DHM-Präsident Raphael Gross

Der Neue

Raphael Gross, Historiker
Raphael Gross, Präsident des Deutschen Historischen Museums in Berlin © picture alliance/dpa/Foto: Britta Pedersen
Von Christiane Habermalz · 26.04.2017
Demotivierte Mitarbeiter und ein Haus ohne klares Profil: Der Schweizer Raphael Gross hat seine Arbeit als neuer Präsident des Deutschen Historischen Museums in Berlin aufgenommen. Die Erwartungen an den Historiker sind hoch.
Von manchen Medien wurde er schon fast wie ein Erlöser gefeiert. Der Schweizer Raphael Gross, renommierter Museumsmann und breit aufgestellter Wissenschaftler, soll das Deutsche Historische Museum aus der Dauerkrise führen, mit "ruhiger Hand", so hatte es sich Kulturstaatsministerin Monika Grütters bei seiner Ernennung im November letzten Jahres gewünscht. Er tritt kein leichtes Amt an. Sein Vorgänger Alexander Koch agierte glücklos, überwarf sich mit seinem Haus, sein Führungsstil galt als katastrophal.
Das DHM avancierte zwar bei Berlin-Besuchern zu den beliebtesten Museen, doch die Sonderausstellungen, zumeist extern kuratiert, blieben meist konzept- und konturlos und wurden von den Medien regelmäßig verrissen. Zuletzt operierte das DHM nur noch in der zweiten Museumsliga. Gut, dass Koch schließlich gehen musste, denn die ungelösten Probleme sind gravierend: Zerstrittene, demotivierte Mitarbeiter und ein Haus, das nach seiner Position sucht. Entsprechend vorsichtig gibt sich Gross auf Fragen nach seinen Plänen. Er will sich Zeit lassen, in Ruhe mit seinen Kuratoren reden, sich ein Bild machen.
"Ich habe natürlich auch ein großes Arsenal an Themen, die ich unglaublich gerne umsetzen würde, wo ich denke, die passen hier perfekt hin, aber das, was ich mir ausdenke, bevor ich sehe, wie die Sammlung aussieht, wo ich auch zuerst hin muss, dafür ist es noch ein bisschen früh."

Gründung in der Ära Kohl

Kein Zweifel, die Latte hängt hoch. Bereits die Lage des Hauses – im historischen Zeughaus Unter den Linden in Berlins Mitte gelegen, vis-á-vis zum Humboldtforum und der Museumsinsel – manifestiert den Anspruch, DAS deutsche Nationalmuseum zu sein. Doch was soll das sein? Bei der Gründung im Jahr 1987 in der Ära Helmut Kohl überwogen noch die Unkenrufe, hier werde ein quasi staatlich verordnetes Geschichtsbild repräsentiert. Diese Befürchtungen verflüchtigten sich unter Gründungsintendant Christoph Stölzl schnell. Doch der wechselte in die Berliner Landespolitik, sein Nachfolger Hans Ottomeyer tat sich eher als eifriger Sammler denn als Kurator interessanter Wechselausstellungen hervor. Über eine Million Objekte verfügt das Haus heute – aber es fehlt an Profil, einer eigenen Handschrift, an großen Ideen. So blieb es bis heute. Für Gross stellen sich im Jahr 2017 ganz andere Fragen als die nach einer nationalen Geschichtsschreibung.
"Wir sind in einem europäischen Kontext ein großes Historisches Museum in einer Situation, wo ganz viele Fragen innerhalb der EU in Bezug auf Migration, auf Religion, auf Grenzen, auf Zugehörigkeit, und zum Teil auch sehr explosive Situationen da sind, und ich denke, das ist doch ein Moment, wo man doch als Historiker denkt, hm, wie verbinde ich das, was ich jetzt da erlebe, mit der Geschichte, und in welcher Weise hilft mir die Geschichte, so etwas wie eine Urteilskraft zu finden."

Geschichte, sagt Gross, sei eben nichts Abgeschlossenes, sondern ein ständiger Referenzpunkt für die Aktualität. Hier könne man für ein Publikum Möglichkeiten eröffnen, aus einer historischen Perspektive mit dem umzugehen, was einen gerade beschäftige. Daher seien Wechselausstellungen so immens wichtig.
"Wo man eben etwa über religiösen Fanatismus in Europa nachdenken kann – vor dem Hintergrund von Irland, vom 30-jährigen Krieg, von verschiedenen anderen Konflikten, wo man aber schnell vergisst, ah, die gab es auch, mit großem Fanatismus geführt, und wir sind gar nicht jetzt heute in einer Stunde Null. Wo nicht vorher etwas passiert wäre, aus dem wir unser Denken schulen können und unsere Diskussionen. Und da habe ich das Gefühl, ist so eine Einrichtung wie vielleicht nichts anderes dafür prädestiniert."


Mit Raphael Gross, der zehn Jahre lang das Jüdische Museum in Frankfurt am Main leitete, hat das DHM jedenfalls gute Chancen, aus der Krise herauszukommen. In Frankfurt war man sehr traurig, als er von dort vor zwei Jahren nach Leipzig ging, er gilt als erfahrener und umsichtiger Museumsmann, der zugleich an der Wissenschaft hängt. In Leipzig hatte er zuletzt einen Lehrstuhl für jüdische Geschichte inne und leitete das renommierte Simon-Dubnow-Institut für Jüdische Geschichte und Kultur.
DHM in Berlin
Das Deutsche Historische Museum in Berlin© picture alliance/dpa/Foto: Paul Zinken

Dauerausstellung muss überarbeitet werden

Dass sich das DHM unter seiner Führung vor aktuellen Debatten oder Auseinandersetzungen mit der Politik wegducken wird, steht angesichts seiner bisherigen Tätigkeiten nicht zu befürchten. Die Dauerausstellung, die dringend überarbeitet werden muss, will er mit Bedacht angehen, die Objekte mehr in den Vordergrund rücken. Und: Er wolle vermeiden, dass sie nur zur Bebilderung einer These eingesetzt würden, denn oft ließen sich an ihnen gleich mehrere Geschichten erzählen.
"Denn wenn sie z.B. die Kolonialismus-Ausstellung vor Augen führen, wenn jetzt jemand aus dem ehemaligen Deutsch-Südwestafrika sich da Objekte anschaut, wird ihr oder ihm das wahrscheinlich ganz anders erscheinen als einer Berlinerin oder einem Berliner oder einem Engländer oder Franzosen. Auch vor dem Hintergrund, dass wir wissen, dass über 50 Prozent unserer Besucher aus dem Ausland kommen."
Was muss das Deutsche Historische Museum leisten? Auf diese Frage gibt es keine einfache Antwort. Muss es auch so etwas wie deutsche Kultur und Identität vermitteln? Und wenn ja – welche? Was wird von ihm erwartet in einer Zeit, in der Politiker wie Björn Höcke von der AfD nach einer erinnerungspolitischen Wende rufen, nach einer Geschichtsschreibung, die wieder die positiven deutschen Werte in den Vordergrund rückt? Das Wort nationale Identität habe er schon immer gehasst, sagte Gross kürzlich der FAZ. Und ob es eine deutsche Geschichte überhaupt gebe, da sei er sich auch nicht ganz sicher.
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