Die Angst vor dem Nestklau

Dieter Zingel im Gespräch mit Dieter Kassel · 11.05.2012
Halsbandsittiche sind die am weitesten verbreitete Papageienart weltweit. Inzwischen haben sie sich auch im Rhein-Main-Gebiet angesiedelt. Die grünen Vögel stehen im Verdacht, Nestklauer zu sein. "Das ist eine Sache, die wird oftmals hochgespielt", sagt Hobby-Ornithologe Dieter Zingel.
Dieter Kassel: Seit über 40 Jahren breiten sich in Deutschland Vögel aus, die hier eigentlich gar nichts zu suchen haben: Halsbandsittiche. Sie sind grün und sehr hübsch, und das hat zur Folge, dass Menschen, die sie in Stadtparks antreffen, sich meistens über diese Vögel freuen. Und es ist längst nicht mehr schwierig, sie zu treffen, zumindest in gewissen Gegenden. In Köln, in Heidelberg und auch besonders im Rhein-Main-Gebiet leben viele Halsbandsittiche, insgesamt sollen es in Deutschland so zwischen 8000 und 9000 inzwischen sein.

Wie gesagt, die Spaziergänger, die freuen sich meistens darüber, einige Naturschützer aber haben Bedenken: Halsbandsittiche nehmen angeblich zum Beispiel Spechten ihre Bruthöhlen weg, stellen deshalb eine Gefahr für einheimische Tierarten dar. Dieter Zingel beobachtet die Halsbandsittiche in seiner Heimatstadt, in Wiesbaden, seit sie da sind, seit etwa 1974. Er sieht sie dort vor allem im Biebricher Schlosspark, da gibt es ganz viele. Aber da ist er im Moment nicht, im Moment ist er für uns ins Studio der Kollegen vom Hessischen Rundfunk gegangen. Schönen guten Tag, Herr Zingel!

Dieter Zingel: Guten Tag, Herr Kassel!

Kassel: Müssen sich denn in Ihren Augen tatsächlich deutsche Spechte, Hohltauben, Kleiber und andere wegen der Halsbandsittiche um ihre Bruthöhlen Sorgen machen?

Zingel: Eigentlich nicht, denn die Spechte bauen regelmäßig bei jeder Brut eine neue Höhle, in der sie ihre Brut aufziehen. Deswegen sind ja auch die höhlenbrütenden Halsbandsittiche mit den Altbauwohnungen der Spechte zufrieden. Es gibt vielleicht eine Vogelart, die von den Sittichen ernsthaft, ich sage mal, von der Höhle verjagt werden kann, und zwar ist das die Hohltaube. Aber wenn die Hohltaube ... und das ist ein so großer Vogel, dass der gar nicht in Grünspecht- oder Buntspechthöhlen hineinpasst, das ist eher ein Vogel, der in uralten Bäumen, in ausgefaulten Astlöchern gut Möglichkeiten findet, und dort gelegentlich vor allen Dingen im Kölner Raum von den großen Alexandersittichen verjagt wird.

Die anderen Höhlenbrüter wie Stare haben in der Regel keine Probleme, auch die Dohle hat kein Problem. Bei der interspezifischen Konkurrenz um Nisthöhlen siegen im Wesentlichen, zumindest bei uns in Wiesbaden, die einheimischen Vögel, und wir konnten in einem Fall sogar nachweisen, dass ein winzig kleines Blaumeisenpärchen eine Halsbandsittichbrut in einem Spechtloch verhindert hat und selbst diese Höhle bezogen hat.

Kassel: Das kann ich mir jetzt gar nicht vorstellen. Ich stelle mir jetzt gerade die Größenverhältnisse zwischen diesen beiden Vögeln vor. Sind denn dann die Halsbandsittiche besonders feige oder sind die gar nicht so kräftig, wie sie aussehen?

Zingel: Die Halsbandsittiche und auch die Alexandersittiche kämpfen untereinander extrem um eine Höhle, da kann es also zu üblen Luftkämpfen kommen und auch zu richtigen Beißereien. Bei der interspezifischen Konkurrenz, da geben sie sehr schnell nach. Das ist ganz überraschend. Und wir haben in Sri Lanka beobachtet, dass in einer Spechthöhle die großen Alexandersittiche von den Maina-Staren vertrieben worden sind - die sind nur halb so groß wie diese Sittiche. Also das ist eine Sache, die wird oftmals hochgespielt, auch so in den Medien, in der Presse liest man da gelegentlich Dinge, die so nicht stimmen.

