Die Ahmadiyya-Gemeinde in Deutschland

Zwischen Vorzeigemuslimen und Geheimsekte

Ein Mann betet am 11.09.2015 in der Mevlana Moschee in Hamburg während des Freitagsgebets.
Freitagsgebet in Mevlana Moschee in Hamburg © dpa / picture alliance / Daniel Reinhardt
Von Thilo Guschas · 04.10.2008
Die Ahmadiyya-Bewegung ist mehrfach in die Schlagzeilen geraten. Vor allem über ihren umstrittenen Moscheebau in Berlin, der Mitte Oktober eröffnet wird. Doch auch sonst gibt es sehr unterschiedliche Berichte über die kleine muslimische Gemeinde, von der sich andere Muslime scharf abgrenzen. Sind sie nun besonders demokratiefreundlich - oder doch eine Sekte, wie es immer wieder heißt?
Aygül Özkan: "Wir sehen, sie sind sehr, sehr integriert. Ich habe viele Menschen aus der Ahmadiyya-Gemeinde kennengelernt, die sehr erfolgreich sind, viele mit akademischen Abschluss, viele stark im Berufsleben, sehr wenig Gewalt unter den Jugendlichen oder Studienabbrecher oder ohne Ausbildung befindliche Jugendliche. Das zeigt ja, dass sie erfolgreich sind und letztlich keiner einen unterdrückten Eindruck macht."

An diesem Abend fällt kein böses Wort über die Ahmadiyya-Gemeinschaft. Die religiöse Gruppierung hat zu einem Festakt in Hamburg geladen. Die Ahmadis feiern, dass vor 100 Jahren ihr erster Kalif erschienen ist. Die Ahmadiyya vertritt eine Sonderform des Islams. Je nachdem, wen man befragt, erscheint sie als eine Gruppe von integrierten Vorzeigemuslimen - oder aber als demokratiefeindliche Sekte. Auf dem Festakt singt ein Kinderchor. Dann halten Politiker aller bürgerlichen Parteien kurze Reden. Sie loben die Ahmadiyya in den höchsten Tönen. Unter den Rednern ist auch der Religionswissenschaftler Wolfram Weiße.

Wolfram Weiße: "Man kann sagen, dass die Diktion "Sekte" immer von denen benutzt wird, die größer und mächtiger sind. Und von daher ist es so, dass wir uns im akademischen Bereich angewöhnt haben, von religiösen Sondergemeinschaften zu sprechen oder von kleineren religiösen Gemeinschaften. Was den einen als Struktur zu straff ist, ist für die anderen eine angemessene Struktur. Ich kann mir nicht das Urteil anmaßen, darüber zu befinden. Was ich hier sehe, gibt mir keinen Anhaltspunkt dafür."

Den Festakt richtet die "Ahmadiyya Muslim Jamaat" aus. Sie gilt als die weltoffenere der beiden Strömungen, in die die Gemeinde sich teilt. Zu ihrem Glauben gehört, dass es seit hundert Jahren einen Nachfolger des Propheten Muhammads gibt. Mittlerweile ist der fünfte "Kalif" im Amt. Zugegeben, ein verfänglicher Ausdruck, meint die CDU-Politikerin Aygül Özkan. Sie kennt die Ahmadiyya-Gemeinde aus der politischen Arbeit in Hamburg.

Aygül Özkan: "Ich kenne sie soweit, dass man natürlich den Begriff "Kalifat" mit einem anderen Hintergrund verbindet, nicht mit einem religiösen-spirituellen, sondern vor einem Hintergrund der Unterdrückung, vielleicht auch mit Blick auf Terrorismus/Extremismus. Ich halte das für einen Fehler. Man sollte nicht eine Gemeinde mit Vorurteilen belasten, die wirklich friedlich lebt."

Abdul Basit Tariq: "Was uns unterscheidet als Reformgemeinde, ist unser Glaube, dass der verheißene Mahdi und Messias erschienen ist, wohingegen die anderen Muslime noch warten."

