Dialog zwischen Fotografie und anderen Künsten

Von Jochen Stöckmann |
Seit 1992 war die Foto-Sammlung des Ehepaares Ann und Jürgen Wilde als Dauerleihgabe im Sprengel Museum in Hannover zu sehen. Nach der jetzt eröffneten Schau „Fotografie trifft Malerei – Die Sammlung Wilde“ wird sie in der Münchner Pinakothek eine neue Heimstatt finden.
Ann Wilde: „Wir haben uns auch immer auf die Suche nach den noch lebenden Fotografen gemacht, Klassiker wie Bloßfeldt, Renger-Patzsch und so weiter. Und wir haben das Glück gehabt, dass wir so einige dann auch entdeckt haben wie zum Beispiel die Florence Henri, wie den Piet Zwart, wie Germaine Krull.“

Ende der sechziger Jahre hat Ann Wilde zusammen mit ihrem Mann Jürgen Wilde begonnen, Fotografie zu sammeln. Die Lichtbilder, zumal Schwarzweiß-Aufnahmen aus den Zwanzigern, galten damals nicht sehr viel, wurden kaum als Kunst angesehen. Um so verdienstvoller sind die Entdeckungen, jene Fotokünstler, die heute als Klassiker gelten und im hannoverschen Sprengel Museum nun auf Augenhöhe neben Gemälden italienischer Futuristen, neben Porträts von Kokoschka oder Dada-Collagen des hausheiligen Kurt Schwitters gezeigt werden. Seit 1992 nämlich ist die Sammlung Wilde als Dauerleihgabe in Hannover, erinnert sich Jürgen Wilde:

„Es gab schon andere Sammlungen, in Köln im Museum Ludwig oder im Folkwang Museum Essen, auch in Hamburg. Unsere Sammlung lag in Schubladen. So kam die Idee, im Sprengel Museum, wo es kaum Fotografie gab, unsere Sammlung dorthin zu geben als Dauerleihgabe.“

Im Dialog mit der Malerei lässt sich nicht nur manche Entdeckung machen, werden nicht nur ästhetische Korrespondenzen der Moderne sichtbar. Diese besondere Ausstellungskonzeption der Fotokuratorin Inka Schube illustriert auch einen Wesenszug der Sammler, eine Strategie, die Ann Wilde auf die Frage nach ihrem ganz persönlichen Lieblingsbild erläutert:

„Wir sehen immer das Gesamtwerk. Natürlich fallen einem auf Anhieb immer einzelne Bilder auf. Das sind dann solche Ikonen oder bei Seidenstücker die Pfützenspringerin oder beim Sander die Bauern auf dem Weg zum Tanz. Aber wir haben ja so ähnlich wie der Sprengel gesammelt: in Werkgruppen, auch dieselbe Zeit, die klassische Moderne – und das musste einfach auch einmal so sein, dass es so auch deutlich sichtbar gemacht wird wie jetzt.“

Nach dieser Schau aber wird die Sammlung Wilde Hannover verlassen, die Pinakothek in München hat sich die Fotokollektion auf Dauer gesichert. Und für den hannoverschen Museumsdirektor Ulrich Krempel ist nun zur Abschiedsvorstellung geworden, was ursprünglich als Krönung eines Konzepts geplant war, das über die konventionelle Präsentation als bloßer Fotosammlung hinausging:

„Bloßfeldt, Renger-Patzsch und August Sander, das sind so die Säulen, auf denen das Ganze ruhte. Und das ist dann auch über Wiederholungen auch bestimmter Sachgebiete aus den einzelnen großen Werkgruppen hier immer wieder vorgestellt worden. Irgendwann war dann aber auch, was das betrifft, ein bisschen die Luft raus. Und daraus hat sich dann so eine Idee der Präsentation von Gegenüberstellungen, Kooperationen ergeben – immer im Zusammenspiel mit unseren Kuratoren.“

Kurator in Hannover war bis Ende 2001Thomas Weski, der derzeit im Münchener Haus der Kunst mit einer William-Eggleston-Retrospektive beweist, dass sich auch ganz ohne eigene Bestände fulminante Ausstellungen realisieren lassen. Die Sammler Ann und Jürgen Wilde dagegen haben einen anderen, zweiten Weg eingeschlagen. Der führte an den Museen vorbei, vorerst zumindest.

