Die Arroganz der Macht

Die norwegische Krimi-Autorin Anne Holt verfügt über reichlich Berufserfahrung. Sie war Journalistin, Staatsanwältin und Justizministerin, bevor sie eine erfolgreiche Schriftstellerin wurde. In "Die Präsidentin" attackiert sie die Sensationsgier der Medien und ihre Schnüffelei in der Unterwäsche von Politikern. Auch darin verfügt sie über Erfahrungen.
Die 1958 geborene Norwegerin Anne Holt studierte Jura, fing dann als Fernsehjournalistin an, wurde danach Staatsanwältin, bevor sie in den Journalismus zurückkehrte, dann Rechtsanwältin wurde und 1996 zur Justizministerin ihres Landes berufen wurde. Diese Karriere fand allerdings ein abruptes Ende, als Anne Holt so schwer erkrankte, dass sie von ihrem Posten zurücktreten musste – nicht zuletzt nach einer üblen Schmutzkampagne in den Medien, die ihr unterstellt hatten, sich vor der Verantwortung des Amtes zu drücken.

Da sie schon 1992 begonnen hatte, Krimis zu schreiben, verlegte sie sich nach ihrem unfreiwilligen Rückzug aus der Politik auf das Schreiben politisch engagierter Kriminalromane – mit großem Erfolg. Sie wird weltweit gelesen, gehört zu den beliebtesten und erfolgreichsten Schriftstellerinnen ihres Landes.

Sie macht aus ihrer Homosexualität keinen Hehl, ist seit 2000 mit einer Frau verheiratet, deren Kind sie adoptiert hat. Diese biographischen Angaben sind durchaus von Bedeutung, denn Anne Holt hat mit der ziemlich eigenwilligen, aber äußerst erfolgreichen Kriminalkommissarin Hanne Wilhelmsen eine Polizistin geschaffen, die mit einer Geliebten und deren Tochter zusammenlebt – für das Krimigenre eine ungewöhnliche Kombination, an die man sich allerdings genauso rasch gewöhnt wie an ihr anderes Personal, das auch nicht gerade dem typischen Polizeibild entspricht. Allerdings ist Hanne Wilhelmsen im neusten Fall "Die Präsidentin" bereits aus dem Polizeidienst ausgeschieden – eine Kugel hat ihr das Rückgrat zerschmettert. Sie ist querschnittgelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen. So hat jetzt Kommissar Yngvar Stubø die Katastrophe am Hals.

Die amerikanische Präsidentin Helen Bentley ist bei ihrem mit allen Sicherheitsschikanen vorbereiteten Besuch in Oslo kurz nach ihrer Ankunft spurlos verschwunden: Wer hat sie entführt, was ist mit ihr geschehen, lebt sie noch? Die Polizei steht vor einem Rätsel. Fieberhaft versucht Stubø, Spuren der Verschwundenen zu entdecken und wird dabei vom amerikanischen Geheimdienst mehr behindert als unterstützt.

Vor allem FBI-Agent Warren Scifford spielt ein undurchsichtiges Spiel. Was haben die Amerikaner zu verbergen? Wem nutzt die Entführung, wenn es denn eine ist? Hinzukommt, dass die Frau des Kommissars Inger Johanne, die in den USA eine Ausbildung als Profilerin bei eben diesem Amerikaner absolviert hat, mit ihm partout nichts zu tun haben will, es sogar zur dramatischen Ehekrise kommt, als sie sich weigert, über den Mann auch nur zu reden. Was ist da in der Vergangenheit geschehen?

Und warum empfindet ein ausgesprochen reicher und mächtiger Mann in einem arabischen Land das Verschwinden der Präsidentin als persönlichen Triumph? Was plant er? Warum müssen Menschen sterben, mit denen er zusammengearbeitet hat?

Ohne zuviel zu verraten: Die Präsidentin findet sich wieder an, allerdings unter ausgesprochen ungewöhnlichen Verhältnissen und es gibt in ihrer Vergangenheit einen dunklen Fleck. Wie es zu ihrem Wiederauftauchen kommt und unter welchen Umständen - nichts zuletzt dies macht den besonderen Reiz des Romans aus. Die Ausgangsgeschichte mag ziemlich konstruiert und weit hergeholt klingen, zumal dergleichen noch nie passiert ist. Aber Anne Holt spielt hier auf mehreren Ebenen.

Ihr Roman lässt sich als Kritik an der Arroganz der Macht verstehen – nicht der überhebliche amerikanische Geheimdienst klärt den Fall, sondern die biederen norwegischen Polizisten. Zudem attackiert sie die Sensationsgier der amerikanischen Medien und ihre Schnüffelei in der Unterwäsche der Politiker. Anne Holt selbst hat ja reichlich negative Erfahrungen mit diesem Stöbern im Privatleben einer Politikerin.

Außerdem entwirft sie eine Vision terroristischer Attacken auf den Westen, die einen frösteln lässt, nicht zuletzt weil sie durchaus realistisch scheint. Der Feind sitzt bereits im eigenen Haus. Und schließlich bleibt sie ihren Lieblingsfiguren treu, enthüllt uns wieder die eine oder andere persönliche Facette der Beteiligten, bringt sie uns dadurch ein Stück näher. Hier steht sie ganz in der skandinavischen Tradition des Krimis. Das soziale Umwelt der Protagonisten, Familie, Freunde, Beruf und Privates spielen da stets eine wichtige Rolle.

Niemand agiert im luftleeren Raum. Keiner ist ein Supergehirn, ein Superheld. Und für alles findet sich eine logische, nüchterne, vernünftige Erklärung. Anne Holts Thriller ‚Die Präsidentin’ ist erschreckend realistisch. Das verdoppelt das Lesevergnügen und erhöht die Anspannung. Was will man mehr?

Rezensiert von Johannes Kaiser
Anne Holt: Die Präsidentin,
Übers. Gabriele Haefs, Piper Verlag München 2007,
396 Seiten, 19,90 €