Abdul Basit Tariq, Imam der Ahmadiyya. Der Glaube an eine Art "hauseigenen Kalifen" bricht das islamische Dogma, dass auf Muhammad kein weiterer Gesandter mehr folge. Damit hat sich die Gemeinde die Ablehnung der übrigen Muslime zugezogen. Im Ursprungsland der Bewegung, Pakistan, verfolgt man die Ahmadis als Ketzer. Sie scheinen Altbekanntes neu zu deuten: Jesus sei nicht am Kreuz gestorben, sondern wurde 120 Jahre alt. Vor allem wollen sie eines, behaupten die Ahmadis: Verständigung und Frieden.

Abdul Basit Tariq: "Wir glauben nicht an Dschihad, an heiligen Krieg. Der Begründer der Gemeinde hat alle Arten von Krieg mit Waffengewalt verboten. Gegen das Böse kämpfen - aber nicht mit Waffengewalt, sondern mit dem intellektuellen Leben. Wir sollen Bücher schreiben, Vorträge halten, Gespräche führen. Damit kann man das Böse allgemein bekämpfen. Rassismus zum Beispiel, das Unrecht in der Welt, die Unterdrückung der Menschen."

"Der Werbeslogan, der am meisten verwendet wird – auf Hüten, auf Plakaten, auf Transparenten – heißt "Liebe für alle, Hass für keinen". Das kommt natürlich gut an."

... allerdings nicht bei Hiltrud Schröter. Die Sozialwissenschaftlerin hat eine kritische Studie über die Ahmadiyya-Bewegung verfasst. Schröters wissenschaftliche Herangehensweise ist umstritten. Ihre Studie ist ausgesprochen populär – eine Art "Bibel der Ahmadiyya-Kritiker". Schröter ist eine Freundin deutlicher Worte.

Hiltrud Schröter: "Die Ahmadiyya ist eine millenarische Kalifat-Bewegung mit der Ideologie vom Endsieg und mit Großmachtfantasien. Zum Beispiel sagte der jetzt regierende fünfte Kalif: Alle göttlichen Anweisungen von Adam bis Jesus sind im Koran enthalten. Der Sieg wird uns geschenkt werden. Die Ahmadiyya wird die Oberhand auf der ganzen Welt erzielen. Das wurde dann noch erläutert. Die Oberhand werde auf der ganzen Welt in 300 Jahren erlangt sein. Die Ahmadiyya ist weltweit bereits aufzufinden in sämtlichen Erdteilen und zwar ist sie nach neuesten Angaben bereits in 190 Ländern und hat insgesamt 14.000 Moscheen bereits erbaut. Das alles in den gut 100 Jahren."

Auch Johannes Kandel von der Friedrich-Ebert-Stiftung sieht alarmierende Tendenzen bei den Ahmadis.

Johannes Kandel: "Einmal ist da das ungeklärte Verhältnis von Religion und Politik, basierend auf ihrer Vorstellung eines weltweiten Kalifats. Auch wenn sie immer wieder bestreiten, dass es da enge Verbindungen gibt und behaupten, dass ihr Kalif nur ein religiöser Führer ist, ist das in ihrem Schrift nicht sehr eindeutig formuliert. Der zweite Punkt ist die deutlich betonte Geschlechterungerichtigkeit, die bei ihnen Gleichwertigkeit heißt - insofern unterscheiden sie sich nicht von orthodoxen und fundamentalistischen Positionen im Islam."

Abdullah Uwe Wagishauser: "Die Sichtweise ist einfach nur die, dass man das sieht, was in den letzten 30 Jahren hier passiert ist."

Abdullah Wagishauser, der deutsche Präsident der Ahmadiyya. Besonders ärgert ihn der Vorwurf, das Frauenbild der Ahmadis sei rückwärtsgewandt.

Abdullah Uwe Wagishauser: "Wenn man das im Geschichtskontext sieht, ist diese Entwicklung der "sexuellen Revolution" nur vierzig Jahre alt. Ich weiß, wovon ich spreche, weil ich auch einer von diesen 68ern bin, der versucht hat, sein Heil darin zu finden. Das ist etwas, was an der momentanen Situation, wie Leute den "Way of Life" sehen, sich reibt. Auch unsere Frauen wollen natürlich schwimmen gehen, joggen gehen, sich betätigen in allen möglichen Branchen. Wir versuchen Rücksicht zu nehmen auf die Gefühle von Frauen, die sich nicht in dieser Öffentlichkeit, in dieser Atmosphäre aufhalten wollen, wo sich die Geschlechter aufplustern, diesen Geschlechterkampf begehen."