Und es gibt übrigens eine Ulrike Ernst aus Köln, die hat ihre Diplomarbeit über die Sittiche in der Stadt Köln geschrieben, und die ist zu ähnlichen Erkenntnissen gekommen wie auch ich, mit einer Ausnahme: dass die Hohltaube, die ja praktisch nur in größere Höhlen hineinpasst aufgrund ihres Körperumfangs, überhaupt nicht an Spechthöhlen interessiert ist. Im Wald geht sie allerdings in die sehr großen Höhlen der Schwarzspechte.

Kassel: Es gibt ja auch noch andere - na ja, ob es üble Verleumdungen sind oder nicht, das möchte ich jetzt mit Ihnen klären -, andere Vorwürfe gegen die Halsbandsittiche, die haben jetzt nichts mit anderen Tierarten zu tun, sondern eher mit Hausbesitzern. Die beschweren sich nämlich darüber, dass angeblich Halsbandsittiche Löcher in gedämmte Hauswände graben, um dort zu brüten. Ist das wahr?

Zingel: Jawohl. Wir haben das in Wiesbaden beobachtet, auch in gedämmten Hauswänden, wobei man für den Wiesbadner Raum allerdings sagen muss, dass diese Hauswände, die gedämmten, vorher von Buntspechten entdeckt worden waren, und dass die Buntspechte zunächst Löcher hineingehauen haben, um eventuell Insekten dahinter zu fangen, denn wenn man gegen so eine gedämmte Wand klopft, klingt es sehr hohl, also ähnlich wie so ein Baum, ein hohler Baum. Und die Sittiche, die sind ja sehr clever, die haben dann diese Löcher entdeckt und haben dann darin gebrütet, mehrfach schon. Aber mir wurde berichtet, dass sie auch tatsächlich in der Lage sein sollen, selbstständig in gedämmte Hauswände einzudringen und dort ihre Brut zu verrichten.

Kassel: Das sind die Schäden, die sie eventuell an gedämmten Fassaden anrichten können. Aber sie haben auch den Ruf, gelegentlich Schäden in Gärten anzurichten.

Zingel: Ja, auf jeden Fall. Die Halsbandsittiche sind ja in ihren asiatischen Heimatländern, in Indien und Sri Lanka, als schwerer Ernteschädling gefürchtet. Sie gehen dort an alle Arten von Getreide und auch an Obst. Bei uns haben wir sie noch nicht beim Verzehren von Getreide gesehen. Es ist jedoch so: Wenn ein Schwarm von etwa 20 von diesen Vögeln über einen Nussbaum oder einen Obstbaum herfällt, dann kann es sein, dass der Besitzer dann nachher kaum noch was ernten kann. Die Vögel gehen extrem verschwenderisch mit ihrer Nahrung um und sie beißen immer neue Früchte ab.

Dazu ist einfach dieses Angebot, was man in manchen Bäumen sieht, für die zu verlockend. Und wenn ihnen aus dem Schnabel oder aus der Greifhand, wie man den Fuß nennt, der die abgebissene Frucht umfasst, runterfällt, dann setzt er nicht nach, sondern beißt wieder eine neue Frucht ab. Ich selbst habe auf diese Art und Weise schon an meinem Birnbaum ganz erhebliche Verluste gehabt.

Kassel: Nun merkt man aber natürlich, dass Sie eigentlich ein großer Freund dieser Vögel sind. Sie beobachten sie ja seit 1974. Schlagen da zwei Herzen in Ihrer Brust, wenn Sie in den Garten kommen und der Birnbaum ist hin?

Zingel: Das ist schon so. Man muss halt in der Zeit ... Also wenn man interessiert ist an seinem eigenen Obst, dann sollte man in der Zeit, wo das Obst reif ist, wenn man denn Zeit hat - ich bin Pensionär, ich habe die Zeit -, sollte man sich möglichst lange im Garten aufhalten, um die Kerle, wenn sie kommen, sie einfach durch In-die-Hände-Klatschen zu vertreiben.

