DGB kritisiert geplante Lockerung des Kündigungsschutzes
Das Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Ingrid Sehrbrock, hat die Bundesregierung vor einer weiteren Lockerung des Kündigungsschutzes gewarnt. Wenn die große Koalition ihre Pläne umsetze, werde sich die Situation junger Menschen beim Einstieg in den Beruf weiter verschärfen, sagte Sehrbrock im Deutschlandradio Kultur vor dem Hintergrund der Jugendproteste in Frankreich.
Jörg Degenhardt: Fliegende Pflastersteine, brennende Autos und Tränengas und Wasserwerfer. Frankreich hat die letzten Tage heftige Proteste junger Leute erlebt. Sie wehren sich gegen eine Reform, die jungen Berufsanfängern zwei Jahre lang jeden Kündigungsschutz verwehrt. Manche in Deutschland schauen sorgenvoll zu unserem Nachbarn. Sie befürchten, dass das Beispiel dort bei uns Schule macht, denn auch hierzulande ist der Berufseinstieg kein Zuckerschlecken - weder für Studenten noch für Schüler. Und auch die Koalition in Berlin plant Änderungen beim Kündigungsschutz, die über das hinausgehen, was in Frankreich vorgesehen ist. Betroffen wären dann nämlich alle Neueingestellten - unabhängig vom Alter.
Am Telefon von Deutschlandradio Kultur ist nun Ingrid Sehrbrock, Mitglied des Geschäftsführenden Vorstandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Guten Morgen, Frau Sehrbrock.
Ingrid Sehrbrock: Guten Morgen, Herr Degenhardt.
Degenhardt: Müsste auch Schwarz-Rot in Berlin mit einem Proteststurm rechnen, wenn - wie geplant - der Kündigungsschutz korrigiert wird?
Ingrid Sehrbrock: Ja man muss zunächst mal zur Kenntnis nehmen, dass es in Frankreich eine andere Demonstrations- und Protestkultur gibt. Aber - Sie haben es ganz richtig gesagt - der Berufseinstieg für junge Menschen wird immer schwieriger. Es ist immer schwieriger, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Es ist auch für junge Akademiker sehr, sehr schwer, in den Beruf einzusteigen. Und wenn diese Situation noch weiter verschärft wird, beispielsweise durch die Lockerung des Kündigungsschutzes, dann kann ich mir vorstellen, dass auch junge Menschen sich zur Wehr setzen hier in dieser Bundesrepublik.
Degenhardt: Das heißt, Sie haben aber noch keine Pläne in der Schublade, die dann den Protest auf die Straße bringen wollen, die das organisieren? Zumal es ja auch zum Beispiel in der Union Stimmen gibt, die über das, was jetzt im Koalitionsvertrag steht, noch hinausgehen wollen, was den Kündigungsschutz angeht.
Sehrbrock: Ja da hat zunächst mal die Kanzlerin klar gesagt, dass es eine Verabredung gibt und die gilt. Also das, was in den Koalitionsvereinbarungen steht. Aber auch das geht den Gewerkschaften schon zu weit. Wir haben ja Erfahrungen mit Lockerungen des Kündigungsschutzes bei kleinen Betrieben, für Ältere, und wir haben fest gestellt, dass die Masseneinstellungen, die Arbeitgeber prognostiziert haben, wenn es diese Lockerungen gibt, ja nicht stattgefunden haben. Also wir sind sehr, sehr skeptisch. Und wir wollen natürlich keine weiteren Einschränkungen, denn das verschärft die Situation junger Menschen, deren Situation ja eh schon prekär ist.
Degenhardt: Bauen Sie da auch ein bisschen auf den Widerstand aus den Reihen der Sozialdemokraten? Die SPD ist ja sozusagen der potenzielle Bündnispartner der Gewerkschaften.
Sehrbrock: Wir merken, dass gerade auch den betroffenen jungen Menschen immer stärker bewusst wird, dass ihre Berufsperspektiven immer schwieriger werden. Wir haben ja die Situation beispielsweise, dass Jundakademiker heute fast selbstverständlich über ein Praktikum oder mehrere Praktika versuchen, in den Beruf einzusteigen, ungesichert, schlecht bezahlt, unbezahlt. Und wir merken, dass junge Leute immer sensibler werden für diese Fragen. Und deshalb glauben wir auch, dass sie sich auf Dauer das nicht gefallen lassen und dass sie sich zur Wehr setzen werden. Wir unterstützen sie im Übrigen auch mit Beratung in diesen Fragen.
