Die Annamateurin

Von Marcus Weber |
Spontanhumor, Sturmfrisur und eine gewaltig große Klappe: Anna Maria Scholz alias Annamateur wechselt gekonnt zwischen Jazz, Blues, Chanson und Schlager. Mit dieser wilden Mischung überzeugt sie nicht nur ihre Heimatstadt Dresden. Im vergangenen Jahr hat sie den "Cabinetpreis" der "Leipziger Lachmesse" gewonnen.
Anna Maria Scholz: "’She is leaving’, unser erstes Lied mit Annamateur und Gitarristen. Wir haben uns tagelang getroffen und nur dieses eine Lied gespielt. Und dann saßen wir manchmal ganz heilig in den Ecken der leer geräumten Wohnung von Daniel und waren erstmal still und – und hatten so ne Gänsehaut."

Die Techniker richten das Licht und basteln am Sound. Noch ist Zeit bis zum Konzertbeginn. Und noch sind ihre braunen Wuschelhaare nüchtern frisiert. Wenn Anna Maria Scholz jetzt über Musik spricht, dann erzählt sie von einem großen Topf Sehnsucht.

""Das gibt so einen Stich in der Herzgegend, und man denkt, man kriegt gleich einen Herzkasper, aber das ist eigentlich nur so ein tiefer Moment von Sehnsucht. Der tut richtig weh, und es bezieht sich aber auf gar nichts, es ist nicht fixiert auf irgendwas."

Ein paar Minuten später stehen ihre Haare auf Sturm. Sie hat eine rosa Blume hineingesteckt, die Lippen rot geschminkt, den Lidschatten nachgezogen. Sie ist Annamateur, eine üppige Figur mit einem ausgeprägten Faible für Sarkasmus – der echten Anna Maria Scholz nicht unähnlich.

"Es ist Nacht, doch im Hirn kehrt keine Ruhe ein. Der Fernseher spuckt irre Shows ins Wohnzimmer hinein. Ich will nicht, das Zick ist, ist mein Leben schon vorbei? Ich renn an den PC und nenn mich Lorelei. – Chat’aime, folge mir ins Separee, chat’aime, erzähl mir deine Phantasien. Ich bin Hilde aus Bonn und werde langsam extrem. Ich will, dass mich einer isst, weil mich ja sonst keiner küsst."

Noch weiß das Publikum nicht recht, ob es lachen soll. – Schon als Kind hat sie die fiesen Rollen gespielt, erzählt Anna Maria Scholz. Schauspielerin wollte sie damals werden. Doch heute ist sie eine Sängerin, die virtuos zwischen Jazz, Blues, Chanson und Schlager wechselt – und dabei regelmäßig ihre Mitmusiker zur Schnecke macht.

"Scheiße hast du gespielt. Weißt Du, wie Du gespielt hast, wie Du gespielt hast? Scheiße hast Du gespielt. Das war richtig Ficken war das. Das war Scheiße."

"Weil ich einfach dagegen bin, dass die Leute sagen: Wer gute Musik macht, muss seriös einen Anzug anhaben, in dem und dem Konzertsaal spielen und nur Ärzte und Rechtsanwälte gehen da hin mit Gattin, wenn sie abends mal frei haben. Aber sie haben ja meist nie frei und ganz teures Geld bezahlt man da. Und dann kriegt man noch einen Begrüßungssekt, und das ist dann gute Musik, die da kommt. Und das hat alles nur mit Äußerlichkeiten zu tun."

Die 29-jährige Dresdnerin stammt aus einem musikalischen Elternhaus: Mutter und Vater sind Musiklehrer. Die kleine Anna lernte Klavier, Flöte, Akkordeon und ein bisschen Geige. Doch für ihre musikalische Entwicklung war etwas anderes wichtiger: die Möglichkeit, die Welt der Musik auf eigenen Wegen zu entdecken. – So wie heute ihr sechsjähriger Sohn.

"Der saß auf der Schaukel. Die Schaukel quietschte und machte immer quieeeeek – und dann sah man so das Gesicht, sah, wie er anfing nachzudenken und irgendwann sprach er dann so ganz leise mit: Bitte. Danke. Bitte. Danke. Und so. Und das mein ich eben: Musik in allem – das ist auch was, was mich fasziniert."

2003 hat Anna Maria Scholz ihr Gesangsstudium in Dresden beendet. Sie hat Straßenmusik gemacht, in einer Funkband gesungen und spielt zurzeit in zwei kleinen Formationen – einmal mit ihren beiden Gitarristen und dann mit den "Außensaitern", einem Gitarristen und einem Cellisten. Noch vor kurzem musste sie Hartz IV beantragen – obwohl die Konzerte ausverkauft waren. Inzwischen läuft es besser. Doch das heißt auch, dass es für die Alleinerziehende immer schwieriger wird, Job und Privates zu verbinden.

"Mein Sohn kriegt schon ein Gesicht, wenn mein Telefon klingelt. Und manchmal sagt er: Geh nicht ran. Und es ist das Schönste für ihn, wenn ich nicht rangehe. Und da gibt’s dann ein großes Achtung in meinem Kopf. – Und heute zum Beispiel, pünktlich zum Frühstück, hat er mir offeriert, dass er krank ist, indem er gesagt hat: Mama, ich muss brechen. Da steht man dann schon vor der Frage: Was mach ich jetzt? Was verdammt mach ich jetzt?"

Anna Maria Scholz schreibt Texte darüber – über die Ironie und die Tragikkomik des Lebens. So entstehen Titel wie "Bulimieswing" oder "Bandmatratze". – Die großen Themen im Kleinen behandeln, spottet sie: Wahrheit, Licht, Hoffnung, Freiheit. Und doch meint sie es ernst.

"Für mich ist es ein großes Thema, beteiligt zu sein daran, die Leute wegzuunterhalten oder zu unterhalten aber auch genauso dranzubleiben an bestimmten Themen."

"Wollt ihr die, wollt ihr die, wollt ihr die totale Unterhaltung?" – "Jaaa!" – "Um nicht allein zu sein."