Die Bedrohung des freien Wortes

Moderation: Jürgen König · 15.11.2005
Die Vorsitzende des Writers-in-Prison-Commitee der internationalen Schriftstellervereinigung PEN, Karin Clark, sieht eine weltweite Zunahme der Mordanschläge und Attacken gegen Schriftsteller. In vielen Ländern gehe die Macht nicht mehr allein vom Staat aus, erklärte die Schriftstellerin anlässlich des 25. Writers-in-Prison-Tages im Deutschlandradio Kultur.
König: So richtig gratulieren mag man ja nicht zum 25. Writers-in-Prison-Day, weil es ja doch wenig erfreulich ist, dass dieser Writers-in-Prison-Day jetzt schon so lange nötig ist. Cui bono? fragt der Lateiner, wem nützt es – wem nützt der Writers-in-Prison-Day?

Clark: Ich glaube, wir haben zusammen mit anderen Menschenrechtsorganisationen und anderen Organisationen, die sich um die Freiheit des Wortes kümmern, sehr viel erreicht. Wir können nicht alles erreichen, wir müssen immer weiter kämpfen und deshalb glaube ich, dass der International Writers-in-Prison-Day uns erhalten bleiben wird.

In diesem Jahr widmen wir den Tag dem zehnten Jahrestag des Todes von Ken Saro-Wiwa, der am 10. November 1995 in Lagos in Nigeria hingerichtet wurde mit acht seiner Mitstreiter und die weltweite Kampagne für Ken Saro-Wiwa hat damals eigentlich die Weltöffentlichkeit berührt, erschüttert und als dann die Nachricht von seinem Tode kam, war das auch ein Signal, nicht aufzuhören, nie aufzuhören.

Und mittlerweile hat sich rausgestellt, dass Attacken und Morde an Journalisten und Schriftstellern zunehmen, weil in vielen Ländern die Machtstrukturen nicht mehr eindeutig sind, weil die Macht nicht nur ausschließlich beim Staat liegt, selbst wenn es ein repressiver Staat ist, sondern dass da konkurrierende Mächte vor Ort sind wie Mafiastrukturen, Privatinteressen, Wirtschaftsinteressen, religiöse Interessen, Drogenkartells und so weiter; und die nehmen alle weltweit mehr und mehr die Ungerechtigkeit in ihre eigene Hand und attackieren die, die gegen sie vorgehen wollen.

König: Das heißt ganz generell, die Tendenz ist: Das Recht des freien Wortes wird immer stärker beschnitten weltweit?

Clark: In einigen Ländern hat es sich gebessert wie in Nigeria. Nach dem Tod von Ken Saro-Wiwa hat es nicht lange gedauert, bis das Regime des Militärdiktators Abacha zu Ende gegangen war, mittlerweile hat sich auch der Shell-Konzern der Menschen- und Umweltrechte besonnen und einzelne neue Dinge mit in sein Geschäftsgebaren mit aufgenommen. Es hat sich da sehr viel zum Guten gewendet. Man weiß nicht wie lange. In anderen Ländern ist es eben so geblieben, wenn nicht schlimmer geworden wie in China, wie im Iran, wie in Kuba zum Beispiel.

König: Eine der Hauptaufgaben des Writers-in-Prison-Comitee besteht ja auch darin, die Aufmerksamkeit der Medien auf die Situation verfolgter Autoren zu lenken. Hat diese Aufmerksamkeit in den letzten Jahren eher abgenommen oder zugenommen?

Clark: Das hängt ganz davon ab, welche Themen die Presse zu dem Zeitpunkt überhaupt aufnehmen kann. Bei dem Fall Pamuk zum Beispiel hier in Deutschland war es so, dass die Presse massiv mitgearbeitet hat, aber wenn wir dann plötzlich mit einem anderen Fall aus, sagen wir dem Iran kommen, der nicht so spektakulär ist, dann bekommen wir die Meldung einfach nicht mehr in die Medien hinein. Das ist verständlich, aber es macht mich sehr traurig.

