Diabetes

Von Stephanie Kowalewski · 16.11.2008
Diabetes ist es eine Volkskrankheit, die Forschern nach wie vor noch viele Rätsel aufgibt. Die großen Zusammenhänge sind bekannt, aber noch fehlen Erkenntnisse zu Details der chronischen Stoffwechselkrankheit, an der allein in Deutschland schätzungsweise sechs Millionen Menschen leiden.
Der Körper kann entweder das Hormon Insulin nicht selber produzieren oder er regiert nicht empfindlich genug darauf. Experten schätzen, dass die Zahl der Betroffenen aufgrund der veränderten Altersstruktur weiter steigen wird. Im Jahr 2025 könnte mehr als jeder zehnte Bundesbürger an Diabetes Typ 2 erkrankt sein. Wissenschaftler suchen deshalb nach Möglichkeiten, wie die Krankheit verhindert oder zumindest besser behandelt werden kann.

"Du hast einen Patienten, der Harn lässt wie ein brünstiger Elefant, und dessen Urin süß schmeckt und die Ameisen und Insekten anlockt.""

So beschreibt 400 vor Christus der Inder Susruta den klebrig-süßlichen Urin der Diabetespatienten. 500 Jahre später charakterisiert ein griechischer Arzt die Merkmale der Krankheit:

""Die Kranken haben einen unauslöschlichen Durst und trinken und harnen sehr viel. Sind die Symptome erst vollkommen ausgebildet, so befindet sich auch der Mensch am Ende seiner Tage, denn dann nimmt die Abzehrung rasch überhand, und nach einem elenden und schmerzvollen Leben erfolgt der schnelle Tod."

Diabetes mellitus ist eine Jahrtausendalte Krankheit, die den Forschern nach wie vor Rätsel aufgibt. Noch sind nicht alle Mechanismen bekannt, die zu dem chronisch erhöhten Blutzuckerspiegel führen, der - bleibt er unbehandelt - für die Patienten lebensbedrohlich sein kann. Es gibt zwei wesentliche Formen der Zuckerkrankheit: Typ-1 und Typ-2 Diabetes, sagt Klaus Wiefels, Diabetologe am Deutschen Diabetes Zentrum Düsseldorf.

"Diabetes ist ein Schicksal fürs Leben."

Denn bei den Betroffenen zerstört das Immunsystem die so genanten Betazellen der Bauchspeicheldrüse, die das Hormon Insulin produzieren.

"So dass diese Patienten dann ein Leben lang auf Insulin als einzig wirksamem Hormon angewiesen sind."

Denn jede Körperzelle braucht Insulin, um Zucker in Energie umwandeln zu können. Beim Typ-2 Diabetiker reagieren die Körperzellen nicht empfindlich genug auf das Insulin oder sie haben - bedingt durch Übergewicht - jahrelang zu viel Insulin produziert und sind quasi erschöpft.

"So dass hier zwar noch Insulin vorhanden ist, aber die Umsetzung sozusagen nicht mehr richtig erfolgen kann."

Rund 95 Prozent der schätzungsweise sechs Millionen Zuckerkranken in Deutschland leiden an der Typ-2 Variante. Sie ist in den meisten Fällen eine Wohlstandskrankheit als Folge von Übergewicht und zu wenig Bewegung. Keine wirklich neue Erkenntnis.

"Im 16. Jahrhundert klassifiziert der berühmte Arzt Philippus Aureolus Theophrastus Bombastus von Hohenheim - besser bekannt als "Paracelsus" - den Diabetes als eine Stoffwechselerkrankung, die er mit Hungerkuren behandelt. Paracelsus sagte: "Der Mensch ist, was er isst"."

Ernährung, davon ist die Wissenschaft auch heute überzeugt, spielt bei der Entstehung von Diabetes eine große Rolle. So können übergewichtige Menschen ihr Risiko an Typ-2 Diabetes zu erkranken, erheblich reduzieren, wenn sie abnehmen und sich mehr bewegen. Doch welche Therapie die richtige ist, wenn die Krankheit erst einmal ausgebrochen ist, war lange unklar. Erst eine Vielzahl von spektakulären Experimenten im 19. Jahrhundert brachte die Forscher schließlich auf die richtige Spur:

"1869 entdeckt der deutsche Arzt Paul Langerhans eine Inselförmige Zellstruktur die ungleichmäßig über die gesamte Bauchspeicheldrüse verteilt ist. Ihre Funktion kennt er nicht. Gut 30 Jahre später finden andere Wissenschaftler heraus, dass diese Langerhansschen Inseln Blutzucker senkende Substanzen produzieren, die wiederum Jahre später den Namen "Insulin" bekommen.

