Dialektik der Gerechtigkeit

Von Wolf-Dieter Peter |
Als multiple Persönlichkeit unternimmt der Graf von Monte Christo derzeit in München seinen Rachfeldzug: Melodramatische Klänge und eine fantasievolle Bühnengestaltung machten die Uraufführung der Rock-Oper "ChristO" zu einem Theatererlebnis, das das Publikum begeisterte.
Ohrenstöpsel wurden nicht benötigt. Heavy-Metal-Fans werden deshalb maulen: "Weichgespülter Sound". Doch Zwischen- und Endjubel samt Standing Ovations waren berechtigt: Die "Graf-von-Monte-Christo"-Handlung mit ihren melodramatischen Zügen eignet sich blendend für eine Vertonung.

Das Komponisten-Trio - Günter Werno, Stephan Lill und Zentralfigur Andy Kuntz - besitzt Bühneninstinkt und trug neben rockigen Songs auch dem zweiten Genretitel "Oper" durch mitunter ariose Sanglichkeit samt Duetten, Quartetten und einem Quintett Rechnung.

Vor allem aber haben die "Librettisten" Holger Hauer und Andy Kuntz intellektuell wach und eigenständig auf Dumas’ "Helden" Edmond Dantes geblickt. Im Jahr 2008 können selbst Rocker dessen blutige Selbstjustiz nicht so einfach übernehmen. Unmissverständlich zeigen sie, wohin fanatische Gerechtigkeitssuche führt: einerseits zu einem mörderischen Rachefeldzug, andererseits zu striktem Vorgehen nach Recht und Gesetz.

Folglich ist ihr Edmond Dantes eine "Jeckyll & Hyde"-Figur, eine multiple Persönlichkeit und bühnentechnisch sehr gekonnt aufgespalten in einen Kommissar "Xsario", der sowohl die verbrecherischen Halluzinogen-Dealer Villefort, Danglars und Mondego verfolgt wie ihren Mörder, den zum "Phantom der Arche" im Schiffsfriedhof mutierten Edmond, der aber eben nur sein "alter ego" ist: was Chris Murray (Xsario) und Andy Kuntz (Edmond) in verblüffend ähnlicher Bühnenerscheinung, Maske und nur ein klein wenig unterschiedlichem Kostüm beeindruckend spielten und sangen.

Alles spielte in einer postmodern "freakigen" Fantasy-Gesellschaft mit mal Belle-Epoque-, mal "Rocky-Horror"-, mal "Mad-Max"-Zügen und löste berechtigte Jubelstürme für Ausstatter Christoph Weyers aus, der zusammen mit Regisseur Holger Hauer den Einheitsrahmen des Schiffswracks sehr gekonnt mehrfach verwandelte.

Die mitunter etwas zu gewollt poetischen Liedtexte von Andy Kuntz verbanden die vier im Orchestergraben sitzenden "Vanden-Plas"-Rocker mit einem meist stimmungstragenden Soundtrack, der erfreulicherweise unter dem Dröhn-Niveau üblicher Rock-Shows blieb. Über die deutschen Übertitel hinaus waren so immer wieder Phrasen der durchweg englischen Songs verständlich. Den derzeitigen Musical-Standard überragt diese mehrfach packende Rock-Oper deutlich - bühnenweiter Ratschlag: oft nachspielen.

ChristO von Holger Hauer
Gärtnerplatztheater München
Weitere Termine: 18., 25. April, 3., 17. Mai, 7., 14., 28. Juni, 4., 11., 18., 24., 26., 28., 30. Juli 2008