Dialog mit dem berühmten Schriftsteller

Rezensiert von Michael Opitz · 14.08.2006
In ihrem Gedichtband veröffentlichen Karen Leeder und Erdmut Wizisla Gedichte von 73 Autoren. Die Schriftsteller aus unterschiedlichen Generationen begeben sich mit ihren Schriften in den Dialog mit Bertholt Brecht und setzen sich auf vielfältige Weise mit dem Augsburger auseinander.
Bertolt Brecht, der als Theatererneuerer Weltruhm erlangte, hat nicht nur Stücke wie "Die Dreigroschenoper" oder "Mutter Courage und ihre Kinder" geschrieben, sondern auch über zweitausend Gedichte.

Aus dieser stattlichen Anzahl lyrischer Gebilde hat Wieland Herzfelde 1951 eine Auswahl getroffen. Unter dem Titel "Hundert Gedichte 1918-1950" erschien die Anthologie 1951 im Berliner Aufbau Verlag.

In Anlehnung an diesen Band, der noch zu Brechts Lebzeiten veröffentlicht wurde, ist jetzt im Transit Verlag das Buch "O Chicago! O Widerspruch" erschienen. Wiederum sind einhundert Gedichte versammelt, diesmal aber suchen Autorinnen wie Ruth Berlau, Karin Kiwus, Annett Gröschner und Autoren wie Hans Magnus Enzensberger, Durs Grünbein, Heiner Müller Zwiesprache mit dem berühmten Augsburger.

Der "Augsburg an den Schuhen ins große Berlin" ging, wie es in einem Gedicht von B. K. Tragelehn heißt. Die unterschiedlichen Generationen angehörenden Dichterinnen und Dichter begeben sich auf die Spur des Mannes, dessen verwegene Schiebermütze und seine ewig rauchende Zigarre Symbolwert erlangten.

"Brecht, ist ihnen die Zigarre ausgegangen?"

Das fragt Volker Braun in dem Gedicht, das dem Band den Titel gab, und das mit der Zeile endet:

"Es ist gekommen, das nicht Nennenswerte."

Auch auf solche unverkennbar mit Brechts Äußerem verbundenen Kennzeichen machen die nachgeborenen Autoren in dem von Karen Leeder und Erdmut Wizisla herausgegebenen Band aufmerksam, der in sieben Abschnitte gegliedert ist.

Für die einzelnen Kapitelüberschriften haben die Herausgeber auf Gedichttitel zurückgegriffen, sodass sie sich aus dem Dialog, zu dem sie eingeladen haben, heraushalten. Der mit "Porträt des B. B." überschriebene erste Abschnitt verdankt seine Bezeichnung dem gleichnamigen Gedicht von Heinz Kahlau und der den Band beschließende Abschnitt "Brecht, deine Nachgeborenen" geht auf den Titel eines Gedichts von Wolf Biermann zurück.

Im Zentrum der poetischen Reflexion steht ein Vers aus Brechts Gedicht "An die Nachgeborenen":

"Was sind das für Zeiten, wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!"

Paul Celan antwortet darauf in seinem Brecht gewidmeten Gedicht "Ein Blatt, Baumlos" so:

"Was sind das für Zeiten, / wo ein Gespräch / beinah ein Verbrechen ist, / weil es soviel Gesagtes / mit einschließt?"

Insgesamt sind 73 Autorinnen und Autoren vertreten, Volker Braun, Wolf Biermann, Günter Kunert und B. K. Tragelehn mit jeweils vier, Johannes Borbrowski, Thomas Brasch und Karl Mickel mit jeweils drei Gedichten. Deutlich wird, dass gerade diese Autoren immer wieder die Auseinandersetzung mit Brecht gesucht haben.

Dass sich die Herausgeber entschlossen haben, auch fünf Gedichte von Autoren aus dem englischsprachigen Raum aufzunehmen, will nicht ganz einleuchten. Denn natürlich stellt sich da die Frage, ob man dann nicht insgesamt den Band für die internationale Rezeption hätte öffnen müssen.

Sollten aber fünf Gedichte gefehlt haben, um die deutschsprachige Rezeption zu dokumentieren, sei hier auf drei Brecht-Texte von zwei Autoren verwiesen, die nicht im Band vertreten sind: Andreas Reimanns (Jahrgang 1946) Gedichte "Fragen eines Bildungsbürgers" und "Mai" hätten vielleicht ebenso aufgenommen werden können wie Steffen Menschings (Jahrgang 1958) Gedicht "Im Spätsommer".


Karen Leeder und Erdmut Wizisla (Hrsg.):
O Chicago! O Widerspruch! Hundert Gedichte auf Brecht.

Transit Verlag, Berlin 2006
159 Seiten.