Dick aufgetragene Musiksauce

Von Frieder Reininghaus · 23.02.2008
Thomas Braschs Stück kann als eine Abrechnung mit seinem Vater gelesen werden. Seine Hauptfigur Rotter steht während des Faschismus auf der Seite der Nazis und engagiert sich später in der DDR. Katharina Thalbach hat die Oper in einem Bahnhof der deutschen Geschichte angesiedelt. Das Arrangement funktioniert nach der Aufbereitungstechnik eines Guido Knopp.
Die Schauspielerin Katharina Thalbach, eine der Lebensgefährtinnen des Schriftstellers Thomas Brasch (1946–2001), hat zusammen mit einem Dramaturgen der Kölner Oper für diese "Rotter" zum Libretto verdichtet (die Reime sind teilweise unsäglich). Braschs Schauspiel, uraufgeführt 1977 in Stuttgart, rechnete mit einem resistenten Typ des deutschen Normalbürgers ab (und gewiss auch mit dem eigenen Vater, der bis in die Leitungsebene des DDR-Kulturministeriums aufgestiegen war): Ein am Ende der Weimarer Republik deklassierter Metzgerlehrling stößt zur "Bewegung", beteiligt sich in der Nazizeit an der Plünderung eines jüdischen Geschäfts, zieht mit der Wehrmacht in den Vernichtungskrieg, hat mehr Glück als Verstand beim "Zusammenbruch", nimmt am Aufbau der DDR, der Niederschlagung des Aufstands vom 17. Juni 1953 und am weiteren industriellen Aufschwung der Planwirtschaft teil.

Bei solchem vorbildlichen Aktivismus verstockt und verendet die nie richtig in Fahrt gekommene Ehe des Karl Rotter (gebührend modulationsfähig: Hans-Georg Priese) mit Elisabeth (in allen Stimmungs- und Lebenslagen bestens präsent: Regina Richter). Zumal der frühere Liebhaber, der Anarchist Lackner (in Gestalt von Albert Bonnema stimmlich und darstellerisch ein ganzer Kerl!), als Gegenstück zum stets konformen Rotter weiter durchs Stück geistert. Der Dirigent Hermann Bäumer engagiert sich sehr umsichtig für diese flink geschriebenen, mit teils süffiger, strukturell überwiegend tonaler Filmmusik unterfütterten zwölf Szenen.

Katharina Thalbach, die an der Kölner Oper bereits "Salome" und "Jenufa" inszenierte, hat die Rotter-Episoden in einem (von Momme Rörbein entworfenen) Bahnhof der deutschen Geschichte angesiedelt: Über drei Gleisen und unter den Bögen der Stahlkonstruktion ein wenig Abglanz und notgeschlachtetes Elend der "goldenen" 20er Jahre, Kostüme, Züge der Zeit und kleine Unanständigkeiten (wichtiger als ein Rauchverbot wäre die Verbannung von Würstchen aus deutschen Theaterbahnhöfen!). Dazu ein Viehwaggon (man ahnt: mit ihm werden nachher die Juden abtransportiert ... und tatsächlich, wir werden nicht enttäuscht!).

Das Arrangement der geschäftig erfüllten historischen Stationen funktioniert nach der grobkörnigen Aufbereitungstechnik und Filmästhetik eines Guido Knopp: Hindenburgs Beisetzung, Pogrom, Denunziation, hastige Hochzeit, Aufbruch an die Ostfront, letzte Gefechte. Die Bahnhofskuppel weitet sich zum Zeittunnel für den nicht ganz unfallfreien sozialistischen Aufbau. Da finden sich in Text und Inszenierung ein paar derb-komische Momente, z.B. wenn Rotter von einer Maurerbrigade in einen Schornstein gesperrt wird, aus diesem oben rausschaut und so "historischen Überblick" gewinnen kann.

Wenn aber nach drei Stunden der zwangspensionierte Held der östlichen Welt zum Himmelsflug ansetzt, wirft sich die Frage auf: Hat diese ordinäre deutsche Familiengeschichte, halb Trittbrettfahrt einer ausgelaugten Holocaust-Industrie, halb wohlwollende DDR-Aufbaukritik, so dick aufgetragene Musiksauce benötigt?

Einzig bei zwei "Märchen"-Reminiszenzen, die Regina Richter höchst anrührend gestaltet, scheint der Musik-Einsatz evident: bei einer an den "Volkston" Tiecks und Uhlands anknüpfenden Ballade über die unrechtmäßige Tötung eines Knaben sowie bei einer ausgesungenen Fabel vom alten König, der hoch auf dem Berge thront und die zum Fleiß angetriebenen Arbeiter im tiefen Tal überwacht.

Wenn man sich zu der von Torsten Rasch bedienten Art der Betönung positiv stellt: Warum nur muss der Sound so unsäglich anachronistisch ausfallen? Denn weder trifft das Brasch-Rasch-Kompilat im Stil einer Siegfried-Matthus-Nachfolge das, was für die von den jeweiligen Szenen porträtierte Zeit typisch gewesen sein könnte, noch etwas, was sich auf der Höhe der Gegenwart bewegt.