Dichter dran
In dem Buch "Schillers Schädel - Physiognomie einer fixen Idee" beschäftigen sich die Autoren mit der Legendenbildung um die sterblichen Überreste von Friedrich Schiller - mal nüchtern, mal historisch-opulent, mal mit feiner Ironie.
"Faul und brandig, breiartig und ganz desorganisiert", so präsentierte sich die Lunge Friedrich Schillers den obduzierenden Ärzten. Ihr grausiger Bericht findet sich in dem Buch "Schillers Schädel - Physiognomie einer fixen Idee", herausgegeben von Jonas Maatsch und Christoph Schmälzle und erschienen im Wallstein Verlag. Die Monografie begleitet eine gleichnamige Ausstellung, die bis Ende Januar 2010 im Schiller-Museum in Weimar zu sehen ist.
Mal nüchtern, mal historisch-opulent, mal mit feiner Ironie gehen die Autorinnen und Autoren der Monografie ihre Themen an. So räumt Ulrike Müller-Harang, Germanistin und Mitarbeiterin des Weimarer Goethe- und Schiller-Archivs, mit dem Mythos auf, der große Dichter sei heimlich im Dunkel der Nacht in einem Massengrab verscharrt worden. Seine erste Ruhestätte sei ein ehrenvoller Bestattungsort für Standespersonen ohne eigene Grabstelle gewesen, führt sie aus. Ein mitternächtliches Begräbnis gehörte sogar zu den Privilegien des Adels.
Doch die Legendenbildung war nicht aufzuhalten. Renovierte Schillerbilder sollten immer neuen Ansprüchen genügen und bedienten sich dabei doch archaisch-religiöser Muster. Nach einer kurzen Zeit der schlicht-unpolitischen Huldigung traten schon bald Verfechter eines heroischeren Dichters auf den Plan. Davon erzählt Herausgeber Christoph Schmälzle in einem Aufsatz. Man forderte den Abschied vom "kränkelnden" Schillertypus, wollte die "sieghafte Energie seiner stolzen Männlichkeit" ins Zentrum gerückt sehen. Mit wachsendem deutschen Nationalstolz wuchs auch das Pathos der Schiller-Darstellungen. Und je mehr die Waffen klirrten, um so breiteren Raum nahm die künstlerische Beschäftigung mit Schillers Tod ein. Eine Bildpostkarte von 1905 zeigt den sterbenden Dichter "Abschied nehmend von der untergehenden Sonne". Der Metaphorik zuliebe mussten die wahren topografischen Verhältnisse verschoben werden: In Wirklichkeit blickte der sterbende Dichter von seinem Bett Richtung Osten. In seinem gelungenen Text folgt Schmälzle absonderlichen Schiller-Deutungen bis in das geteilte Deutschland.
Und was wurde mit Schillers Schädel nicht alles angestellt! Inspiriert von der pseudowissenschaftlichen "Gall'schen Schädelkunde" hielten angebliche Experten vor einem begeisterten Publikum Reden über die geniale Beschaffenheit des Totenkopfes. Anthropologen rückten mit naturwissenschaftlichem Ernst an und setzten immer feinere Methoden ein, um zu ermitteln, welcher der beiden möglichen Schädel der authentische sei. Alles vergeblich - heute ist Schillers Sarg leer. Spannend erzählt das Schlusskapitel, wie die Gebeine im Jahr 2008 noch einmal ausgegraben wurden. Eine DNA-Analyse ergab, dass keiner der beiden Schädel dem Dichter zu Lebzeiten gehört haben kann. Wo ist er nun, Schillers Schädel? Niemand weiß es.
Neben den Hauptaufsätzen führen ergänzende Texte in Seitenpfade, werfen einen Blick auf Goethes lyrischen Nekrolog auf Schiller oder erörtern die Visualisierungsstrategien der modernen Naturwissenschaft. Eine mit Reproduktionen und Fotografien schön aufgemachte, inhaltlich vielschichtige, rundum gelungene Monografie.
Besprochen von Susanne Billig
Jonas Maatsch und Christoph Schmälzle (Hrsg.): Schillers Schädel - Physiognomie einer fixen Idee
Wallstein Verlag, Göttingen 2009
240 Seiten, 26,90 Euro
Mal nüchtern, mal historisch-opulent, mal mit feiner Ironie gehen die Autorinnen und Autoren der Monografie ihre Themen an. So räumt Ulrike Müller-Harang, Germanistin und Mitarbeiterin des Weimarer Goethe- und Schiller-Archivs, mit dem Mythos auf, der große Dichter sei heimlich im Dunkel der Nacht in einem Massengrab verscharrt worden. Seine erste Ruhestätte sei ein ehrenvoller Bestattungsort für Standespersonen ohne eigene Grabstelle gewesen, führt sie aus. Ein mitternächtliches Begräbnis gehörte sogar zu den Privilegien des Adels.
Doch die Legendenbildung war nicht aufzuhalten. Renovierte Schillerbilder sollten immer neuen Ansprüchen genügen und bedienten sich dabei doch archaisch-religiöser Muster. Nach einer kurzen Zeit der schlicht-unpolitischen Huldigung traten schon bald Verfechter eines heroischeren Dichters auf den Plan. Davon erzählt Herausgeber Christoph Schmälzle in einem Aufsatz. Man forderte den Abschied vom "kränkelnden" Schillertypus, wollte die "sieghafte Energie seiner stolzen Männlichkeit" ins Zentrum gerückt sehen. Mit wachsendem deutschen Nationalstolz wuchs auch das Pathos der Schiller-Darstellungen. Und je mehr die Waffen klirrten, um so breiteren Raum nahm die künstlerische Beschäftigung mit Schillers Tod ein. Eine Bildpostkarte von 1905 zeigt den sterbenden Dichter "Abschied nehmend von der untergehenden Sonne". Der Metaphorik zuliebe mussten die wahren topografischen Verhältnisse verschoben werden: In Wirklichkeit blickte der sterbende Dichter von seinem Bett Richtung Osten. In seinem gelungenen Text folgt Schmälzle absonderlichen Schiller-Deutungen bis in das geteilte Deutschland.
Und was wurde mit Schillers Schädel nicht alles angestellt! Inspiriert von der pseudowissenschaftlichen "Gall'schen Schädelkunde" hielten angebliche Experten vor einem begeisterten Publikum Reden über die geniale Beschaffenheit des Totenkopfes. Anthropologen rückten mit naturwissenschaftlichem Ernst an und setzten immer feinere Methoden ein, um zu ermitteln, welcher der beiden möglichen Schädel der authentische sei. Alles vergeblich - heute ist Schillers Sarg leer. Spannend erzählt das Schlusskapitel, wie die Gebeine im Jahr 2008 noch einmal ausgegraben wurden. Eine DNA-Analyse ergab, dass keiner der beiden Schädel dem Dichter zu Lebzeiten gehört haben kann. Wo ist er nun, Schillers Schädel? Niemand weiß es.
Neben den Hauptaufsätzen führen ergänzende Texte in Seitenpfade, werfen einen Blick auf Goethes lyrischen Nekrolog auf Schiller oder erörtern die Visualisierungsstrategien der modernen Naturwissenschaft. Eine mit Reproduktionen und Fotografien schön aufgemachte, inhaltlich vielschichtige, rundum gelungene Monografie.
Besprochen von Susanne Billig
Jonas Maatsch und Christoph Schmälzle (Hrsg.): Schillers Schädel - Physiognomie einer fixen Idee
Wallstein Verlag, Göttingen 2009
240 Seiten, 26,90 Euro