Die Alaska Railroad

Elche, Adler und Gletscher

07:02 Minuten
Ein Zug der Alaska Railroad Gesellschaft fährt zwischen Waldausläufern und Wasser durch die Landschaft.
Neun blaugelbe Waggons und ein Postwagen machen sich auf den Weg über fast tausend Höhenmeter - die Alaska Railroad verbindet Anchorage und Seward. © Thomas Spang
Von Thilo Kößler · 24.07.2019
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187 Kilometer fährt die Alaska Railroad auf ihrer südlichen Strecke von Anchorage nach Seward. Diese Bahnverbindung durch die Wildnis ist atemberaubend – sie führt hinauf ins ewige Eis. Doch der Klimawandel macht den Wartungstrupps Probleme.
Anchorage, die größte Stadt Alaskas, ist eingebettet zwischen imposanten Bergzügen und der riesigen Bucht des Cook Inlet − und ist eigentlich keine schöne Stadt. Auch der Bahnhof von Anchorage ist ein Zweckbau und keine Attraktion. Dabei gäbe es die ganze Stadt nicht, wenn es nicht diesen Bahnhof gäbe. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Anchorage als Zeltstadt für Bahnarbeiter gegründet, die unter härtesten Bedingungen eine Eisenbahnlinie durch den Permafrost nach Seward legen sollten. Seward liegt 187 Kilometer weiter südlich an der Resurrection Bay am Golf von Alaska.
Seit mittlerweile 100 Jahren gehört die Bahnstrecke nach Seward zu den schönsten der Welt – von Mitte Mai bis Mitte September ist die Alaska Railroad hier täglich unterwegs.
Gemächlich setzt sich der Zug in Bewegung. Neun blaugelbe Waggons und ein Postwagen auf dem Weg über fast eintausend Höhenmeter hinauf ins Gletschereis bis zu den Ausläufern des Bartlett- und des Trail-Gletschers.
Tyler Bogart ist 24 Jahre alt, wurde in Alaska geboren und wird Alaska gewiss nie verlassen:
"Oh, I love my job."
Tyler Bogart sieht in seiner dunklen Uniform der Alaska Railroad und der Schirmmütze mit der goldenen Litze und der Aufschrift "Conductor" so stolz und herausgeputzt aus wie ein Offizier in Ausgeh-Uniform. Tyler Bogart ist der Schaffner an Bord. Ein phänomenaler Job, sagt er:
"It's phenomenal to be a train conductor."
Der Zug kriecht durch die Vororte von Anchorage und macht an jedem Bahnübergang auf sich aufmerksam.

Lebensfeindliches Gelände

Dann fährt er kilometerlang am Turnagain Arm vorbei, einem Seitenarm der Cook Inlet Bucht. Turnagain Arm heißt er, weil die ersten Entdecker, die einen Weg nach Süden finden wollten, just hier immer wieder umkehren mussten. Zu hart und lebensfeindlich erschien ihnen das Gelände.
"I guess you could say, I was a kind of born into this."
Der Job war nicht nur sein Kindheitstraum, sagt Tyler und strahlt über das ganze Gesicht, er habe ihm gewissermaßen im Blut gelegen. Die Alaska Railroad sei für ihn so etwas wie eine Familienangelegenheit. Sein Großvater war 40 Jahre lang bei der Alaska Railroad beschäftigt:
"So he did a lot of different trains, he did the work trains that help the maintenance guys."
Er habe zum Beispiel die Arbeitszüge gefahren, die die Gleisarbeiter hier draußen mit Material versorgen. Oder die berühmte Dampflok Engine ARR No 557, die bis 1966 ihren Dienst tat und seit fünf, sechs Jahren von Bahnenthusiasten wie Tyler renoviert wird. 75.000 Arbeitsstunden haben sie schon investiert.

"Man braucht schon ein bisschen Kraft"

Der Zug kriecht an Seen, Lichtungen und Wäldern vorbei. Ein Elch steht am Wasser. Ein Adler thront auf einem Baumwipfel. Die ersten Gletscher sind am Horizont zu sehen.
"Wir werden von einer SD Mac-Lokomotive gezogen mit 4.300 PS. Und hinten schiebt eine zweite Lok mit 3.000 PS. Man braucht schon ein bisschen Kraft, um uns hier hoch zu bringen."
Kurz vor dem Anstieg zum Spencer-Gletscher hält der Zug kurz in Portage. Den Ort gibt es nur noch als kleine Haltestelle. Bei dem schweren Erdbeben am Karfreitag 1964 wurde er komplett zerstört und mit ihm Teile der Gleisanlagen der Alaska Railroad.
Heute sorgt auch der Klimawandel dafür, dass die Wartung der Gleisanlagen immer aufwändiger wird. Der Treibhauseffekt bringt nicht nur die Gletscher Alaskas zum Schmelzen, sondern lässt auch den Permafrostboden auftauen:
"Im Sommer haben die Wartungstrupps alle Hände voll zu tun. Sie checken die gesamte Strecke und suchen nach Stellen, wo Schnee, Eis und Regen die Gleise unterspült haben. Die Sache mit dem Permafrost ist eine riesige Herausforderung für uns – wir müssen entweder Geröll entfernen, das angespült wurde, oder die Gleise neu unterfüttern, damit sie befahrbar bleiben."
Plötzlich fährt der Zug noch langsamer. Langsamer als Schritttempo. Der Grund hat ein schwarzes Fell und läuft mit Wackelpo vor der Lokomotive her. Mitten auf den Gleisen ist ein kleiner Schwarzbär auf dem Weg zu seiner Mutter:
"So we slowed down. He was just in the middle of the tracks, he just ran in front of us. This is the coolest thing I've ever seen."

Bremsen für die Tiere

Die Bärenmutter fand das offenbar nicht so cool: Sie schickte dem vorüberziehenden Zug einen empörten Blick hinterher, nachdem ihr Junges dann doch noch über die Böschung gekrabbelt war. Das sei eben Alaska, sagt Tyler: Hier gebe es eine Menge wilder Tiere und immer wieder unfreiwillige Begegnungen mit ihnen auf den Gleisen. Der Zugführer sei stets darauf gefasst, für sie zu bremsen.
Viereinhalb Stunden dauert die Fahrt von Anchorage nach Seward – so spektakulär, wie die Fahrt über die Passhöhe war, so spektakulär öffnet sich dann die Bucht bei Seward: Die Resurrection Bay liegt im gleißenden Sonnenlicht, scharf zeichnet sich das Weiß des ewigen Eises vom tiefen Blau des Golfs von Alaska ab.
In Seward beginnt der ursprüngliche Iditarod Trail nach Nome, ganz oben in Alaska. In Seward starten die Whalewatching-Touren in den Kenai Fjords National Parc. In Seward wird man daran erinnert, wie Alaska, "the last frontier", "die letzte Grenze", amerikanisch wurde. William Seward hieß der US-Außenminister, der dem Ort den Namen gab: Er handelte 1867 den Kauf Alaskas mit dem russischen Kaiserreich aus. Aber das ist nun wirklich eine ganz, ganz andere Geschichte.
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