Degenhardt: Das mag sein, aber das war jetzt nicht ganz, Frau Sehrbrock, die Antwort auf meine Frage. Die Frage war noch mal: Bauen Sie auch darauf, dass in dieser großen Koalition die SPD vornehmlich die Interessen dann auch dieser jungen Leute wahrnehmen wird?
Sehrbrock: Bisher klingt das anders aus der SPD. Bisher sagt man auch klar, dass man sich an die Koalitionsvereinbarungen hält. Und deshalb ist nicht zu erkennen, dass die SPD da ausschert und im Sinne der Gewerkschaften agieren wird.
Degenhardt: Die Regierungen in Paris und auch die in Berlin, die versprechen sich ja von den geplanten Veränderungen beim Kündigungsschutz mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt, die schließlich - sagen sie - dazu beitragen soll, auch der hohen Jugendarbeitslosigkeit zu Leibe zu rücken. Ist denn diese Argumentation für Sie nachvollziehbar?
Sehrbrock: Nein, überhaupt nicht. Ich hatte ja gesagt, wir haben keine guten Erfahrungen gemacht mit der Lockerung des Kündigungsschutzes. Die Arbeitgeber hatten ja angekündigt, dass dann, wenn Lockerungen vorgenommen werden, sie bereit sind, einzustellen; wenn man sich leichter von Mitarbeitern trennen kann, dann stellt man auch leichter ein, so war die Argumentation. Das hat sich in keiner Weise bewahrheitet, weder bei den kleinen Betrieben, für die die Lockerungen vorgenommen worden sind noch für ältere Arbeitnehmer, die ja ab dem 50. Lebensjahr im Grunde keinen Kündigungsschutz mehr haben. Da sind die Zusagen der Arbeitgeber nicht eingehalten worden. Und deshalb wird das mit Sicherheit auch dann, wenn es weitere Lockerungen gibt, genauso sein. Deshalb sind wir weit davon entfernt, uns mit einer solchen neuen Regelung abzufinden.
Degenhardt: Frau Sehrbrock, Sie haben es schon kurz anklingen lassen: Die Gewerkschaftsjugend plant einen europäischen Praktikanten-Aktionstag, weil viele Jungakademiker fühlen sich im Praktikum als billige Arbeitskraft missbraucht, dabei hoffen sie auf einen festen Arbeitsplatz. Ist dieses Problem wirklich so akut, wenn ich zum Beispiel in einer Studie lese, dass 86 Prozent der Uni-Absolventen in einem regulären Arbeitsverhältnis landen?
Sehrbrock: Ja, wir haben den Eindruck, dass das akut ist. Wir haben eine Stichprobe gemacht und haben festgestellt, dass etwa die Hälfte der jungen Menschen, die ein Praktikum machen, unbezahlt arbeiten, dass ein Großteil deshalb von seinen Eltern unterstützt werden muss, dass eine schlechte Vergütung gezahlt wird, wenn überhaupt, dass es auch gar kein Praktikum ist, sondern dass eine reguläre Arbeit ausgeübt wird. Also wir haben den Eindruck, dass sich da ein Phänomen breit macht, das bisher noch nicht in der Öffentlichkeit breit diskutiert wird. Es scheint eher die Regel zu sein, dass man über ein Praktikum einsteigt, als die Ausnahme. Und junge Leute wollen natürlich in ihrer Erwerbsbiografie auch keine Zeiten der Arbeitslosigkeit auftauchen lassen, deshalb sind sie bereit, Praktika zu machen. Aber immer weniger bereit, sich auch in solchen Beschäftigungsverhältnissen ausbeuten zu lassen, was häufig der Fall ist.
Degenhardt: Sagen Sie uns bitte noch kurz, Frau Sehrbrock, wie Sie diesen Zustand, den Sie beklagen, ändern wollen? Welchen Ansatz Sie verfolgen?
Sehrbrock: Wir wollen zum einen junge Menschen sensibilisieren. Wir tun das bereits: Es gibt eine Website beim DGB, wo man sich beraten lassen kann, worauf man Anspruch hat, wenn man ein Praktikum macht - es soll ja eine Ausbildungszeit sein und sie soll deshalb auch mit Anleitung verbunden sein, sie soll vergütet sein. Wir beraten junge Menschen. Wir machen deutlich, dass sie einen Anspruch haben auf einen Vertrag. Und wir wollen auch sicherstellen, dass dieses Praktikum vergütet wird. Es sollen mindestens 300 Euro sein; während eines Studiums sollten es 600 Euro sein, nach einem Studium - und wenn es eine reguläre Arbeit ist - sollten es mindestens 800 Euro sein. Das heißt, wir beraten, wir sensibilisieren für diese Fragen und wir ermutigen auch junge Leute, ihre Rechte durchzusetzen - wenn es nötig ist, auch über eine Klage.