Zerbrochene Ideale der 68er vermengen sich mit einem konservativ ausgelegten Islam. "Den Geschlechterkampf eindämmen": Das klingt nicht nur aussichtslos, sondern auch defensiv. Ein enttäuschter Rückzug aus der Gesellschaft. Auf keinen Fall, meint Schröter. Im Gegenteil, es sei ein Angriff.

Hiltrud Schröter: "Sie wollen eben, sobald sie an der Macht sind, die Scharia durchsetzen. Das will ich auf keinen Fall hier eingeführt haben. Dann geht es uns bald genauso wie Nichtmuslimen in islamischen Ländern. Man kann keine Kirchen mehr bauen, keine eigenen Schulen mehr bauen, keine Ausbildungsstätten für Priester mehr einrichten."

Abdullah Uwe Wagishauser: "Dem Schwachsinn stelle ich mich gar nicht. Das mache ich gar nicht. Da gibt es genügend Islamwissenschaftler, die dazu Stellung bezogen haben. Das ist der einsame Rufer in der Wüste. Das ist Frau Schröter, die so etwas behauptet. Wir haben eine Erwiderung dazu geschrieben. Wir haben das im Augenblick aus dem Internet herausgenommen, um das zu überarbeiten, die wird dann wieder ins Internet reingestellt. Wir haben mittlerweile genügend Aussagen, von renommierten Islamwissenschaftler, die Frau Schröter als unwissenschaftlich darstellen. Ich glaube, das genügt."

Hiltrud Schröter: "Die Ahmadiyya sagt ja, in 50 Jahren spätestens ist es so weit in Deutschland. Das hat sie aber schon vor zehn Jahren gesagt. Bei der Naivität, die hier verbreitet ist, und dem Unwissen, halte ich das auch für möglich. Die Medien unterstellen uns, dass wir fremdenfeindlich sind und Angst vor dem Fremden haben. Dieses Geschwätz."

Johannes Kandel: "Es werden ja auch faschistische Züge unterstellt. Das sehe ich bei der Ahmadiyya sicher nicht. Wo Frau Schröter sicher recht hat, ist, dass es eine starke missionarische Positionierung dieser Gruppen gibt. Es ist eine der aggressivsten missionarischen Gruppen im Gegenwartsislam. Aber daraus jetzt zu schlussfolgern, es gäbe ein Weltherrschaftsprogramm, so eine Art Masterplan, das sehe ich nicht. Das sehe ich eher bei islamistischen Gruppen, und zwar ziemlich deutlich nachweisbar."

Szenenwechsel. Die Tiniusstraße in Pankow-Heinersdorf. Ein abgelegener Vorort von Berlin. Doppelhaushälften mit schattigen Vorgärten – ein biederer Flair. Doch es liegt Ärger in der Luft. Joachim Swietlik steht in einem Büro, das vollgestellt ist mit handgemalten Plakaten.

Joachim Swietlik: "Da steht ganz groß "Nein zur Ahmadiyya-Moschee", und dann das Logo der "ipahb", der "Interessengemeinschaft Pankow-Heinersdorfer Bürger". Soll zum Ausdruck bringen, dass auch im Jahr 2007, als klar war, dass die Moschee gebaut wird, dass der Widerstand der Bürger nach wie vor nicht gebrochen ist. Der wird auch dann nicht gebrochen sein, wenn die Moschee schon ihren Betrieb aufgenommen hat."

Joachim Swietlik führt eine Protestgruppe an. Sie wendet sich gegen den Moscheeneubau der Ahmadiyya in der Berliner Tiniusstraße. Swietlik hat den Internetauftritt der Ahmadiyya auf seinem PC gesichert. Bevor dieser verändert und "weichgespült" wurde, wie Swietlik sagt. Der Mann klickt eine der Seiten auf, die mittlerweile verschwunden seien.

Swietlik: "... dass der Verzehr von Schweinefleisch Auswirkungen auf das menschliche Moralverhalten hat. Das Schwein ist ein schamloses Tier und unterstützt die Ausprägung gewisser Verhaltensweisen des Konsumenten. Der Mensch ist, was er isst. Der Khalifa Hassan Mirza Tahir Ahmad äußerte in dem Zusammenhang, dass er den zunehmenden Hang zur Homosexualität mit dem Schweinefleischverzehr in unserer Gesellschaft in Verbindung setzt."

