Die ach so attraktiven Leichen im Keller
Von Gesine Palmer · 29.07.2013
Wer jemandem schaden möchte, wird schon etwas finden. Mit irgendeinem Fehlerchen kann man jeden erpressen. Nach dem wunden Punkt der Mitmenschen zu suchen, ist ein beliebtes Spiel in unserer Gesellschaft geworden, glaubt die evangelische Theologin Gesine Palmer - und fragt: Warum lassen wir uns das gefallen?
Einmal wäre es mir fast gelungen, Teil einer Verschwörung zu werden. Ich hatte mich bitter über jemanden beklagt. Meine Gesprächspartnerin blickte mir forschend ins Gesicht und sagte: "Er hat bestimmt irgendwas in seiner Vergangenheit, das wir aufdecken können. Jeder hat doch so etwas – wir machen da was, und dann …"
Meine spontane Antwort passte zur Studentin der Theologie: "In einer Gesellschaft, in der Leute Vergangenheiten anderer als Mittel der Erpressung nutzen, möchte ich nicht leben." Meine Gesprächspartnerin schaute mich mitleidig an. "Du bist zu gut für diese Welt" war noch das Harmloseste, was sie zu sagen hatte.
Gemeint war, ich sei unrealistisch, unheilbar naiv – und würde mir dadurch selbst schaden. Ich glaubte, an ihrem Gesicht sehen zu können, wie sie mich am Ende des Disputs für eine Fanatikerin, für etwas Gefährliches hielt. Es war nicht wieder gut zu machen.
Offenbar hatte ich sie um die Aussicht auf eine Frucht ihrer Bemühungen gebracht: Mittun an der erpresserischen Verschwörung hätte ja auch mich erpressbar und zu einem Werkzeug in ihrer Hand gemacht. So aber hatte ich sie – wenn auch absichtslos – bloßgestellt.
Im Zusammenhang der diversen "Leak-Affären" musste ich öfter an diesen Vorfall denken – und an die Menschen, die irgendwo sitzen, Daten über andere sammeln und immer wieder neu entscheiden müssen, was sie damit anfangen.
Die Versuchung, hier und da einen Vorteil aus Erkenntnissen zu schlagen, muss enorm sein. Zumal die Überwacher ja sozusagen hauptberuflich daran gewöhnt sind, sich ins Vertrauen anderer einzuschleichen, um es zu brechen. Nach menschlichem Ermessen ist das böse. Und wie es mit bösen Taten geht, beschreibt Schiller: "Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie, fortzeugend, immer Böses muss gebären."
Freilich muss man, um aus einer Information eine Waffe zu machen, einen eigenen Entschluss fassen. Er ist leichter, als der Entschluss, auszusteigen. Von Leuten, die eine verschworene Gemeinschaft verlassen haben, wird regelmäßig berichtet, dass der "Klebstoff" von Bindungen und Hierarchien im Wissen um die wechselseitige Erpressbarkeit besteht. Das vielbeschworene Vertrauen in solchen Gemeinschaften hat, wenn das so ist, diesen Namen natürlich nicht verdient.
Im Gegenteil: Allen diesen Affären, meiner kleinen, nicht zustande gekommenen, und den großen allgegenwärtigen, ist die Ängstlichkeit der Beteiligten gemeinsam. Und mich hat immer am meisten erstaunt, in welchem Ausmaß man sich auf diese Ängstlichkeit der Erpressbaren und der Erpressten verlassen kann.
Diese Neigung, eher auf Erpressbarkeit zu setzen, mit all ihren angstvollen Kehrseiten, trifft übrigens auch oft auf Menschen, die anderen immer gern die Macht der inneren Einstellung einschärfen wollen. Mit der richtigen Einstellung könne man äußerem Druck leicht begegnen, in ihr liege die wahre innere und dann auch äußere Freiheit.
Warum dann aber die Angst, erpresst zu werden? Warum dann die Angst, jemanden, der nicht erpressbar wäre, nicht im Griff zu haben? Offenbar habe ich da etwas missverstanden. Ich dachte nämlich, sie meinen wirklich die innere Haltung – und also ihre zuerst. Sie aber meinen fast immer ihre Kontrolle meiner Haltung bis ins Innerste. Ich mag das nicht. Auch wenn es mir egal sein könnte. Ich möchte selbst entscheiden, wen ich was etwas angehen lasse.
Um zu wissen, dass man manchmal mit kleinen Schändlichkeiten gut durchkommt, mit mancher Korrektheit hingegen nicht, brauche ich weder private Verschwörungen noch Geheimdienstaffären.
Aber interessant ist schon, was mir diejenigen, die ihre Freunde durchleuchten, ohne sich selbst einer Kontrolle zu stellen, unfreiwillig über ihre eigene innere Haltung verraten: Sie möchten sich auf die Freiheit nicht einmal unter Freunden verlassen.
Schließe ich falsch, wenn ich sage, sie glauben also nicht daran? Und haben also nicht die richtige innere Einstellung zur Freiheit? Was mache ich nun mit dieser Information?
