Deutschlands Juden und Israel
‚Ja und Amen’, sagen Deutschlands Juden zu Israel. So das traditionelle Klischee. Es war falsch, es ist falsch. Beispiel eins: 1950 hatte Israels Regierung, gemeinsam mit den Spitzenvertretern internationaljüdischer Institutionen, öffentlich die unmittelbar nach dem Holocaust in Deutschland lebenden Glaubensgenossen ultimativ aufgefordert, das, wie man es nannte, "Land der Mörder" innerhalb von sechs Monaten zu verlassen. Andernfalls würde man sie ächten. Der Zentralrat der Juden, allen voran Heinz Galinski, antwortete unmissverständlich: Man lasse sich von niemandem, auch nicht von Israel, vorschreiben wo man als Jude lebe.
Beispiel zwei: Januar 1991. Dem Wunsch und Druck des jüdischen Zentralrates nachgebend, beschlossen Bundes- und Landesinnenminister, Tausenden von Juden aus der (damals noch bestehenden) Sowjetunion die Einreise nach Deutschland zu ermöglichen. Israel tobte, und der Jüdische Weltkongress war empört.
Was hat sich dennoch innerhalb der deutschjüdischen Gemeinschaft in den letzten Jahren grundlegend verändert? Aus Quantitäten wurden durch die massive Einwanderung von Juden aus der Ex-Sowjetunion neue Qualitäten. Zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung lebten in Deutschland rund 30.000 Juden. Heute sind es rund 200.000, von denen ca. 120.000 in den jüdischen Gemeinden organisiert sind. Nach Deutschland kommen mehr Juden als nach Israel.
Wer kann sich wundern, dass es in manchen deutschjüdischen Gemeinden angesichts dieser Revolution drunter und drüber geht? In Anbetracht der Zahlenexplosion hält sich das revolutionäre Chaos in erträglichen Grenzen. Mehr Menschen, mehr Stimmen, Vielstimmigkeit also; also auch bei Deutschlands Juden, zumal Juden – nicht nur in Deutschland – wegen ihrer Bildungstradition (auch ohne Bafög) zu den am besten ausgebildeten Schichten gehören. Wer gut ausgebildet ist, drückt sich gut, gerne und oft aus. Wen kann es wundern, dass nun auch mehr Juden zu hören sind, zumal heftiger Streit schon seit Urzeiten zur jüdischen Kultur gehört?
Der Gegensatz zwischen zionistischen und anti- oder nichtzionistischen Juden ist so alt wie der Zionismus. Der Gegensatz wird größer, weil der Anteil der nach Israel auswandernden Juden immer kleiner wird. Unmittelbar nach dem Holocaust wurden die Anti- und Nichtzionisten stiller. Sie blieben zwar die Mehrheit der Juden, denn die wenigsten wanderten nach Israel aus, aber sie hatten zunächst ein schlechtes Gewissen, denn der Holocaust hatte offensichtlich die Warnungen des Zionismus bestätigt. Inzwischen hat man sich an Israel gewöhnt und auch ans schlechte Gewissen, das längst nicht mehr schlecht ist, denn Deutschlands Juden geht es gut in Deutschland, weil es Deutschland mit ihnen gut meint.
Womit wir bei der äußeren Fundamentalveränderung sind. Ja, es geht den Juden gut in Deutschland. Das wiederum heißt nicht, es gäbe keinen Antisemitismus oder Antiisraelismus. Es gibt sie, aber sie sind geächtet, und daher fühlen sich die Juden geachtet. Das sehen sie, das wissen sie, deshalb kommen und bleiben sie hier. Die russischjüdischen Neueinwanderer haben mit erstaunlicher Nonchalance, fast Chuzpe, mit Kopf und Füßen für Deutschland und gegen Israel abgestimmt. Es wäre daher schizophren, wenn sie Israel und den deutsch-jüdischen Zentralrat nicht kritisierten.
Als der deutschjüdische Chor das Lied "Angst vor Deutschland" angestimmt hatte, rief ich: "Keine Angst vor Deutschland!" Das gilt auch heute – trotz des starken Anti-Israelismus, der hierzulande mit Anti-Amerikanismus verwoben ist. Gerade deshalb sollten Israel kritische Juden darauf achten, sich nicht mit nichtjüdischen Scheinverbündeten anzufreunden. Sie könnten die "nützlichen Idioten" des Antizionismus und Antiamerikanismus werden. Deshalb bleiben sie eine deutschjüdische Minderheit. Die Mehrheit der deutschjüdischen Minderheit wird einerseits in Deutschland mehr verwurzelt und andererseits Israel-verbunden bleiben, ohne je Israel-hörig zu sein.