Ann Wilde: „Und zwar haben wir vor acht Jahren eine Stiftung gegründet in Köln. Das sind die von uns auch über Jahrzehnte aufgebauten Archive zu den Werken von Karl Bloßfeldt und Albert Renger-Patzsch. Im Grunde sind das Archive, richtig gewachsen, und das andere ist die Fotosammlung, die als Dauerleihgabe in Hannover ist. Letztendlich haben wir uns jetzt dazu entschieden, dass wir die zusammenführen in der Stiftung. Die wird dann in München realisiert und bekommt dort auf ewig eine neue Heimstätte.“

Das Rheinland hat das Nachsehen – und Jürgen Wilde findet dafür eine überraschende Begründung:

„Wenn man mal berücksichtigt, wie viele bedeutende, große Sammlungen im Rheinland entstanden sind in den letzten 30, 40 Jahren – dann muss man überlegen: Kann eine solche Region all diese Sammlungen überhaupt noch verkraften? Einige Sammlungen sind dann auch nach Ludwigshafen oder nach Karlsruhe oder Berlin gegangen.“

Wie aber geht es in Hannover weiter? Ist dort die „Sammlungsdichte“ ebenfalls so hoch, dass die Überfülle für Museen zum Problem werden könnte? Sprengel-Direktor Ulrich Krempel:

„Wir haben in Hannover einige sammlerische Ansätze zur zeitgenössischen Fotografie, da sind wir in Gesprächen über Kooperationen. Aber da war natürlich auch ehrlich gesagt lange das Terrain besetzt in Hannover. Dadurch dass die Sammlung Wilde hier war, war natürlich das Interesse anderer Sammler mit ähnlichen Sammlungsprofilen nicht so groß, sich da als zweiter oder dritter dazuzugesellen.“

München soll nun insgesamt elf Millionen Euro aufgeboten haben, um die Sammlung Wilde in den Süden zu holen. Aber Geld allein war es nicht, was den Ausschlag gab.

Ann Wilde: „Es wird eine wissenschaftliche Mitarbeiterin eingestellt, wir bekommen Räume – zwar zunächst einmal provisorisch – aber später einmal soll das alles ausgebaut werden zu einem kleinen Forschungszentrum.“

Auch für Jürgen Wilde bot München viel Vorteile:

„Die Voraussetzungen, die für die Pflege solcher Archive und Sammlungen notwendig sind, diese Voraussetzungen hat man uns angeboten von München aus. Wir mussten nicht kämpfen – wir haben es ja im Rheinland versucht.“

Für Ann Wilde heißt es jetzt erst einmal, den Gemäldebestand der Pinakothek zu erkunden. Und dann wird es am Ende vielleicht auch in München wieder einmal geben, was jetzt in Hannover zu sehen ist: einen Dialog zwischen der Fotografie und den anderen Künsten.

Ann Wilde: „Wir machen es uns nie so leicht, wir setzen uns immer gerne mit den Dingen auseinander – vor allen Dingen mit Bildern. Und die Bilder in München, so genau kennen wir sie ja noch nicht. Weil wir ja auch einfach in der Welt unserer Fotosammlung und mit den Archiven leben – da müssen wir dann erst einmal ausbrechen und uns da neu reinschauen, reindenken. Und wenn wir da sind, sagen: So, jetzt entwickeln wir erst einmal ein Konzept und dann werden die und die Ausstellungen einzeln in einem dafür zur Verfügung gestellten Raum gezeigt – aus der Sammlung, in der klassischen Form.“