Eine wirre, hasserfüllte These. Bekannt wurde sie in den Medien unter der Kurzform "Schweinefleisch macht schwul". Ein Skandal, der zur Folge hatte, dass die umstrittene Internetseite der Ahmadiyya "eingedampft" wurde, wie es Swietlik ausdrückt. Auch Johannes Kandel von der Ebert-Stiftung weiß von streitbaren Positionen der Ahmadiyya. Eine besondere Fundgrube ergebe sich, wenn man die Schriften von Hadayatullah Hübsch untersuche, des Pressesprechers der Ahmadiyya.

Johannes Kandel: "Dann wird sehr deutlich, dass sein Menschenrechtsverständnis und eben auch das der Ahmadiyya mit einem allgemeinen Menschenrechtsverständnis, wie es etwa in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung von 1948 formuliert ist, wenig kompatibel ist. Das bezieht sich sehr deutlich auch auf die Frage des Verhältnisses von Mann und Frau. Und es bezieht sich auch auf die Frage der Religionsfreiheit. Obwohl man bei den Ahmadis sagen muss, dass sie bei Apostasie, jedenfalls in Konsequenzen auf den Apostaten, eine etwas tolerantere Position vertreten als der sunnitische Islam."

Eine "Immerhin"-Haltung. Demokratieversäumnisse, aber immerhin sind es keine Fanatiker. Auch der Verfassungsschutz beobachtet die Ahmadiyya nicht – immerhin. Doch Swietlik kann das nicht besänftigen. Bei seiner Recherche im alten Internetauftritt der Ahmadiyya ist er auf eine Freitagspredigt gestoßen, die von einem der Kalifen stamme. Swietlik beteuert, dass er den Text weder gefälscht noch manipuliert habe.

Joachim Swietlik: "Diesbezüglich sind die Gebote ganz deutlich. "Allah sagt, jene, von denen ihr Widerspenstigkeit fürchtet, ermahnt sie, lasst sie allein in den Betten und straft sie." Das steht auch so im Koran. "Wenn sie euch dann gehorchen, so sucht keine Ausrede gegen sie. Dieser Vers gibt keineswegs die Erlaubnis, die Frau wegen Kleinigkeiten zu schlagen". Das impliziert ja: wenn sie dann über die Stränge geschlagen hat, dann darf man aber doch! "Wenn man, nachdem man die vorangegangenen Schritte befolgt hat, sich dazu gezwungen sieht, zu schlagen, dann nur so, dass es keine Spur auf dem Körper der Frau hinterlässt." Also schlagen Sie Ihre Frau nicht mit der Faust, das gibt blaue Flecke, damit kann sie zur Polizei gehen und hat dann nachweisbare Gewaltspuren. Nehmen Sie das Telefonbuch!"

Was bleibt also, unterm Strich? Einerseits: Besorgniserregende Kritik, die jedoch teilweise in Verschwörungsfantasien abgleitet und wissenschaftlich nicht abgesichert ist. Andererseits: Politiker, die sich sportlich geben, wenn es um schwere Vorwürfe geht, wie der, dass Gewalt gegen Frauen gutgeheißen werde. Aygül Özkan von der Hamburger CDU.

Aygül Özkan: "Ich kann es mir nicht vorstellen. Es ist genauso so viel oder wenig dran wie in allen anderen Religionen oder Familien. Wo immer Menschen zusammen sind, gibt es solche und solche. Solche, die auch mal ihre Aggressionen ausleben, aber das hat mit der Religion und dem Glaubensbekenntnis glaube ich nichts zu tun."

Johannes Kandel: "Es ist sicher ein Informationsdefizit. Aber es ist auch die große Sehnsucht bei diesen Politikern, endlich einmal Muslime zu finden, die auch eigentlich völlig angepasst sind und keine Probleme machen. Das sind ja keine Islamisten, von denen werden keine radikalen Töne laut. Insofern sind sie für diese Politiker schon Vorzeigemuslime. Wenn man etwas tiefer gräbt, dann muss man eben doch feststellen, dass es diese Demokratiedefizite gibt. Politiker wären gut beraten, Muslime auch darauf anzusprechen."