König: Wo Sie gerade den Fall Orhan Pamuk ansprechen: Er erinnerte ja an die Türken an den Völkermord an den Armeniern, verübt vor 90 Jahren von Türken, dafür will man Orhan Pamuk in der Türkei den Prozess machen Mitte Dezember, der deutsche Buchhandel hat ihm den Friedenspreis verliehen. Welche Reaktionen hat es eigentlich auf diesen Preis und die Preisreden in der Türkei gegeben?

Clark: Zwiespältig. Zum einen die, die sowieso hinter Pamuk stehen, haben das sehr begrüßt, weil es eine Stärkung auch für seine Position ist. Es ist auf der einen Seite ein literarischer Preis, es ist natürlich auch ein Preis mit politischer Wirkung. Auf der anderen Seite hat man ihm vorgeworfen, dass er diese ganzen Äußerungen nur um der Preise willen gemacht hat. Das heißt, die national gerichteten, auch islamistische Kreise, haben das benutzt, um ihn noch mehr anzuklagen und zu verunglimpfen.

König: Kommen wir noch mal zurück auf die Rolle der Medien in dieser ganzen Sache. Die Medien sollen ja wiederum auch nur anstoßen eigentlich; in einem Ihrer Texte heißt es, "in der Bundesrepublik arbeitet das Komitee eng mit dem Außenministerium und der Menschenrechtsbeauftragten zusammen". Wann haben Sie denn Außenminister Fischer das letzte Mal gesprochen?

Clark: Das hängt gar nicht davon ab, ob ich Außenminister Fischer spreche. Wenn ich einen besonderen Fall habe und im Außenministerium anrufe in seinem Büro, bin ich noch nie abgewiesen worden und die Informationen sind sehr schnell weitergegeben worden. Zudem über die Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung und das Auswärtige Amt habe ich direkten Zugang zu den einzelnen Länderabteilungen und da muss ich sagen, war die Hilfe und Unterstützung enorm.

König: Das heißt, man interessiert sich sehr für Ihre Arbeit im Außenministerium.

Clark: Ich glaube, auch die Politiker wissen, wie wichtig das ist, und wir können manchmal Informationen weiterleiten, die sie noch nicht haben. Nein, die Arbeit ist eine Zusammenarbeit. Sie ist nicht immer gleich stark, weil wir in manchen Fällen auch gar nicht so viel Hoffnung in die politischen Kanäle setzen können, weil im Iran zum Beispiel im Moment sämtliche politischen Kanäle zugestopft sind. Aber in dem Moment, wo es dringend wird, ist die Hilfe immer gegeben worden.

König: Sie stellen ja in jedem Jahr fünf Fälle besonders heraus, Orhan Pamuk haben wir schon erwähnt, in diesem Jahr ist es auch der Fall des chinesischen Schriftstellers und Journalisten Shi Tao, der im Internet daran erinnert hat, dass einst chinesische Regierungstruppen mit Panzern auf dem Platz des himmlischen Friedens in Peking Demonstranten überrollten. Für diese Erinnerung wurde Shi Tao zu zehn Jahren haft verurteilt. Nun war ja gerade der chinesische Ministerpräsident Hu in Berlin, von Gesprächen über Menschenrechte hörte man nicht viel, vom Verkauf diverser ICE-Züge aber sehr viel (was ja auch sehr erfreulich ist), aber über Shi Tao kein Wort. Also noch mal die Frage: Sehen Sie sich da in ihrer Arbeit bestätigt oder letztlich doch immer nur bis zu einer gewissen Grenze getrieben, wo Sie dann merken, bis hierhin und nicht weiter?

Clark: Die Menschenrechtsdebatte war im Programm bei allen Politikern, dass der Name Shi Tao nicht aufgetaucht ist, mag daran liegen, dass wir über 30 Internet-Dissidenten im Moment in Gefängnissen in China haben. Shi Tao ist ein spektakulärer Fall insofern, weil westliche Internetgesellschaften mit dran gedreht haben. Shi Tao hat nicht nur an den Tag des Massakers auf dem Platz des himmlischen Friedens erinnert, sondern er hat auch weitergegeben, welche Medienregeln das Propagandaministerium zu diesem Tag in China herausgegeben hat.

