Gesprochene Heimat

Wie halten wir unsere Dialekte lebendig?

81:53 Minuten
Vogelperspektive auf eine Gruppe von Menschen, die auf einem Zebrastreifen steht und als Masse die Form einer Sprechblase abbilden. Wird da Dialekt gesprochen?
Ist Deutsch mehr als das, was uns die "Tagesschau"-Sprecher vorsprechen? © Getty Images / Orbon Alija
Moderatorin: Gisela Steinhauer · 29.10.2022
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In Frankfurt wird gebabbelt, in Hamburg geschnackt, die Dresdener sächseln. Dialekte und Mundarten sind ein Stück gesprochene Heimat und Tradition. Doch sie gehen immer mehr verloren. Wie können wir sie lebendig halten?
„Moin“, „Griaß God“, „Guudn Morschn“ – schon bei der Begrüßung weiß man bei vielen Menschen, wo sie herkommen. Doch immer weniger hierzulande sprechen im Alltag Plattdeutsch, Bairisch oder Sächsisch; Dialekte und Mundarten sind auf dem Rückzug, besonders bei Jüngeren. Damit verschwindet nicht nur eine Sprache, sondern auch das Wissen darüber.

Asterix auf Plattdeutsch

„Sprache ist immer auch eine Art Fingerabdruck; daran erkennen Sie, wo jemand herkommt“, sagt Reinhard Goltz, Vorstandsvorsitzender des Instituts für Niederdeutsche Sprache in Bremen. Er hat sich der Förderung des Niederdeutschen, auch Plattdeutsch genannt, verschrieben.
Er war Teil einer plattdeutschen Kabarettgruppe und hat unter anderem Harry Potter und Asterix ins Platt übersetzt: „De sund mall, de Römers!“  
„Niederdeutsch ist eine eigenständige Sprache, sie ist auch politisch so anerkannt. Sie ist ein Teil der Kultur, in der wir leben, in der wir aufwachsen“, so Goltz. „In den Dörfern wird noch mehr Platt gesprochen als in den Städten – und auch mehr unter den Älteren. Bei den Jungen kommt die Sprache kaum mehr an. Es wird nicht mehr über die Familien vermittelt.“ Nun solle es die Schule richten. In einigen Bundesländern ist Niederdeutsch Schulfach, es gibt das Abitur auf Platt, zweisprachige Kindergärten. Reinhard Goltz bringt Lehrerinnen und Lehrern in Fortbildungen Plattdeutsch bei.

Seine Erfahrung: „Wir alle sind hochdeutsch sozialisiert. Aber was ist Deutsch? Ist es das, was uns die 'Tagesschau'-Sprecher vorsprechen? Nein, Deutsch ist mehr!“

Ranking: Bairisch vorn, Sächsisch am Schluss

"Wir fühlen uns hingezogen zu Menschen, die ähnlich sprechen wie wir“, sagt Albrecht Plewnia vom Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim. „Schwierige Situationen können durch dialektale Sprache abgemildert werden.“
Plewnia erforscht unter anderem, wie sich Dialekte verbreiten, ihre Bindungskraft – und ihre Wirkung auf andere. So würden Menschen die einen bairischen oder norddeutschen Dialekt sprechen, in Umfragen als sympathisch bewertet, Sächsisch dagegen bilde stets das Schlusslicht. "Das Sächsische kann als Sprache nichts dafür“, so Plewnia. Sein Image sei stark geprägt, etwa durch Filme, in denen DDR-Grenzpolizisten fast ausnahmslos Sächsisch sprächen, und durch die Sprachfärbung Walter Ulbrichts.
Ob ein Dialekt für den Job förderlich ist oder ein Karrierekiller, hänge von den Umständen ab, so Plewnia. „Spricht der Chef zum Beispiel Schwäbisch wie man selbst, kann das die Karriere pushen. Kann jemand den Dialekt aber nicht leiden, könnte es schwierig werden."

Gesprochene Heimat – Wie halten wir unsere Dialekte lebendig?
Darüber spricht Gisela Steinhauer am 29. Oktober mit dem Plattdeutsch-Experten Reinhard Goltz und mit dem Sprachforscher Albrecht Plewnia – live von 9.05 bis 11 Uhr. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 0800 2254 2254 sowie per E-Mail unter gespraech@deutschlandfunkkultur.de

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