Sie unterliegen ja dem Naturschutzrecht, das heißt, selbst Erwerbsgärtner, Erwerbswinzer und Erwerbsbauern dürfen, wenn sie in Scharen über ihre Felder oder über ihre Obstplantagen herfallen, sie nur mit den üblichen Mitteln vertreiben, wie sie das auch bei Drosseln oder Staren tun. Die Vögel unterliegen nicht dem Jagdrecht, sie dürfen deswegen nur mit üblichen Mitteln vertrieben werden, nicht abgeschossen werden.

Kassel: Wir reden heute Nachmittag hier im Deutschlandradio Kultur mit dem Hobby-Ornithologen und Papageienexperten Dieter Zingel, der seit 1974 in Wiesbaden unter anderem Halsbandsittiche beobachtet. Von dieser Vogelart gibt es inzwischen um die 8000 bis 9000 Exemplare in Deutschland. Aber, Herr Zingel, Sie haben es ja auch schon erklärt, eigentlich kommen die aus Südasien, also aus Indien und Sri Lanka. Wieso gab es plötzlich zum Beispiel in Wiesbaden ausgerechnet ab 1974 diese Vögel?

Zingel: Also man muss vorausschicken, dass der Halsbandsittich die Papageienart ist, die weltweit am stärksten verbreitet ist, sie lebt nämlich in zwei Kontinenten, in Afrika und in Südostasien, und der Mensch hat sie neuerdings in zwei weitere Kontinente verbracht, nämlich nach Europa und nach Amerika. Die Populationen bei uns in Europa haben sich aufgebaut, als in den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Importbeschränkungen für exotische Tierarten aufgehoben worden sind.

Dabei wurden Halsbandsittiche zu tausenden aus Afrika, aber auch aus Südostasien, vor allen Dingen aus Indien eingeführt, und für ganz geringes Geld in den Geschäften, in Zoogeschäften, aber auch selbst in großen Kaufhäusern, die Zooabteilungen hatten, angeboten. Die Leute, die diese Vögel gekauft haben, die haben aber sehr bald gemerkt, dass das keine Stubenvögel sind. Sie sind sehr laut, sie haben einen starken Bewegungsdrang, und bei Freiflug in der Wohnung, da verbeißen sie auch schon mal einen wertvollen Teak- oder Palisanderschrank. Und so ist wohl mancher Fehlkauf schlicht und ergreifend einfach in die Freiheit entlassen worden. Es sind mit Sicherheit auch Sittiche aus Transporten entflogen, und es gab sicherlich Leute, die so ein klein bisschen lieber Gott gespielt haben und die Vögel ganz bewusst freigelassen haben.

Kassel: Es gibt ja solche Fälle nicht nur bei Vögeln, sondern bei vielen Tieren, dass die entweder freigelassen wurden, dass sie vielleicht auch mal irgendwo ausgebüxt sind aus Geschäften oder auch aus dem Zoo. Es gibt inzwischen irgendwo in der Nähe von Hamburg eine Population von freilebenden Nandus, also südamerikanischen Laufvögeln. Wenn man das beobachtet, so eine Art Globalisierung der Tierwelt - was halten Sie eigentlich davon? Ich meine, die die hier sind, sind hier, damit müssen wir leben, aber ist das eigentlich was Gutes?

Zingel: In diesem Sinne eigentlich nicht, denn an dieser Globalisierung ist schlicht und ergreifend die Spezies Mensch hauptsächlich beteiligt, denn wir haben diese Tiere hierher geholt, und wenn wir nicht aufpassen und sie uns aus der Gefangenschaft entweichen, dann sind das natürlich Faunenverfälschungen, an denen schlicht und ergreifend nur der Mensch dran schuld ist, und man müsste eigentlich den Menschen fragen: Wie wollen wir das wieder in den Griff kriegen? Es gibt ja auch Tiere, die auf natürliche Weise hier eingewandert sind wie manche Flusskrebse oder die Wollhalskrabbe, die jetzt weite Teile des Rheins bevölkert und einheimischen Krebsen das Leben schwer macht. Aber eine Patentlösung, wie man da vorgehen soll in Sachen Globalisierung der Tiere, die habe ich natürlich auch nicht auf Lager.

Kassel: Das war der Hobby-Ornithologe und Papageienexperte Dieter Zingel, wir haben mit ihm über die Halsbandsittiche gesprochen, von denen es inzwischen in Deutschland so um die 8000 bis 9000 geben soll. Mehr zu unserer Themenwoche "Die große Vogelschau" gibt es natürlich im Internet unter dradio.de.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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