Dick vom Fläschchen

Von Udo Pollmer |
Ein Stoff steht schon seit längerem in Verdacht, giftig zu sein, jetzt soll er auch noch „das metabolische Syndrom fördern“, also Übergewicht, Herzinfarkt und Diabetes, so Focus-online. Es geht um Bisphenol A, ein sogenannter Weichmacher für Plastik, der zu allem Überfluss in bruchfesten Babyfläschchen enthalten ist.
Wozu braucht man eigentlich für ein bruchfestes Babyfläschchen einen Weichmacher? Man braucht auch keinen. Bisphenol A ist natürlich auch kein Weichmacher, sondern ein Monomer, also ein Grundstoff, aus dem der Kunststoff selbst hergestellt wird. Bisphenol wird für zahlreiche sehr unterschiedliche Kunststoffe und Kunstharze benötigt.

Wie riskant ist Bisphenol nach derzeitigem Stand für den Säugling? Bisphenol A ist wirkt so ähnlich wie ein Östrogen. Wenn man trächtigen Versuchstieren den Stoff während der Trage- und Säugeperiode verabreicht, kommt es beim Nachwuchs zu einer stärkeren Gewichtszunahme. Bei weiblichen Mäuschen wurde die Pubertät etwas vorgezogen, bei männlichem Nachwuchs wurde zeitweise eine erhöhte Aggressivität festgestellt. Für diese Effekte genügten bereits relativ niedrige Dosierungen. Bei höheren Dosen kommt es allerdings nicht zu noch schnellerer Gewichtszunahme, sondern zu einer Verlangsamung. Natürlich hängen auch diese Effekte wiederum davon ab, welchen Ratten- oder Mäusestamm man verwendet. Und dann kommen natürlich noch die Wechselwirkungen dazu. Hier weiß man beispielsweise, dass Vitamin C die Schädlichkeit deutlich erhöhen kann.

Wie kann es sein, dass man Jahrzehntelang Babyfläschchen verkauft und erst jetzt merkt, dass hier ein Risiko bestehen könnte? Ganz einfach: Man hat die Migration, also den Übergang von Kunststoffchemikalien ins Lebensmittel, bei der üblichen Temperatur im Labor getestet. Und da verhält sich das Bisphenol relativ passiv. Nun werden aber die Fläschchen auf 37° erhitzt – oder noch mehr und man lässt sie dann abkühlen. Bei höherer Temperatur nimmt die Migration deutlich zu. Nun hat man die Fläschchen experimentell auf 70° Grad erhitzt und sechs Tage lang bei dieser Temperatur gehalten. Da waren die Werte natürlich beachtlich. Allerdings sind die Ergebnisse recht unterschiedlich, je nachdem welche Flasche man erwischt. Zu allem Überfluss scheint die Migration im Laufe der Zeit eher zu- als abzunehmen.

Würden Sie diese Fläschchen jetzt wegwerfen? Ehrlich gesagt nicht, weil immer irgendwas migriert. Dann kommt hinzu, dass einige Kunststoffe zum Beispiel gefährliche Stoffe wie Schimmelgifte absorbieren. Die werden dann in der Spülmaschine wieder rausgewaschen. Also Vorsicht mit eindimensionalen Bewertungen. Und ganz unter uns: Bisphenol A ist ja ein östrogen wirksamer Stoff – wenn Sie Ihren Sprösslingen Sojamilch geben, dann haben Sie da Phyto-Östrogene drin, die für Säuglinge eindeutig problematischer sind als die Flasche selbst.

Und wenn ich gezielt Bisphenol A vermeiden will? Bedenken Sie bitte, dass es viele Aufnahmewege für Bisphenol gibt. Da Bisphenol und seine Verwandten vor allem für Coatings von Blechen verwendet werden, finden Sie diesen Stoff in allen Produkten wieder, die in innenlackierten Blechgebinden gehandelt werden. Da die Lebensmittelwirtschaft viele Rohstoffe darin transportiert, finden Sie es überall. Bei Konservendosen, die an den Endverbraucher abgegeben werden, ist die Belastung besonders hoch – einfach deshalb, weil die Oberfläche groß ist bei geringer Füllgutmenge. Ein anderer Belastungspfad geht beispielsweise über Zahnfüllungen aus Kunststoff. Sie haben die dubiosen Quecksilber-Legierungen abgelöst

Aber wir können die Hände doch nicht in den Schoß legen? Auf keinen Fall, denn die Substanz ist ganz klar nicht „hasenrein“. Aber reflexartiges Verbieten schafft keine Lösungen, sondern nur neue Risiken. Die Erfahrungen mit meisten Ersatzstoffen waren in der Vergangenheit ziemlich ernüchternd. Man hat einfach einen toxikologisch gut untersuchten Stoff durch eine weitgehend unbekannte Substanz ersetzt. Dann konnte auch niemand etwas dagegen sagen, weil keine Daten da waren. Aus meiner Sicht ist es zwingend notwendig die Migration von Bisphenol A ins Lebensmittel deutlich zu vermindern, ganz vermeiden kann man sie jedoch nicht.

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