Um die Rolle der Bauchspeicheldrüse beim Diabetes zu entschlüsseln, entfernt der Internist Oskar Minkowski 1889 einem Hund dieses Organ. Das Tier zeigt alle Symptome eines Diabetes: übermäßigen Durst, große Harnmengen, Abmagerung. Der Hund stirbt bald nach dem Eingriff. In seinem Urin weist der Forscher Glucose nach und stellt fest, dass die Symptome ausbleiben, wenn man den Versuchstieren Teile der entfernten Bauchspeicheldrüse unter die Haut verpflanzt."

Der Wettstreit um ein wirksames Medikament in den Laboren dieser Welt beginnt. Das Rennen ist Anfang der Zwanzigerjahre entschieden.

"Die Forschergruppe um den kanadischen Arzt Frederick Banting entdeckt im Jahre 1921 das Insulin, indem sie das Hormon aus dem Bauchspeicheldrüsengewebe von Kälbern gewinnen. Nur zwei Jahre nach ihrer bahnbrechenden Entdeckung erhalten Banting und MacLoad den Nobelpreis für Medizin und Physiologie. Sie verzichten auf die Patentrechte und erleichtern so anderen Forschern die Arbeit."

Seitdem gilt die optimale Einstellung des Blutzuckerspiegels mit Hilfe von Insulin bei Diabetes-Patienten als wichtigstes Ziel. Noch viel besser wäre es natürlich, erst gar keinen Diabetes zu bekommen. Und so wird weltweit wird nach einer Strategie gesucht, wie das Immunsystem, dass bei Typ-1 Diabetikern die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse zerstört, überlistet und quasi umgepolt werden kann, sagt Nanette Schloot, Fachärztin für Innere Medizinerin am Deutschen Diabestes Zentrum Düsseldorf, kurz DDZ.

"Da gibt es verschiedene Strategien, dass man die so genannten Eiweiße, von denen man vermutet, dass sie eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Immunantwort spielen, den Patienten appliziert, indem man unter die Haut, ähnlich wie bei einer Impfung, dieses Teilstück des Proteins, das Peptid, gibt und eben schaut, ob der Krankheitsverlauf günstiger von statten geht, als bei Patienten, die eine Placebobehandlung bekommen."

Die Hoffnung ist groß, dass der selbst zerstörerische Prozess beim Typ-1 Diabetes sich durch die rechtzeitige Gabe eines Antikörpers aufhalten lässt. Erste Tierversuche sind viel versprechend.

"Da kann also ein Diabetes verhindert oder aufgehalten werden. Und es gibt erste, kleinere Studien beim Menschen, die darauf hindeuten, dass es beim Menschen auch gut sein könnte."
Könnte – denn eine Maus reagiert eben auf geimpfte Substanzen wie eine Maus und nicht wie ein Mensch. Deshalb sind weitere Studien notwendig, sagt Nanette Schloot, bevor die so genannte Diabetes-Impfung tatsächlich eine Therapieoption wird.

"1922 rettet das kanadische Forscherteam um Frederik Banting dem 13-jährigen Leonhard Thomas das Leben. Der Junge ist wegen der damals üblichen Hungerkur bis zum Skelett abgemagert. Sie spitzen ihm ein aus der Bauchspeicheldrüse von Rindern gewonnenes Extrakt – das Insulin."

Das Insulin ermöglicht es den Patienten, mit der Krankheit zu leben, aber es schützt sie nicht sicher vor Folgeerkrankungen. Etwa jeder Dritte Diabetiker leidet unter vermindertem Berührungs- und Schmerzempfinden an Füßen und Beinen oder einem unangenehmen Kribbeln in Händen und Füßen.

Der gestörte Stoffwechsel kann aber auch das vegetative Nervensystem schädigen, das die lebenswichtigen Organe versorgt. Herzrhythmusstörungen und Herzinfarkte aber auch Inkontinenz und Impotenz können die Folge sein. Der Mediziner Dan Ziegler erforscht am DDZ die Diabetische Neuropathie, also die Erkrankungen des Nervensystems, die als Folge der Zuckerkrankheit entstehen.

