Die amerikanische Tea Party
Es war ein unerhörter Erfolg. 87 von der Tea Party unterstützte Abgeordnete, haben Präsident Obama erfolgreich erpresst. Um Steuererhöhungen für die Reichen zu verhindern und Kürzungen im Sozialbereich durchzusetzen, waren sie bereit, die Verhandlungen um die Erhöhung der Schuldenobergrenze platzen zu lassen und die Weltwirtschaft in den Abgrund zu stürzen.
Wie konnte es soweit kommen? Anti-Etatismus ist ein stetig wiederkehrendes Motiv in Amerika. Das Freiheitsverständnis wurde noch vor dem Aufbruch nach Amerika geprägt - durch die Unterdrückung und Verfolgung in Europa. Später kamen die elementaren Erfahrungen der Siedler an der westlichen Grenze, der "Frontier" hinzu. Ersteres führte dazu, dass viele Amerikaner den Staat als despotisch wahrnahmen, während die auf sich allein gestellten "Frontiersmen" den Staat als eine weit entfernte Fiktion erlebten, von dem sie keine Hilfe zu erwarten hatten. An beide Narrative knüpft die Tea Party mit ihrer Propaganda erfolgreich an.
Im Kern aber ist die Tea-Party eine Reaktion auf gesellschaftliche Umbrüche. Seit der "Reagan-Revolution" haben die USA einen Großteil ihrer industriellen Produktion verloren, gut bezahlte und gewerkschaftlich abgesicherte Jobs wurden vernichtet. Während die Reichen immer reicher werden, schrumpft der Mittelstand, bleiben öffentliche Investitionen aus und das Schulsystem bietet immer weniger Menschen eine Chance. Der Egoismus der neuen Eliten prägt die amerikanische Kultur.
Die USA sind heute mehr denn je eine plurale, von Einwanderern geprägte Gesellschaft und die Fortschritte bei der Gleichstellung, etwa von Homosexuellen in der Armee, von Frauen oder in Rassenfragen, entwerten konservative Wertvorstellungen. Es ist kein Zufall, dass die Anhänger der Tea Party überwiegend aus der weißen Mittelschicht stammen. Viele dieser Amerikaner haben aus der Weltmachtstellung ihres Landes Selbstbewusstsein gezogen. Für sie steht auch Obama für den Niedergang amerikanischer Macht.
Das ist eine gefährliche Mischung, denn Politik wird immer komplexer und viele Entscheidungsstrukturen lassen sich kaum mehr nachvollziehen, geschweige denn einzelnen Personen zuordnen. Die Tea Party, finanziert von Amerikas neuer Oligarchie, gibt einfache Antworten und kanalisiert den Hass der Abgehängten. Sie erklärt den Staat zum Feind, die Politiker in Washington zu Helfershelfern, Schuldenmachen zum Sündenfall und Obama zum Sozialisten.
Sie ignoriert Fakten, die nicht ihrer Ideologie entsprechen, denn sie will ihre Gegner nicht überzeugen, sondern zerstören. Damit stellt sie das politische System der USA grundsätzlich in Frage, denn das basiert auf Begrenzung von Macht und dem politischen Kompromiss. Der Vertrauensverlust in die politischen Institutionen - 82 Prozent sind mit der Arbeit des Kongresses unzufrieden - ist ein erwünschter Nebeneffekt.
Hat also Jakob Augstein Recht, wenn er sich resigniert von Amerika abwendet und auf Spiegel-Online behauptet, wir in Europa seien anders? Das Schuldendebakel legt diese Schlussfolgerung nahe. Doch ein Blick auf den eigenen Kontinent sollte genügen, um die Selbstgefälligkeit dieses Urteils zu hinterfragen, denn auch in Europa sind die großen Vereinfacher am Werk.
Die Bilder aus London und die Demonstrationen in Madrid zeigen: die Legitimationskrise der Politik hat uns längst erreicht, die Einkommensschere ist auseinandergegangen und von Wien über Paris bis Oslo sitzen Rechtspopulisten in den Parlamenten. Das Versagen der Politik in der Euro-Krise droht die Europäische Union auseinanderzureißen.
"Es gibt bei uns Abgeordnete, die lieber ihre Gegner verlieren als das Land gewinnen sehen", kommentierte Präsident Obama. Die gute Nachricht ist, dass die Zustimmung zur Tea Party dramatisch eingebrochen ist. Nur noch 20 Prozent der Amerikaner unterstützen sie. Die Wahrheit ist aber auch, dass, wenn sich die Mehrheit nicht zu Wort meldet, eine radikalisierte Minderheit nicht immer Mehrheiten braucht, um sich durchzusetzen.