Ihn zu finden, war nur möglich über die direkte Zuarbeit von Yahoo Holding Hongkong Limited, die diese E-Mails direkt bis zu seinem persönlichen Computer verfolgt haben und daraufhin wurde er verhaftet. Auf Anfrage heißt es aus Kreisen des International Yahoo Konzerns in Amerika, wir haben unsere Filialen anweisen müssen, dass sie die Gesetze im Lande beachten. Das heißt aber meines Erachtens nach nicht, dass die praktische Schützenhilfe für Verhaftungen geben müssen.

König: Kommen wir noch auf einige andere der Fälle, die Sie hier besonders herausstellen, zum Beispiel der Fall von Roja Toloui, einer iranischen Schriftstellerin und Frauenrechtlerin, die wegen Störung des Friedens und Aktionen gegen die nationale Sicherheit inhaftiert wurde. Was soll das für eine Störung gewesen sein?

Clark: Das waren Aktionen von im kurdischen Teil des Irans, im Norden lebenden Schriftstellern, die wurden massiv gestört. Die einzelnen wurden eingesperrt, Frau Roja Toloui wurde zweieinhalb Monate mit gemeinen Kriminellen zusammen inhaftiert, dann erst freigelassen auf Kaution, die Anklage ist noch nicht erhoben. Es ging darum, dass Demonstrationen organisiert wurden, um die demokratischen, kulturellen und politischen Rechte der kurdischen Bevölkerung im Norden Irans zu stärken.

König: Oder in Sierra Leone schreiben Sie: Paul Kamara, Journalist und Herausgeber einer Zeitung, wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil über Korruption in Regierungskreisen berichtet hatte. Wie lange soll er einsitzen?

Clark: Er hat zwei mal zwei Jahre Haft bekommen, die eigentlich gleichzeitig ablaufen sollen. Es wurde gegen das Urteil Einspruch erhoben, der Einspruch wird und wird und wird nicht behandelt, man will, dass er in jedem Fall die zwei Jahre im Gefängnis bleibt. Das Problem ist, dass er den jetzigen Präsidenten desavouiert hat, er hat einen Bericht aus dem Jahre 1967 wieder veröffentlicht, wo das Resultat einer Untersuchungskommission gegen den Präsidenten Kabbah herausfand, dass er der Korruption schuldig ist.

König: Nehmen wir noch einen letzten Fall: In Kuba wurde der Schriftsteller Victor Rolando Arroyo wegen Verrats zu 26 Jahren Gefängnis verurteilt. Wen oder was soll er verraten haben?

Clark: Die territoriale Integrität des Landes. Das war die allgemeine Anklage gegen 75 Intellektuelle, die 2003 gleichzeitig inhaftiert wurden. Das war im Rahmen von Kontakten mit Amerikanern. Unter den 75 Oppositionellen sind 35 Journalisten, Autoren und Bibliothekare, die Haftstrafen waren immens hoch. Einige sind freigelassen worden einschließlich Raoul Rivero, weil es ihm gesundheitlich nicht gut ging, und dann, was manche Machthaber gerne machen, sie lassen ihre Dissidenten lieber raus, damit die nur ja nicht wieder zurückkommen.

König: Was können Sie nun tun und was können wir, was kann die Öffentlichkeit gegen derlei unternehmen?

Clark: Wir arbeiten auf vielen Ebenen, wir arbeiten mit vielen Organisationen zusammen, wir versuchen Druck zu machen über Kampagnen, über auch unsere beratende Position bei UNO und Unesco, das kommt ja noch dazu, dass wir dort Eingaben machen können zu verschiedenen Ländern, vor allen Dingen sind wir im Moment in einer Kampagne zur Krimilaisierung von Veröffentlichungen im Internet weltweit und da sind China, Tunesien und Vietnam besonders schlimm. Was man tun kann ist sich informieren. Und wenn es nicht dauernd in der Zeitung steht, es gibt diese wunderbare Homepage von International Freedom of Expression eXchange, auf der täglich die Informationen abzurufen sind.
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