"Die Nerven sind ja so ganz lange Kabel und da werden verschiedene Nährstoffe ja über sehr weite Wege transportiert. Und wenn dieser Transport zum Beispiel durch einen zu hohen Zucker geschädigt ist, dann wird der Nerv nicht richtig ernährt und damit kommt es auch zu einer Schädigung."

Neben einer möglichst optimalen Einstellung des Blutzuckerspiegels werden auch verschiedene Medikamente eingesetzt. Doch der Behandlungserfolg ist dürftig und meist mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden. Deshalb suchen Wissenschaftler nach neuen Substanzen, sagt Dan Ziegler.

"Ideal wäre dann auch eine Kombination: Eine Substanz, die einmal das Fortschreiten der Neuropathie hemmt und auf der anderen Seite eine andere Substanz, die dann die Schmerzen reduziert. Und hier gibt es auch einige viel versprechende Kandidaten, die wir untersuchen, wo wir hoffen, dass wir doch hier eines Tages weiterkommen."

Bis dahin bleibt es für die etwa sechs Millionen Diabetes-Kranken in Deutschland dabei, dass sie mehrmals täglich ihren Blutzucker prüfen und Insulin spritzen müssen. So wie Holger Schmeken, der seit 21 Jahren Diabetiker ist.

"Im Prinzip stecke ich jetzt meinen Blutzuckerteststreifen in mein Gerät. Das ist jetzt gleich bereit, meinen Blutstropfen zu empfangen. In der Zeit kann ich jetzt in meinen Finger stechen, jetzt gewinne ich einen Blutstropfen und den trage ich auf den Blutzuckerteststreifen auf und das Gerät hat den Wert ermittelt."

Der Verzicht des kanadischen Forscherteams auf die Patentrechte in den 20er Jahren ist noch heute ein Segen für Wissenschaftler wie Christian Herder. Der Biologe versucht eines der Rätsel zu entschlüsseln, die die Entstehung der Zuckerkrankheit bis heute umgeben. Christian Herder untersucht am DDZ, welche Rolle Entzündungen bei der Entwicklung des Typ-2-Diabetes spielen.

"Bei dieser Entzündung, die beim Typ-2-Diabetes eine Rolle spielt, geht es darum, dass im Blut einzelne Entzündungsmarker, also einzelne Proteine, ganz leicht erhöht sind. Das sind keine großen Unterschiede, aber man kann sie im Labor messen. Und wir gehen davon aus, dass diese Erhöhung dieser Entzündungsmarker dazu führt, dass bestimmte Zellen, bestimmte Organe auf Insulin nicht mehr adäquat reagieren können. Und diese Form der Insulinresistenz ist ein wichtiger Risikofaktor für den Diabetes."

Das Problem dabei: Die Entzündungen im Körper sind so gering, dass sie von den Betroffenen und auch von den Ärzten nicht als Gefahr wahrgenommen werden. Außerdem fehlen noch standardisierte Verfahren, die eine entsprechende Blutuntersuchung in der Praxis oder auch in der Klinik möglich macht. Noch sind Labormessungen notwendig, um die sehr geringen Entzündungswerte bestimmen zu können. Dabei wäre es sehr wichtig, sagt Christian Herder, zukünftig mehr auf solche Werte zu achten.

"Wir konnten in einigen Studien zeigen, dass das Immunsystem bereits einige Jahre vor der Manifestation eines Diabetes erhöht ist. Das man hat also wirklich zuerst die Immunaktivierung und dann kommt der Typ-2 Diabetes."

Eine wissenschaftliche Erkenntnis, die letztlich zu neuen Untersuchungsmethoden und Therapien führen muss, fordert der Biologe. Er hofft, dass sich mit einer gezielten und frühzeitigen Behandlung der Entzündungen, der Ausbruch des Diabestes in Zukunft verhindern lässt.

"Jedes Jahr am 14. November erinnert der Weltdiabetestag an den Geburtstag Frederick Bantings, dem Entdecker des Insulins. Mit der Initiative "Unite For Diabetes" fordern die Vereinten Nationen alle Regierungen der Welt auf, dem Problem Diabetes gesundheitspolitische Aufmerksamkeit zu schenken und der drohenden, überaus teuren Epidemie entgegen zu wirken."