Die Bar als Hort der Erzählungen

In dem kleinen Dörfchen Montelfo soll die alte Kneipe, die bar sport, einem gigantischen Einkaufszentrum weichen. Das wollen die Dorfbewohner so nicht hinnehmen. Sie entwerfen Pläne, wie die Bar zu retten ist, aber vor allem erzählen sie jede Menge hinreißender Geschichten.
Die Bar ist das Herz eines jeden Mikrokosmos in Italien, vom kleinsten Dorf bis hin zu den unwirtlichen Außenbezirken der Großstädte. Ob morgendlicher Cappuccino, ein caffè zu jeder Zeit des Tages oder der abendliche aperitivo, es gibt immer einen guten Grund dafür, in der Bar vorbeizuschauen und ein paar Worte mit dem Wirt oder den anderen Gästen zu wechseln. In Stefano Bennis neustem Roman "Brot und Unwetter" soll nun die Bar Sport des Örtchens Montelfo einem gigantischen Einkaufzentrum weichen, wodurch die Dorfbewohner ihr gesellschaftliches Zentrum verlören. Das bei diesem Projekt so ganz nebenbei der ganze Dorfkern verschluckt würde, tut nichts zur Sache, denn es geht hier nicht um Realismus, wohl aber um Realität, die Lebensrealität in der italienischen Provinz in Zeiten des Berlusconi-Wahnsinns, die Benni auf die ihm eigene Weise erfasst.

Der Bösewicht, der für das drohende Unheil verantwortlich ist, heißt nicht zufällig "Mediamogul", und so sprechend wie der Name des Unholds sind auch die meisten anderen, eine Herausforderung, die die Übersetzerin Mirjam Bitter brillant gelöst hat. Entsprechend ihrer Namen sind die Charaktere radikal überzeichnet, aber dies ist gerade typisch für Bennis Stil.

Die Diskussionen der Dorfbewohner, was man wohl tun könne, um die Bar zu retten, wären allein genommen nur wenig interessant, doch die verschiedenen Figuren dieses kleinen Universums sowie die übersprudelnde Fantasie des Autors bei ihrer Beschreibung machen aus einem banalen Problem ein faszinierendes Panoptikum: Opa "Seher", dessen Sinne über jedes normale Maß hinaus geschärft sind, der jeden seiner Tage damit beginnt, "die siebenundzwanzig Tätigkeiten zu verrichten, die ein erwachsener Mensch verrichten muss, um seinen Platz in der Welt wieder einzunehmen", Barbesitzer "Trincone der Schwarze", "Igelo Goldhand", Handwerker, dem die Libido versagt, wenn es nichts zu reparieren gibt und viele andere mehr.

All diese Menschen mit ihren ganz persönlichen Eigenheiten und in ihren sozialen Verflechtungen stellt Benni so farbig und voller Sprachwitz dar, dass die Überzeichnung zu keinem Zeitpunkt schwerfällig wird, zumal sie stets eine bestimmte italienische Alltagsrealität durchscheinen lässt.

Das spielerische Element des Buches kommt auch in seiner Form zum Ausdruck, denn die meiste Zeit verbringen die Dorfbewohner damit, Geschichten zu erzählen, ganz in bester Tradition der italienischen Literatur, wie Boccaccio sie mit seiner Novellensammlung, dem "Decameron", begründet hat: So schildert der Opa den Kampf zwischen der Kräuterköchin "Sophronia" und ihrem Rivalen "Rasputin"; letztere erinnert an die Geschichte des klügsten Hundes der Welt, natürlich auch er regelmäßiger Gast in der Bar Sport, und der alte "Archivio" berichtet vom übernatürlichen Kampf in Form eines Pingpong-Matches zwischen dem Waisenknaben "Inclinatus" gegen den Teufel.

So schafft Benni ein Kaleidoskop an Geschichten, das allen surrealen Elementen zum Trotz in gewisser Weise ein bestimmtes, liebenwertes Italien widerspiegelt.

Besprochen von Carolin Fischer

Stefano Benni: Brot und Unwetter
Aus dem Italienischen von Mirjam Bitter
Wagenbach, Berlin 2012
279 Seiten, 21,90 Euro