Dr. Gesine Palmer, geb. 1960 in Schleswig-Holstein, studierte Pädagogik, evangelische Theologie, Judaistik und allgemeine Religionsgeschichte in Lüneburg, Hamburg, Jerusalem und Berlin. Nach mehrjähriger wissenschaftlicher Lehr- und Forschungstätigkeit gründete die Religionsphilosophin 2007 das "Büro für besondere Texte" und arbeitet seither als Autorin, aber auch als Redenschreiberin, Trauerrednerin und Beraterin. Ihr wiederkehrendes Thema sind "Religion, Psychologie und Ethik" – im Kleinklein der menschlichen Beziehungen wie im Großgroß der Politik.
Meine spontane Antwort passte zur Studentin der Theologie: "In einer Gesellschaft, in der Leute Vergangenheiten anderer als Mittel der Erpressung nutzen, möchte ich nicht leben." Meine Gesprächspartnerin schaute mich mitleidig an. "Du bist zu gut für diese Welt" war noch das Harmloseste, was sie zu sagen hatte.
Gemeint war, ich sei unrealistisch, unheilbar naiv – und würde mir dadurch selbst schaden. Ich glaubte, an ihrem Gesicht sehen zu können, wie sie mich am Ende des Disputs für eine Fanatikerin, für etwas Gefährliches hielt. Es war nicht wieder gut zu machen.
Offenbar hatte ich sie um die Aussicht auf eine Frucht ihrer Bemühungen gebracht: Mittun an der erpresserischen Verschwörung hätte ja auch mich erpressbar und zu einem Werkzeug in ihrer Hand gemacht. So aber hatte ich sie – wenn auch absichtslos – bloßgestellt.
Im Zusammenhang der diversen "Leak-Affären" musste ich öfter an diesen Vorfall denken – und an die Menschen, die irgendwo sitzen, Daten über andere sammeln und immer wieder neu entscheiden müssen, was sie damit anfangen.
Die Versuchung, hier und da einen Vorteil aus Erkenntnissen zu schlagen, muss enorm sein. Zumal die Überwacher ja sozusagen hauptberuflich daran gewöhnt sind, sich ins Vertrauen anderer einzuschleichen, um es zu brechen. Nach menschlichem Ermessen ist das böse. Und wie es mit bösen Taten geht, beschreibt Schiller: "Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie, fortzeugend, immer Böses muss gebären."
Freilich muss man, um aus einer Information eine Waffe zu machen, einen eigenen Entschluss fassen. Er ist leichter, als der Entschluss, auszusteigen. Von Leuten, die eine verschworene Gemeinschaft verlassen haben, wird regelmäßig berichtet, dass der "Klebstoff" von Bindungen und Hierarchien im Wissen um die wechselseitige Erpressbarkeit besteht. Das vielbeschworene Vertrauen in solchen Gemeinschaften hat, wenn das so ist, diesen Namen natürlich nicht verdient.
Im Gegenteil: Allen diesen Affären, meiner kleinen, nicht zustande gekommenen, und den großen allgegenwärtigen, ist die Ängstlichkeit der Beteiligten gemeinsam. Und mich hat immer am meisten erstaunt, in welchem Ausmaß man sich auf diese Ängstlichkeit der Erpressbaren und der Erpressten verlassen kann.
Diese Neigung, eher auf Erpressbarkeit zu setzen, mit all ihren angstvollen Kehrseiten, trifft übrigens auch oft auf Menschen, die anderen immer gern die Macht der inneren Einstellung einschärfen wollen. Mit der richtigen Einstellung könne man äußerem Druck leicht begegnen, in ihr liege die wahre innere und dann auch äußere Freiheit.
Warum dann aber die Angst, erpresst zu werden? Warum dann die Angst, jemanden, der nicht erpressbar wäre, nicht im Griff zu haben? Offenbar habe ich da etwas missverstanden. Ich dachte nämlich, sie meinen wirklich die innere Haltung – und also ihre zuerst. Sie aber meinen fast immer ihre Kontrolle meiner Haltung bis ins Innerste. Ich mag das nicht. Auch wenn es mir egal sein könnte. Ich möchte selbst entscheiden, wen ich was etwas angehen lasse.
Um zu wissen, dass man manchmal mit kleinen Schändlichkeiten gut durchkommt, mit mancher Korrektheit hingegen nicht, brauche ich weder private Verschwörungen noch Geheimdienstaffären.
Aber interessant ist schon, was mir diejenigen, die ihre Freunde durchleuchten, ohne sich selbst einer Kontrolle zu stellen, unfreiwillig über ihre eigene innere Haltung verraten: Sie möchten sich auf die Freiheit nicht einmal unter Freunden verlassen.
Schließe ich falsch, wenn ich sage, sie glauben also nicht daran? Und haben also nicht die richtige innere Einstellung zur Freiheit? Was mache ich nun mit dieser Information?
Dr. Gesine Palmer, geb. 1960 in Schleswig-Holstein, studierte Pädagogik, evangelische Theologie, Judaistik und allgemeine Religionsgeschichte in Lüneburg, Hamburg, Jerusalem und Berlin. Nach mehrjähriger wissenschaftlicher Lehr- und Forschungstätigkeit gründete die Religionsphilosophin 2007 das "Büro für besondere Texte" und arbeitet seither als Autorin, aber auch als Redenschreiberin, Trauerrednerin und Beraterin. Ihr wiederkehrendes Thema sind "Religion, Psychologie und Ethik" – im Kleinklein der menschlichen Beziehungen wie im Großgroß der Politik.

Gesine Palmer© privat