Dialog von Wissenschaft und Kunst

08.10.2012
Mit "Das Zeitalter der Erkenntnis" hat der Neurowissenschaftler und Nobelpreisträger Eric Kandel einen recht umfangreichen Überblick der Kognitionspsychologie der Kunst vorgelegt: der angenehm zu lesen und reich bebildert, aber etwas banal geraten ist.
Aus goldenem Hintergrund schimmert sie hervor, die Dame mit dem dunklen Haar. Ihr Mund quillt leuchtend rot aus dem bleichen Antlitz. Langgliedrige Finger hält sie vor ihre Brust und blickt den Betrachter aus entrückten, schweren Augen an.

"Das Zeitalter der Erkenntnis" heißt das neue Buch des Neurowissenschaftlers und Nobelpreisträgers Eric Kandel, ein wuchtiges Epos von 700 Seiten Umfang. Eine moderne Kognitionspsychologie der Kunst möchte der Autor vorlegen, möchte künstlerische Kreativität, die Mehrdeutigkeit von Kunstwerken, die sinnesphysiologische und emotionale Rezeption von Kunst einem Dialog zwischen Naturforschung und Kunstwissenschaften zuführen und aus biologischen Gesetzmäßigkeiten letztgültig erklären.

Auf der Seite der Kunst hat es ihm dabei die Wiener Moderne angetan. Selbst Jude mit Wurzeln im Wien der Vorkriegszeit, sammelt Eric Kandel seit Jahrzehnten Bilder aus jener Epoche und präsentiert seine beeindruckenden kunstwissenschaftlichen Kenntnisse abwechslungsreich und getragen von persönlicher Begeisterung. Sein wacher und präziser Stil sorgt trotz der vielen Seiten für eine angenehm klare und leichtfüßige Lektüre.

Ganz wie der Autor waren auch die Wiener Bürger des späten 19. Jahrhunderts verliebt in die Idee einer gegenseitigen Befruchtung von Wissenschaft und Kunst. So zeigte sich Gustav Klimt, der 1907 das golden-laszive Porträt der Wiener Bankierstochter Adele Bloch-Bauer schuf, vielfältig wissenschaftlich interessiert und befasste sich mit Embryologie, Evolutionstheorie und dem aufkommenden psychoanalytischen Interesse an der Sexualität. Seine Bilder zeugen davon: Das Blattgold-Fließen mancher Klimt-Gemälde entpuppt sich bei näherem Hinsehen als wimmelnder Reigen von Ei- und Samenzellen.

Auch auf der Seite der Naturwissenschaft überspannt Eric Kandel ein weites Feld, untersucht Hirnareale, in denen Primaten die Gesichtserkennung organisieren, befasst sich den zellulären und molekularen Mechanismen der Gedächtnisspeicherung und schildert die neuronalen Grundlagen des emotionalen Erlebens, um aus der Fülle der präsentierten Informationen nur wenige Beispiel herauszugreifen.

Dennoch will dem Buch die Synthese von Kunstwissenschaft, Psychologie und Hirnforschung nicht recht gelingen. Denn so spannend die Wissenschaftszweige sind, wenn sie sich auf ihre Hoheitsgebiete beschränken - die Hirnforschung auf elektrische, die Kunstwissenschaften auf ästhetische Aktivitäten - sowie Eric Kandel ihre Erkenntnisse auf einen Nenner zu bringen versucht, erfasst sein Buch offene Banalität. Oder wie soll man das nennen, wenn ein Buch solchen Umfangs und Anspruchs in dem Ratschlag mündet, Maler sollten ihre Bilder mit Farben, Formen und gerne auch mal Gesichtern anreichern, denn diese Elemente versetzten das menschliche Gehirn in Erregung? Und so hinterlässt die Lektüre - bei allem Spaß, der sich zwischendurch einstellt an der kurzweilig-gebildeten Materialsammlung mit den vielen farbigen Abbildungen, einen zwiespältigen Eindruck.

Besprochen von Susanne Billig

Eric Kandel: Das Zeitalter der Erkenntnis. Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute
Aus dem Englischen von Martina Wiese
Siedler Verlag, Berlin 2012
704 Seiten, mit rund 250 farbigen Abbildungen und Grafiken, 39,99 Euro

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