Die Auto-Biografie

Es ist der popkulturelle Fetisch unserer Epoche. Es bockt oder rast durch unsere kollektiven Wünsche, tuckert mehr oder weniger sublim durch unzählige Kunst-Werke. Matthias Penzel widmet dem Automobil eine reflektierte und raffinierte Biografie.
Dass jeder Mensch eine Biografie hat, ist bekannt, auch wenn längst nicht jeder seine geschrieben bekommt. Spätestens seit Peter Ackroyd haben auch Flüsse (die Themse) und Städte (London) ihre Biografien. Aber Autos? Matthias Penzel beantwortet die Frage augenzwinkernd in Form jenes neuen "singularis majestatis", mit der ein deutscher Kraftfahrzeugkonzern seine Produkte als "Das Auto" bewirbt: Er schreibt schlicht "Die Auto-Biografie".

Was heißt schreibt? Matthias Penzel ist zwar Schriftsteller, und zwar einer, der schreiben kann. Aber er war früher auch Musiker und Musikjournalist, sein MySpace-Auftritt zeigt ihn noch heute als multimedial ausgefuchsten Popkultur-Tausendsassa. Und so sind auch seine "Objekte im Rückspiegel" selbstverständlich ein faszinierend kreativer Remix. Penzel mischt nicht nur Texte neu ab – von den ganz frühen Vorstellungen von Menschheitserlösung durch Technik und Geschwindigkeit, Mobilität und Modernität über Literatur-, Kunst-, Musik- und Film-Zitate bis hin zu eigenen Reflexionen. Obwohl allein diese lustvolle Intertextualität schon zu höchst produktiven Kurzschlüssen führt.

Die Texte sind auch nicht nur zusätzlich mit Bildern verfugt oder konterkariert – mit Bauplänen, Diagrammen, Logos, historischen Reklamebildchen, Filmstreifen, Fotos. All das wäre heute gar nicht besonders innovativ. Sondern hier hat eine kongeniale Buchgestaltung obendrein die Freiheiten digitaler Ästhetik in die analoge Form eines schön gemachten Buchs übersetzt. Das Layout weckt Assoziationen an das Menü von Internetseiten, man erwischt sich blätternd und lesend manchmal beim Suchen nach der Maus, um etwa die hervorgehobenen Untertitel anzuklicken. Auch die zweispaltigen Seiten sind einzeln gesampelt aus verschiedenen Schrifttypen und -größen.

Penzel war außerdem Chefredakteur des Londoner Formel-Eins-Magazins F 1 RACING und versteht etwas von Autos. Seine Auto-Biografie steckt prallvoll mit Wissen: Details, historischen Entwicklungen, überraschenden Verknüpfungen, klugen Gedanken. Zum Beispiel: Wie sich dann doch ein Verbrennungsmotor namens Ottomotor durchsetzte. Wie schnell die Frauen Hand an den Lenker legten und der ganze Schlamassel so richtig losging. Wann Kühlerfiguren behäkelten Klopapierrollen und Wackeldackeln wichen. Wieso Hybridtechnik eine lukrative Zwischenlösung für die "Erste Welt" ist. Und so weiter.

Der ganze rasante Zickzack animiert zum Selberdenken, und das lässt sich nicht über jedes Buch zu diesem Thema sagen. Schließlich ist das Auto der popkulturelle Fetisch unserer Epoche. Es hat seine Schleif- oder Bremsspuren überall hinterlassen – in Stadt, Land, Fluss, in Luft, Raum und Zeit(gefühl), in der Ökonomie sowieso. Es bockt oder rast durch unsere kollektiven Wünsche und tuckert mehr oder weniger sublim durch unzählige Kunst-Werke aller Genres.

Wird Zeit, sich darüber Gedanken machen. Denn die Epoche dieses geliebten wie verfluchten Fetischs – vergleichbar allenfalls der Zigarette – scheint unwiderruflich ihrem Ende entgegenzugehen. Auch das reflektiert Penzels Auto-Biografie, mit soviel Lust am Ketzern und Kombinieren, dass es Spaß macht.

Besprochen von Pieke Biermann

Matthias Penzel: Objekte im Rückspiegel sind oft näher, als man denkt. Die Auto-Biografie
Orange Press, Freiburg 2010
288 Seiten, 25 Euro