in einer Skulptur? Bei Giuseppe Penone besteht "die Zeit" aus der verschlungenen Form eines Astes, auf die dann immer neue Schichten von Terracotta aufgebracht werden, so daß eine gekrümmte Wand entsteht, eine tektonische Figur...
Der Zuschauer wird in dieser Ausstellung also zurückgeworfen auf einige Grundfragen der Existenz. Mit der Berührung eines Gegenstands beginnt - für Penone - nicht nur das künstlerische Arbeiten (denn was ich berühre, das forme ich auch), sondern Erkenntnis überhaupt. Ich be-greife, er-fasse etwas. Der Finger-Abdruck spielt bei Penone eine große Rolle, er drückt das Gesicht auf Papier, in seinen Frottagen reibt er Blätter auf Leinwand, so dass sich der Wald dort auch materiell ab-bildet. Er kriecht quasi in das Material hinein: der Baum hat für ihn eine menschliche Gestalt, und das ist natürlich eine sehr alte Vorstellung von Kunst, sagt Kurator Dieter Schwarz.
"Diese antike Vorstellung, diese mythologische Vorstellung, die hat natürlich auch etwas sehr Poetisches, weil sie eine Art Gegenentwurf zu einer technischen Vorstellung von Skulptur ist. Damit entspricht sie sicher auch einer gewissen Sehnsucht, etwas, was immer wieder durchdringt und vielleicht auch frustriert wird durch andere Erscheinungen der zeitgenössischen Kunst, der Medienkunst und all dieser Dinge …"
Giuseppe Penone fertigte als junger Mann erste Zeichnungen und Fotoarbeiten in den Wäldern im südlichen Piemont. Der Kritiker Germano Celant nahm diese Werke 1969 in seine Anthologie über die "Arte Povera" auf, die dieser neuen Kunstrichtung den Namen gab. Als 22jähriger war Penone schon berühmt, und seitdem hat er kontinuierlich weitergeforscht an zum Teil abstrus anmutenden Ideen.
Abenteuerliche, mythisch angehauchte Eingebung, sich vorzunehmen, den menschlichen Atem darzustellen …
"Penone hat diesen Satz gesagt: der Atem ist Skulptur - und damit hat er vielleicht noch viel radikaler als ein Beuys, der ja auch viele menschliche Handlungen zur Kunst, zur Skulptur erklärt hat, eigentlich das Elementare des Daseins zur Skulptur gemacht, zu den Gründen, zu den Wurzeln der Skulptur erklärt … So wie die Bäume wachsen, das war für ihn ein Bild, so ist das menschliche Ein- und Ausatmen eine Art Formen - der Atem schafft so eine wolkenartige Form in der Welt, und er hat versucht, dafür eine dann plastische Form zu finden …"
Diese Formen sehen dann freilich sehr merkwürdig aus, wie riesige, bauchige braune Vasen, Urnen, Gefäße – aber das soll der menschliche Atem sein, wie er sich in der Welt materialisieren könnte. Die Skulpturen werden durch Zeichnungen vorbereitet, die meist aber einen eigenständigen Charakter behalten. Sie können durchaus mehrere Meter breit sein …
"Es gibt verschiedene Arten von Zeichnungen. Viele sind Zeichnungen, wo Penone sich einen Gedanken zurechtlegt, wo er probt, sehr häufig auch schreibend und zeichnend parallel Dinge entwickelt. Parallel zur Entwicklung einer Skulptur ihre Möglichkeiten weiter noch ausfächert auf dem Papier - und das durchaus in einer sehr poetischen Form. Dann gibt es aber auch zeichnerische Arbeiten, die für sich einen plastischen, raumbestimmenden Charakter haben."
Zum Beispiel die zehn Meter breite Zeichnung eines menschlichen Augenlids: das Augenlid wird auf die Wand projiziert und in seinen feinsten Verästelungen und Haut-Strukturen zeichnerisch ertastet. Von Weitem sieht das aus wie eine Landschaft, in Wahrheit aber sind das Hautpartikel, die sonst nur unter dem Mikroskop sichtbar werden. In einer früheren (Foto-)Arbeit hatte sich Penone spiegelnde Haftschalen in die Augen gesteckt – ein schreckliches, zombiehaft wirkendes Bild; aber: in den Augen des Künstlers spiegelt sich die Welt.
In der Winterthurer Ausstellung gibt es aber auch vom Wetter gegerbte Bronzegüsse von Ästen und die "Gesti Vegetari", Pflanzengesten - das sind Skulpturen, die vage an menschliche Silhouetten erinnern und von Pflanzen überwuchert werden. Es gibt, wenngleich nur als Zeichnung, den "Albero delle Vocali", den Vokal-Baum, bei dem das Wurzelwerk die Buchstaben A E I O U bilden….
Der Zugang zu all diesen Werken ist abstrakt, man muß sich da intellektuell reinwühlen - aber man geht mit einer neuen Erfahrung heraus: zwischen Menschen und Bäumen besteht gar nicht so ein großer Unterschied, und der Übergang von Natur zu Kultur ist fließender, als wir alle denken.