Degenhardt: Am 1. April steigt der europäische Praktikanten-Aktionstag. Am Telefon von Deutschlandradio Kultur war Ingrid Sehrbrock, Mitglied des Geschäftsführenden DGB-Vorstandes. Vielen Dank für das Gespräch.
Am Telefon von Deutschlandradio Kultur ist nun Ingrid Sehrbrock, Mitglied des Geschäftsführenden Vorstandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Guten Morgen, Frau Sehrbrock.
Ingrid Sehrbrock: Guten Morgen, Herr Degenhardt.
Degenhardt: Müsste auch Schwarz-Rot in Berlin mit einem Proteststurm rechnen, wenn - wie geplant - der Kündigungsschutz korrigiert wird?
Ingrid Sehrbrock: Ja man muss zunächst mal zur Kenntnis nehmen, dass es in Frankreich eine andere Demonstrations- und Protestkultur gibt. Aber - Sie haben es ganz richtig gesagt - der Berufseinstieg für junge Menschen wird immer schwieriger. Es ist immer schwieriger, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Es ist auch für junge Akademiker sehr, sehr schwer, in den Beruf einzusteigen. Und wenn diese Situation noch weiter verschärft wird, beispielsweise durch die Lockerung des Kündigungsschutzes, dann kann ich mir vorstellen, dass auch junge Menschen sich zur Wehr setzen hier in dieser Bundesrepublik.
Degenhardt: Das heißt, Sie haben aber noch keine Pläne in der Schublade, die dann den Protest auf die Straße bringen wollen, die das organisieren? Zumal es ja auch zum Beispiel in der Union Stimmen gibt, die über das, was jetzt im Koalitionsvertrag steht, noch hinausgehen wollen, was den Kündigungsschutz angeht.
Sehrbrock: Ja da hat zunächst mal die Kanzlerin klar gesagt, dass es eine Verabredung gibt und die gilt. Also das, was in den Koalitionsvereinbarungen steht. Aber auch das geht den Gewerkschaften schon zu weit. Wir haben ja Erfahrungen mit Lockerungen des Kündigungsschutzes bei kleinen Betrieben, für Ältere, und wir haben fest gestellt, dass die Masseneinstellungen, die Arbeitgeber prognostiziert haben, wenn es diese Lockerungen gibt, ja nicht stattgefunden haben. Also wir sind sehr, sehr skeptisch. Und wir wollen natürlich keine weiteren Einschränkungen, denn das verschärft die Situation junger Menschen, deren Situation ja eh schon prekär ist.
Degenhardt: Bauen Sie da auch ein bisschen auf den Widerstand aus den Reihen der Sozialdemokraten? Die SPD ist ja sozusagen der potenzielle Bündnispartner der Gewerkschaften.
Sehrbrock: Wir merken, dass gerade auch den betroffenen jungen Menschen immer stärker bewusst wird, dass ihre Berufsperspektiven immer schwieriger werden. Wir haben ja die Situation beispielsweise, dass Jundakademiker heute fast selbstverständlich über ein Praktikum oder mehrere Praktika versuchen, in den Beruf einzusteigen, ungesichert, schlecht bezahlt, unbezahlt. Und wir merken, dass junge Leute immer sensibler werden für diese Fragen. Und deshalb glauben wir auch, dass sie sich auf Dauer das nicht gefallen lassen und dass sie sich zur Wehr setzen werden. Wir unterstützen sie im Übrigen auch mit Beratung in diesen Fragen.
Degenhardt: Das mag sein, aber das war jetzt nicht ganz, Frau Sehrbrock, die Antwort auf meine Frage. Die Frage war noch mal: Bauen Sie auch darauf, dass in dieser großen Koalition die SPD vornehmlich die Interessen dann auch dieser jungen Leute wahrnehmen wird?
Sehrbrock: Bisher klingt das anders aus der SPD. Bisher sagt man auch klar, dass man sich an die Koalitionsvereinbarungen hält. Und deshalb ist nicht zu erkennen, dass die SPD da ausschert und im Sinne der Gewerkschaften agieren wird.