Michael Wolffsohn, Historiker. Er wurde 1947 in Tel Aviv als Sohn deutsch-jüdischer Emigranten geboren. Er kam als Siebenjähriger mit seiner Familie nach Deutschland. Nach dem Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Volkswirtschaft in Berlin, Tel Aviv und New York arbeitete er bis zu seiner Habilitation an der Universität in Saarbrücken. 1981 wurde er Professor für Neuere Geschichte an der Bundeswehrhochschule in München. Zu seinen Veröffentlichungen zählen "Keine Angst vor Deutschland!", "Die Deutschland-Akte - Tatsachen und Legenden in Ost und West" und "Meine Juden - Eure Juden".
Was hat sich dennoch innerhalb der deutschjüdischen Gemeinschaft in den letzten Jahren grundlegend verändert? Aus Quantitäten wurden durch die massive Einwanderung von Juden aus der Ex-Sowjetunion neue Qualitäten. Zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung lebten in Deutschland rund 30.000 Juden. Heute sind es rund 200.000, von denen ca. 120.000 in den jüdischen Gemeinden organisiert sind. Nach Deutschland kommen mehr Juden als nach Israel.
Wer kann sich wundern, dass es in manchen deutschjüdischen Gemeinden angesichts dieser Revolution drunter und drüber geht? In Anbetracht der Zahlenexplosion hält sich das revolutionäre Chaos in erträglichen Grenzen. Mehr Menschen, mehr Stimmen, Vielstimmigkeit also; also auch bei Deutschlands Juden, zumal Juden – nicht nur in Deutschland – wegen ihrer Bildungstradition (auch ohne Bafög) zu den am besten ausgebildeten Schichten gehören. Wer gut ausgebildet ist, drückt sich gut, gerne und oft aus. Wen kann es wundern, dass nun auch mehr Juden zu hören sind, zumal heftiger Streit schon seit Urzeiten zur jüdischen Kultur gehört?
Der Gegensatz zwischen zionistischen und anti- oder nichtzionistischen Juden ist so alt wie der Zionismus. Der Gegensatz wird größer, weil der Anteil der nach Israel auswandernden Juden immer kleiner wird. Unmittelbar nach dem Holocaust wurden die Anti- und Nichtzionisten stiller. Sie blieben zwar die Mehrheit der Juden, denn die wenigsten wanderten nach Israel aus, aber sie hatten zunächst ein schlechtes Gewissen, denn der Holocaust hatte offensichtlich die Warnungen des Zionismus bestätigt. Inzwischen hat man sich an Israel gewöhnt und auch ans schlechte Gewissen, das längst nicht mehr schlecht ist, denn Deutschlands Juden geht es gut in Deutschland, weil es Deutschland mit ihnen gut meint.
Womit wir bei der äußeren Fundamentalveränderung sind. Ja, es geht den Juden gut in Deutschland. Das wiederum heißt nicht, es gäbe keinen Antisemitismus oder Antiisraelismus. Es gibt sie, aber sie sind geächtet, und daher fühlen sich die Juden geachtet. Das sehen sie, das wissen sie, deshalb kommen und bleiben sie hier. Die russischjüdischen Neueinwanderer haben mit erstaunlicher Nonchalance, fast Chuzpe, mit Kopf und Füßen für Deutschland und gegen Israel abgestimmt. Es wäre daher schizophren, wenn sie Israel und den deutsch-jüdischen Zentralrat nicht kritisierten.
Als der deutschjüdische Chor das Lied "Angst vor Deutschland" angestimmt hatte, rief ich: "Keine Angst vor Deutschland!" Das gilt auch heute – trotz des starken Anti-Israelismus, der hierzulande mit Anti-Amerikanismus verwoben ist. Gerade deshalb sollten Israel kritische Juden darauf achten, sich nicht mit nichtjüdischen Scheinverbündeten anzufreunden. Sie könnten die "nützlichen Idioten" des Antizionismus und Antiamerikanismus werden. Deshalb bleiben sie eine deutschjüdische Minderheit. Die Mehrheit der deutschjüdischen Minderheit wird einerseits in Deutschland mehr verwurzelt und andererseits Israel-verbunden bleiben, ohne je Israel-hörig zu sein.
Michael Wolffsohn, Historiker. Er wurde 1947 in Tel Aviv als Sohn deutsch-jüdischer Emigranten geboren. Er kam als Siebenjähriger mit seiner Familie nach Deutschland. Nach dem Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Volkswirtschaft in Berlin, Tel Aviv und New York arbeitete er bis zu seiner Habilitation an der Universität in Saarbrücken. 1981 wurde er Professor für Neuere Geschichte an der Bundeswehrhochschule in München. Zu seinen Veröffentlichungen zählen "Keine Angst vor Deutschland!", "Die Deutschland-Akte - Tatsachen und Legenden in Ost und West" und "Meine Juden - Eure Juden".

Der Historiker Michael Wolffsohn© AP