Dichter zum Anfassen

Von Thomas Thomson Senne · 28.08.2009
Traditionell trifft sich die Literaturszene am letzten August-Wochenende in Erlangen, um einen ersten Blick auf den deutschen Bücherherbst zu werfen. Zum <papaya:link href="http://www.poetenfest-erlangen.de" text="29. Erlanger Poetenfest" title="29. Erlanger Poetenfest" target="_blank" />, das vom 27. bis zum 30. August stattfindet, werden in diesem Jahr über 80 Schriftsteller, Literaturkritiker und Publizisten zu Lesungen und Gesprächen erwartet.
Bis jetzt standen sie im Mittelpunkt des diesjährigen Erlanger Poetenfestes: Übersetzer. In einer sogenannten Übersetzerwerkstatt gaben sie Kostproben ihres Könnens, stellten neue Projekte vor, lasen daraus Passagen und diskutierten mit den Anwesenden über die Qual der Wahl der richtigen Wörter. Obwohl sich kaum jemand so intensiv mit literarischen Detailfragen beschäftigt wie die Übersetzer, sagt der Romanist und Moderator Adrian La Salvia, gelten sie immer noch als Stiefkinder des Literaturbetriebes.

"Das liegt sicherlich zum einen an dem Schattendasein im Klappentext. Auch daran, dass man bislang Übersetzungen zu wenig als eigenständige, autonome Sprachkunstwerke wahrgenommen hat. Aber auch da stelle ich eine Veränderung fest. Wenn Sie zum Beispiel auf die jetzt erschienene Grimmelshausen-Übersetzung achten: Das hätte man sicherlich früher als aktualisierende Bearbeitung deklariert und das wird heute ganz dezidiert als Übersetzung gekennzeichnet."

Einer war diesmal in Erlangen mit von der Partie, der als enfant terrible der Übersetzerszene in der Vergangenheit für Furore gesorgt hatte: mit seinen Thesen im Zuge einer Homer-Übersetzung, Troja habe sich an der türkisch-syrischen Grenze befunden und nicht am 1000 Kilometer davon entfernten legendären Ausgrabungsort Heinrich Schliemanns.

"Mein Anliegen ist das einer sinngemäßen Übersetzung. Das ist ein wenig etablierter Standpunkt. Bei uns wird Übersetzung stets nach dem Kriterium des Wörtlichen beurteilt. Für mich besteht aber ein Text nicht nur aus der Aussage des rein Wörtlichen, sondern das, was diese Worte zwischen den Zeilen bedeuten, was der Text an Suggestivkraft ausbreitet, was er an Hintergrundwissen vor allen Dingen voraussetzt und das, was er eigentlich in den Köpfen der Leser oder der Hörer erweckt."

Die Verleihung des "Literaturpreises für Poesie als Übersetzung" im barocken Erlanger Markgrafentheater war eine Hommage an Gertrude Stein, deren Texte musikalisch von der Susie Asado Band umgesetzt wurden.

Auch die beiden Preisträger Barbara Köhler und Ulf Stolterfoht gaben an diesem Abend Stein-Texte zum Besten, überzeugten als kongeniale Übersetzer und Sprachjongleure.

Manchmal so verriet beispielsweise Ulf Stolterfoht, habe ihn die Übersetzung der sinnoffenen Poesie von Gertrude Stein an den Rand der Verzweiflung gebracht. Dennoch sei er ihrem Werk treu geblieben – trotz seiner lediglich durchschnittlichen Englisch-Kenntnisse.

"Mein Englisch ist etwa auf Englisch-Leistungskursniveau. Vielleicht etwas besser. Das Problem ist glaub ich das, dass es viele, viele Texte gibt, die auf so jemanden, wie auf uns einfach angewiesen sind, weil sich derer sonst niemand annimmt. Also daraus ziehe ich eigentlich meine Legitimation, dass ich denke, wenn ich' s nicht mache macht' s eh niemand."

Auch Abgründiges ist diesmal auf dem Poetenfest vertreten und damit ist nicht nur die prominent besetzte Podiumsdiskussion zum Thema "Die Unsichtbarkeit des Geldes. Finanzkrise, Vertrauenskrise, Krise der Demokratie" gemeint. In einer "Nacht des Kriminalromans" geben Bestseller-Autoren wie Ingrid Noll Insider-Informationen über abgründige Seelenlandschaften. Fränkische Lokalmatadoren der Krimi-Szene wie Dirk Kruse, der nach seinem erfolgreichen Debüt-Roman "Mord im Augustinerhof" nun mit "Requiem" ein Buch vorlegt, bei dem Neonazis auf dem ehemaligen Nürnberger Reichsparteitagsgelände von einem Serienkiller ermordet werden, bricht eine Lanze für Nürnberg - als Tatort.

"Ich hab mir einfach überlegt: Welcher Spielort funktioniert so, dass er nicht nur in der Region funktioniert, wo er ist, sondern dass er bundesweit funktioniert und vielleicht sogar international. Und da fand ich Nürnberg super. Also ich find Nürnberg genauso regional oder lokal wie Venedig. Nürnberg hat auch noch mehr Einwohner und hat auch ne tolle Geschichte und so. Mich ärgert es manchmal sogar, wenn es heißt: Das ist ein Regional-Krimi. Ist es auch. Für die, die aus Nürnberg kommen, die haben noch einen zusätzlichen Gewinn natürlich, weil sie die Ecken kennen. Aber ich würde mal sagen Henning Mankels Romane in Ista. Das ist ein Kaff mit 20.000 Einwohnern, das ist ein südschwedischer Regionalkrimi und Nürnberg-Krimis sind welthaltige Krimis."

Weniger blutrünstig als Kriminalromane: die Texte von Ulla Hahn. Bei der Veranstaltung "Lyrik.9 – Internationale Nacht der Poesie" stand sie als eine der Hauptakteure auf dem Programm, ist aber auf dem Poetenfest auch mit ihrem neuen Roman vertreten, der im September auf den Markt kommt:

"Bei mir war' s doch wohl so, dass ich irgendwann mit dem Genre Gedicht nicht mehr ausgekommen bin. Es war einfach auch zu viel Welthaltigkeit da. Ich konnte von dem Ich absehen und immer mehr Welt in mein Schreiben mit reinnehmen. Und da hat die eher doch intime Form der Lyrik nicht mehr gepasst. Ich glaube aber, dass, was ich in der Lyrk gelernt habe, diesen präzisen musikalischen Umgang mit dem Wort, dass ich den auch mit hinübergenommen habe in die Prosa."

Wenn das Wetter am Wochenende mitspielt, werden nicht nur In Sälen, sondern auch unter freiem Himmel wieder etliche Autorenlesungen und Gespräche auf zahlreichen Podien im barocken Erlanger Schlossgarten stattfinden: Dichter zum Anfassen auf einem der schönsten Literaturfestivals Deutschlands.