Die Akademie der Künste sucht ihre Bestimmung und einen Präsidenten

Von Jacqueline Boysen |
Sie sollten stets überlegen, was fehlt, wenn sie nicht gebe - hat einst Heiner Müller den Mitgliedern der Akademie der Künste geraten. Und bis heute herrscht in der durcheinander geratenen Künstlersozietät nicht allein Uneinigkeit über die Nachfolge ihres zurückgetretenen Präsidenten Adolf Muschg.
Es fehlt unter den mehr als 350 Literaten, Bildenden Künstlern, Musikern, Film- und Theatermachern und Baukünstlern ein Konsens darüber, welche Aufgabe sie zu erfüllen, wie stark sie nach außen wirken sollten und wie politisch ihre Funktion tatsächlich sein müsste - all jene Fragen, also, an denen Adolf Muschg schließlich verzweifelte und die ihn neben internen Querelen im Dezember dazu bewogen hatten, sein Amt niederzulegen. Für den Essayisten Friedrich Dieckmann vollführt die Akademie intern nun einen Balanceakt: Sie sucht einen Präsidenten von strahlender Autorität, und zugleich sollte sie auch ihre verschiedenen, autonomen Sparten zum Leuchten bringen. Von der Aufgabe der traditionsreichen Institution zeichnet Dieckmann ein klares Bild:

"Sie hat die Öffentlichkeit mit künstlerischen Tendenzen der Zeit bekannt zu machen und das kulturelle Erbe zu bewahren. Und sie hat Freiheit und Anspruch der Kunst gegenüber Staat und Gesellschaft zu behaupten."

Während die einen davor warnen, die Akademie als "Werbeagentur für die Kunst" zu missbrauchen und Künstler an die Öffentlichkeit zu zwingen, weisen andere Akademiemitglieder ihrer Institution ausdrücklich eine eminent politische Funktion zu: Die Akademiemitglieder sollten Anstöße für politische Debatten geben und als Gegengewicht zu Wirtschaft und Politik ihre geistige Substanz in den öffentlichen Dialog einbringen, fordert zum Beispiel der Graphiker Klaus Staeck.

Und auch für den Komponisten Frank Michael Beyer steht die Personalie der Nachfolge Muschgs nicht an erster Stelle. Als langjähriges Senatsmitglied empfiehlt Beyer seinen Akademiekollegen dringend, aktuelle Debatten zu führen, langfristige Reflexionen über zentrale Fragen der Zeit anzustrengen und die Akademie als Beratungsgremium für Politik und Gesellschaft zu profilieren:
"Sie ist angetreten, auch um die Brücke zu schlagen zwischen Kunst und Gesellschaft, … zentrales Anliegen. Das kann nie 100-prozentig gelingen. In Ansätzen bemüht sich die Akademie aber … Auf der anderen Seite … steht die Aufgabe, Politik zu beraten. Aber wir wissen, dass sich die Politik ungern beraten lässt."

Entwirft der Komponist Frank Michael Beyer in Gedanken schon eine Gesprächsreihe über "Kunst und soziale Frage", so antwortet er auf eine Forderung von Adolf Muschg, der Künstlern eine eminent politische Aufgabe zubilligt und diese in der Akademie stets vernachlässigt sah. Friedrich Dieckmann indes widerspricht: Politische Ratgeber könnten Künstler nicht sein; abwegig sei es, anzunehmen, dass sich Gesellschaft und Kunst oder gar Politik gegenseitig befruchteten:

"Künstler sind keine Hummeln und auch keine Blumen, so dass der Vorgang der Befruchtung außer Betracht bleiben sollte. Es ist die Aufgabe der Akademie, die Autorität der Erprobten geltend zu machen - und ohne eine solche Autorität kann eine Gesellschaft gar nicht funktionieren."

Diese Erprobten seien im Durchschnitt viel zu alt, viel zu wenig Damen seien in ihre Reihen berufen worden, lautet der von den Modernisierern oft erhobene Vorwurf an die Berliner Akademie, die inzwischen vom Bund finanziert wird - eine Tatsache, die Kulturpolitiker schon als Aufforderung verstanden haben, die Akademie direkt um Einmischung zu bitten.

Bis morgen schließlich über dem Tagungsort des Plenums im Hanseatenweg weißer Rauch aufsteigt und der Nachfolger für Adolf Muschg gewählt ist, werden ganz andere Machtfragen eine Rolle spielen: Soll die Sektion Baukunst den Präsidenten stellen, schließlich sind ihre Mitglieder verantwortlich für den viel kritisierten Neubau am Pariser Platz? Hat das Ränkeschmieden der Musiker Erfolg, die den Komponisten Udo Zimmermann favorisieren? Hat die Theatermacherin Nele Hertling mehr Chancen als Friedrich Dieckmann, der doch die Satzung der Akademie so intensiv bearbeitet hat, dass er sie schon als Kunstform betrachtet? Hans Helmut Prinzler, Direktor der Sektion Film- und Medienkunst, ist um Sachlichkeit bemüht:

"Da muss man die Kirche im Dorf lassen. Die Kandidaten melden sich nicht vorher an, aber es hat tolle Kandidaten gegeben, kein Partikularinteresse im Vordergrund."

Unter den zahlreichen Namen, die vorab kursieren, findet sich auch der von Daniel Barenboim. Zweifellos, ein brillianter Pianist und Dirigent, politisch und von eindrucksvoller Statur. Aber die Regularien … Barenboim ist nicht Mitglied der Akademie der Künste in Berlin – bisher jedenfalls.