Die Absage an Arcandor

Von Heike Göbel |
Am Ende dieser Woche sehen die Beschäftigen eines heruntergewirtschafteten Kaufhauskonzerns in eine ungewisse Zukunft. Wie Hohn müssen ihnen die Beschwichtigungen der Bundesregierung in den Ohren klingen, in der Insolvenz von Arcandor liege auch eine Chance für die Sanierung.
Über Monate hat die Politik schließlich, mit Ausnahme des jungen Wirtschaftsministers zu Guttenberg, alles getan, um eine Insolvenz als den Todesstoß eines Unternehmens zu verteufeln. Jetzt ist sie umgeschwenkt und propagiert die Vorzüge des vor zehn Jahren eingeführten, planmäßigen Insolvenzverfahrens, aus dem viele Unternehmen geschrumpft, aber stärker hervorgehen können.

Tatsächlich berechtigt die Statistik zu einiger Hoffnung. Danach kommen zwei von drei Unternehmen "lebend" aus der Insolvenz, darunter zuletzt die Modehauskette Sinn-Leffers. Ein positives Beispiel ist auch der Maschinenbauer Babcock-Borsig, der Postzusteller Pin. Auch der im Dezember insolvent gewordene Bremsenhersteller TMD Friction ist heute schuldenfrei. Gleichwohl gebietet die Ehrlichkeit eine klare Empfehlung an die Betroffenen, sich lieber nicht allein auf die Kunst des Insolvenzverwalters zu verlassen. Oder gar auf weitere staatliche Anstrengungen: Denn selbst jetzt noch nähren Bundeskanzlerin Merkel und Kanzlerkandidat Steinmeier die Erwartung, der Staat werde das Insolvenzverfahren eng begleiten und sich am Ende vielleicht doch helfend einmischen, sei es mit Zuschüssen zur Innenstadtbelebung oder Fortbildungsprogrammen. Tatsächlich ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass im schwierigen Markt für Warenhäuser nicht alle Arbeitsplätze erhalten bleiben. Wer kann, sollte sich selbst auf die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz machen, je schneller, desto besser.
Viel zu lange hat die Bundesregierung den Arcandor-Beschäftigten und damit auch den Mitarbeitern anderer notleidender Unternehmen vorgegaukelt, der Staat sei vielleicht auch in ihrem Fall bereit, gegen Konjunktur, Marktlage und Wettbewerb ein marodes Unternehmen mit Staatsgeld am Leben zu halten. Schließlich hat sie mit der Hilfe für Opel einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen, wie die Ökonomen des Sachverständigenrates zu Recht kritisiert haben. Warum Opel, warum nicht Arcandor? Die Bundesregierung hat sich hier selbst in Erklärungsnot gebracht. Bei Opel hat sie sich über alle Bedingungen hinweggesetzt hat, die für staatliche Hilfe erfüllt sein sollten. Auch Opel war schon vor Beginn dieser Rezession in Schwierigkeiten. Und auch für Opel gibt es keinen privaten Investor, der dem angeblich zukunftsträchtigen Geschäftsmodell des Autoherstellers soweit traut, dass er selbst bereit wäre, erhebliche finanzielle Risiken einzugehen. Gemessen an Opel hätte die Bundesregierung also auch Karstadt retten müssen – und viele andere mehr.

Warum die Politik in letzter Minute vor der Arcandor-Hilfe zurückgeschreckt ist, kann man nur vermuten. Mag sein, dass das schlechte Abschneiden der SPD bei der Europawahl zu einer Neubewertung der staatlichen Rettungseinsätze geführt hat. Schließlich hat sich das nächtelange Ringen um Opel vergangenen Sonntag so gar nicht in Wählerstimmen niedergeschlagen. Auch die CDU musste Verluste hinnehmen. Während die CSU, die mit Wirtschaftsminister zu Guttenberg einen prominenten Skeptiker von zu viel Staatshilfe stellt, besser abschnitt als erwartet und auch die FDP kräftig zugelegt hat.

Vertrauenerweckender wäre es, wenn nicht Wahlergebnisse sondern die Rückkehr eines ordnungspolitischen Gewissens den Ausschlag gegen die Hilfe für Arcandor gegeben hätte. Doch als Beispiel und Signal, dass der Staat künftig nur noch in besonderen Ausnahmen hilft, will die Bundesregierung Arcandor nicht verstanden wissen. So ist die Sogwirkung des 100-Milliarden-Euro schweren Staatsfonds in Berlin ungebrochen. Mehr als tausend Unternehmen stehen in Berlin weiter an um Bürgschaften und Staatskredite. Damit wächst die Sorge, dass der Staat die Balance verliert, durch zu viel Hilfe wichtige Marktregeln außer Kraft setzt - und so den Weg aus der Krise erschwert und verlängert.

Diese Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen. Nach wie vor muss das Hauptaugenmerk der Politik eigentlich den Banken gelten. Erst wenn das Problem der toxischen Papiere in den Bilanzen geklärt ist und der Geldmarkt wieder funktioniert, wird sich die Kreditvergabe normalisieren und die Bereitschaft wachsen, wieder neue Risiken zu finanzieren. Es ist richtig, das der Staat diesen Gesundungsprozess im Auge behält und mit Bürgschaftsprogrammen einspringt, wenn die Folgen für die Realwirtschaft zu hart werden. Doch zeigt sich nun, dass vor wichtigen Wahlen die Verführung groß ist, zu freigiebig zu werden. Hilft die Politik den falschen Unternehmen, verhindert sie den notwendigen Wandel der Wirtschaft. Niemand sollte glauben, dass es nach einem derartigen Abschwung, der fast alle Märkte weltweit erfasst hat, weiter geht wie bisher. Geschäftsmodelle und Absatzkanäle werden sich ändern, es gilt neue Kunden zu finden und andere Wünsche zu erfüllen als bisher.

Die staatlichen Rettungsaktionen laden dem Steuerzahler zugleich enorme Risiken auf. Die zu schulternden höheren Steuern und Abgaben können die wirtschaftliche Erholung auf Jahre hinaus erheblich belasten. Diese Gefahr ist mit der Absage an Arcandor leider nicht gebannt.