Degenhardt: Die Regierungen in Paris und auch die in Berlin, die versprechen sich ja von den geplanten Veränderungen beim Kündigungsschutz mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt, die schließlich - sagen sie - dazu beitragen soll, auch der hohen Jugendarbeitslosigkeit zu Leibe zu rücken. Ist denn diese Argumentation für Sie nachvollziehbar?
Sehrbrock: Nein, überhaupt nicht. Ich hatte ja gesagt, wir haben keine guten Erfahrungen gemacht mit der Lockerung des Kündigungsschutzes. Die Arbeitgeber hatten ja angekündigt, dass dann, wenn Lockerungen vorgenommen werden, sie bereit sind, einzustellen; wenn man sich leichter von Mitarbeitern trennen kann, dann stellt man auch leichter ein, so war die Argumentation. Das hat sich in keiner Weise bewahrheitet, weder bei den kleinen Betrieben, für die die Lockerungen vorgenommen worden sind noch für ältere Arbeitnehmer, die ja ab dem 50. Lebensjahr im Grunde keinen Kündigungsschutz mehr haben. Da sind die Zusagen der Arbeitgeber nicht eingehalten worden. Und deshalb wird das mit Sicherheit auch dann, wenn es weitere Lockerungen gibt, genauso sein. Deshalb sind wir weit davon entfernt, uns mit einer solchen neuen Regelung abzufinden.
Degenhardt: Frau Sehrbrock, Sie haben es schon kurz anklingen lassen: Die Gewerkschaftsjugend plant einen europäischen Praktikanten-Aktionstag, weil viele Jungakademiker fühlen sich im Praktikum als billige Arbeitskraft missbraucht, dabei hoffen sie auf einen festen Arbeitsplatz. Ist dieses Problem wirklich so akut, wenn ich zum Beispiel in einer Studie lese, dass 86 Prozent der Uni-Absolventen in einem regulären Arbeitsverhältnis landen?
Sehrbrock: Ja, wir haben den Eindruck, dass das akut ist. Wir haben eine Stichprobe gemacht und haben festgestellt, dass etwa die Hälfte der jungen Menschen, die ein Praktikum machen, unbezahlt arbeiten, dass ein Großteil deshalb von seinen Eltern unterstützt werden muss, dass eine schlechte Vergütung gezahlt wird, wenn überhaupt, dass es auch gar kein Praktikum ist, sondern dass eine reguläre Arbeit ausgeübt wird. Also wir haben den Eindruck, dass sich da ein Phänomen breit macht, das bisher noch nicht in der Öffentlichkeit breit diskutiert wird. Es scheint eher die Regel zu sein, dass man über ein Praktikum einsteigt, als die Ausnahme. Und junge Leute wollen natürlich in ihrer Erwerbsbiografie auch keine Zeiten der Arbeitslosigkeit auftauchen lassen, deshalb sind sie bereit, Praktika zu machen. Aber immer weniger bereit, sich auch in solchen Beschäftigungsverhältnissen ausbeuten zu lassen, was häufig der Fall ist.
Degenhardt: Sagen Sie uns bitte noch kurz, Frau Sehrbrock, wie Sie diesen Zustand, den Sie beklagen, ändern wollen? Welchen Ansatz Sie verfolgen?
Sehrbrock: Wir wollen zum einen junge Menschen sensibilisieren. Wir tun das bereits: Es gibt eine Website beim DGB, wo man sich beraten lassen kann, worauf man Anspruch hat, wenn man ein Praktikum macht - es soll ja eine Ausbildungszeit sein und sie soll deshalb auch mit Anleitung verbunden sein, sie soll vergütet sein. Wir beraten junge Menschen. Wir machen deutlich, dass sie einen Anspruch haben auf einen Vertrag. Und wir wollen auch sicherstellen, dass dieses Praktikum vergütet wird. Es sollen mindestens 300 Euro sein; während eines Studiums sollten es 600 Euro sein, nach einem Studium - und wenn es eine reguläre Arbeit ist - sollten es mindestens 800 Euro sein. Das heißt, wir beraten, wir sensibilisieren für diese Fragen und wir ermutigen auch junge Leute, ihre Rechte durchzusetzen - wenn es nötig ist, auch über eine Klage.
Degenhardt: Am 1. April steigt der europäische Praktikanten-Aktionstag. Am Telefon von Deutschlandradio Kultur war Ingrid Sehrbrock, Mitglied des Geschäftsführenden DGB-Vorstandes. Vielen Dank für das Gespräch.