Niels Annen, SPD-Politiker, geboren 1973 in Hamburg, arbeitet für das Referat Internationale Politikanalyse der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. Er war von 2005-2009 direkt gewählter Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Hamburg-Eimsbüttel und danach Senior Fellow beim German Marshall Fund in Washington DC. Als Mitglied im Auswärtigen Ausschusses des Bundestages zählten u.a. das deutsche Engagement in Afghanistan und im Nahen Osten zu seinen Arbeitsschwerpunkten. Von 2001-2004 war er Bundesvorsitzender der Jungsozialisten. Niels Annen ist seit 2003 Mitglied des SPD-Parteivorstand. Er hat in Hamburg, Madrid und Berlin Geschichte und in Washington International Public Policy studiert.
Links bei dradio.de:
Die Tea-Party-Republikaner im US-Kongress
Wie sie denken, was sie wollen, wie sie handeln
Im Kern aber ist die Tea-Party eine Reaktion auf gesellschaftliche Umbrüche. Seit der "Reagan-Revolution" haben die USA einen Großteil ihrer industriellen Produktion verloren, gut bezahlte und gewerkschaftlich abgesicherte Jobs wurden vernichtet. Während die Reichen immer reicher werden, schrumpft der Mittelstand, bleiben öffentliche Investitionen aus und das Schulsystem bietet immer weniger Menschen eine Chance. Der Egoismus der neuen Eliten prägt die amerikanische Kultur.
Die USA sind heute mehr denn je eine plurale, von Einwanderern geprägte Gesellschaft und die Fortschritte bei der Gleichstellung, etwa von Homosexuellen in der Armee, von Frauen oder in Rassenfragen, entwerten konservative Wertvorstellungen. Es ist kein Zufall, dass die Anhänger der Tea Party überwiegend aus der weißen Mittelschicht stammen. Viele dieser Amerikaner haben aus der Weltmachtstellung ihres Landes Selbstbewusstsein gezogen. Für sie steht auch Obama für den Niedergang amerikanischer Macht.
Das ist eine gefährliche Mischung, denn Politik wird immer komplexer und viele Entscheidungsstrukturen lassen sich kaum mehr nachvollziehen, geschweige denn einzelnen Personen zuordnen. Die Tea Party, finanziert von Amerikas neuer Oligarchie, gibt einfache Antworten und kanalisiert den Hass der Abgehängten. Sie erklärt den Staat zum Feind, die Politiker in Washington zu Helfershelfern, Schuldenmachen zum Sündenfall und Obama zum Sozialisten.
Sie ignoriert Fakten, die nicht ihrer Ideologie entsprechen, denn sie will ihre Gegner nicht überzeugen, sondern zerstören. Damit stellt sie das politische System der USA grundsätzlich in Frage, denn das basiert auf Begrenzung von Macht und dem politischen Kompromiss. Der Vertrauensverlust in die politischen Institutionen - 82 Prozent sind mit der Arbeit des Kongresses unzufrieden - ist ein erwünschter Nebeneffekt.
Hat also Jakob Augstein Recht, wenn er sich resigniert von Amerika abwendet und auf Spiegel-Online behauptet, wir in Europa seien anders? Das Schuldendebakel legt diese Schlussfolgerung nahe. Doch ein Blick auf den eigenen Kontinent sollte genügen, um die Selbstgefälligkeit dieses Urteils zu hinterfragen, denn auch in Europa sind die großen Vereinfacher am Werk.
Die Bilder aus London und die Demonstrationen in Madrid zeigen: die Legitimationskrise der Politik hat uns längst erreicht, die Einkommensschere ist auseinandergegangen und von Wien über Paris bis Oslo sitzen Rechtspopulisten in den Parlamenten. Das Versagen der Politik in der Euro-Krise droht die Europäische Union auseinanderzureißen.
"Es gibt bei uns Abgeordnete, die lieber ihre Gegner verlieren als das Land gewinnen sehen", kommentierte Präsident Obama. Die gute Nachricht ist, dass die Zustimmung zur Tea Party dramatisch eingebrochen ist. Nur noch 20 Prozent der Amerikaner unterstützen sie. Die Wahrheit ist aber auch, dass, wenn sich die Mehrheit nicht zu Wort meldet, eine radikalisierte Minderheit nicht immer Mehrheiten braucht, um sich durchzusetzen.
Niels Annen, SPD-Politiker, geboren 1973 in Hamburg, arbeitet für das Referat Internationale Politikanalyse der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. Er war von 2005-2009 direkt gewählter Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Hamburg-Eimsbüttel und danach Senior Fellow beim German Marshall Fund in Washington DC. Als Mitglied im Auswärtigen Ausschusses des Bundestages zählten u.a. das deutsche Engagement in Afghanistan und im Nahen Osten zu seinen Arbeitsschwerpunkten. Von 2001-2004 war er Bundesvorsitzender der Jungsozialisten. Niels Annen ist seit 2003 Mitglied des SPD-Parteivorstand. Er hat in Hamburg, Madrid und Berlin Geschichte und in Washington International Public Policy studiert.
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Die Tea-Party-Republikaner im US-Kongress
Wie sie denken, was sie wollen, wie sie handeln

Niels Annen© Niels Annen