Deutschlands einzige Bürgerministerin

Das Gespräch führte Nana Brink |
Aus Stuttgart 21 lernen heißt, die Demokratie neu zu lernen: Gisela Erler wird sich in Baden-Württemberg als Staatsrätin intensiv um die Einbindung der Bürger bei künftigen Projekten kümmern. Eine Idee, die sie auch bundesweit vorantreiben wolle, sagt Erler.
Nana Brink: Es war schon fast wie ein Mantra, so oft hat der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, bevor er denn Ministerpräsident wurde, das Wort Bürgerbeteiligung in den Mund genommen: Im Wahlkampf, zum Thema Stuttgart 21, bei jeder Pressekonferenz, und da war es fast klar, dass er liefern muss als Regierungschef. Das hat er getan und hat eine Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung in sein Kabinett berufen. Damit hat er signalisiert, dass unsere Demokratie reformbedürftig ist, und dieser Frage gehen wir in unserer kleinen Serie zum Jahresausklang schon seit Wochenbeginn nach. Frischzellenkur für die Demokratie – der Bürger entscheidet mit. Und ich bin jetzt verbunden mit Gisela Erler, sie ist die neue Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg. Schönen Guten Morgen, Frau Erler!

Gisela Erler: Hallo, guten Morgen, Frau Brink!

Brink: Man bezeichnet Sie auch als einzige Bürgerministerin Deutschlands. Was tun Sie?

Erler: Ich habe erst mal Bestandsaufnahme gemacht, wo fehlt es, was muss man tun? Und wir haben jetzt eigentlich mehrere Felder. Das Wichtigste und erste, was wir als Auftrag haben, ist ein sogenannter Leitfaden, das ist ja kein sehr konkreter Begriff. Das bedeutet aber, dass wir erarbeiten für die Verwaltung, für die Ministerien, für die Planungsbehörden vor allem – denn Konflikte sind oft rund um die Stellung von großen Infrastrukturprojekten –, also für die Planung neue Verhaltensregeln und Regelwerke, wie die Bürger da eingebunden werden müssen. Und das Wichtigste dabei ist, dass wir Verfahren finden, Bürger vor der regulären Planung ganz genau anzuhören, welche Alternativen können sie sich vorstellen? Soll das Ganze überhaupt stattfinden? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, warum? Und dass diese Diskussion gründlich geführt wird, dass sie auch so weit verbindlich geführt wird, dass halt, wenn es massive und berechtigte Einwände gibt, eben Dinge auch verändert werden und nicht einfach durchgezogen werden.

Brink: Lernen Sie da auch aus Stuttgart 21? Denn das war ja nicht eigentlich ein Problem der mangelnden Beteiligung im Vorfeld.

Erler: Natürlich lernen wir aus Stuttgart 21. Die Geschichte ist ja sehr kompliziert, aber wahr ist auch, dass es nicht so ist, dass die Bürger immer geschlafen haben, sondern es gab über Jahre immer wieder Versuche von Bürgern, auch Bürgerentscheide durchzuführen, die dann nicht gelungen sind, weil zum Beispiel die Gesetzgebung in dem Bereich in Baden-Württemberg nicht zureichend ist, die werden wir auch verändern. Wir lernen daraus jetzt ganz konkret: Stuttgart 21 bedeutet ja auch, dass die Strecke jetzt gebaut wird bis nach Ulm, da kommt dann demnächst die große Frage der Gestaltung, das ist, was man auf den Feldern nennt, wo ein großer Bahnhof beim Flughafen gebaut werden muss, viele Tunnels und Zuführungen. Und da wollen wir jetzt exemplarisch mit allen Akteuren und auch der Bahn ein großes Bürgerbeteiligungsverfahren auflegen. Das hat schon angefangen, da wollen wir jetzt aber die Initiativen zusammenbringen und auch – das ist mir wichtig – mit der Bahn darüber reden, dass sie, wie alle Investoren, in Zukunft eigentlich regelmäßig diese Dinge mitfinanzieren müssen. Denn das ist immer auch eine Kostenfrage.

Brink: Habe ich Sie jetzt richtig verstanden, dass Sie eine Form von Bürgerbeteiligung vorab eigentlich verankern wollen in den Entscheidungsprozessen?

Erler: Ganz genau, und wie die aussehen kann – jedes Projekt hat unterschiedliche Bedingungen, das heißt, man wird nicht sagen, es ist jetzt immer ein runder Tisch oder ein Faktencheck oder ein Variantencheck oder eine Bürgerbefragung. Aber man wird verankern, dass solche Dinge vorab stattfinden und dass sie auch gehört werden müssen, was aber natürlich nicht bedeuten kann, dass jeder Wunsch bedingungslos erfüllt werden kann. Aber schon, dass die Gemeinderäte – die sind ja am Schluss die Ausschlaggeber – oder die Investoren diese Dinge ernst nehmen, also ernsthaft durchführen und dann auch ernsthaft berücksichtigen, das ist das Ziel.

Brink: Wir sprechen ja jetzt viel im Konjunktiv – Sie haben keinen nennenswerten Apparat, keinen wirklichen Etat, Ihr Amt hat sehr viel Symbolisches. Anders ausgedrückt: Kitten Sie jetzt das Porzellan, das bei Stuttgart 21 zerbrochen ist?

Erler: Also, dass wir keinen Apparat haben, ist eigentlich gewollt, weil, das ist ein sogenanntes Querschnittsamt, und da gibt es immer das Risiko, dass es keine Macht hat. Und deswegen wurde bei uns schon in der Regierungserklärung verankert, dass die einzelnen Ressorts, also Verkehrsministerium, Umweltministerium, Bildungsministerium, dass die alle dieses Thema intensiv unter meiner Bündelung bearbeiten, das ...

Brink: Aber sie müssen nicht, sie können nicht ... ?

Erler: Doch, sie müssen wohl, das ist verpflichtend in der Regierungserklärung, und das wird auch getan. Wir haben einen sogenannten Kabinettsausschuss, in dem die Mitglieder des Kabinetts sehr genau erörtern, was sie tun, dass sie auch Personal und Geld einsetzen, und sie tun das umfänglich. Herr Bonde, der Landwirtschafts- und Umweltminister, der macht zum Beispiel eine sehr intensive Bürgerbeteiligung jetzt beim Nationalpark – sehr früh aufgelegt, sehr umfassend. Wir werden die Bürgerbeteiligung vertiefen jetzt mit dem Kultusministerium bei der Einführung der Gemeinschaftsschule. Also das ist schon so, dass wir mit den Häusern zusammen das durchführen und deswegen also nicht alleine stehen mit unseren sechs Leuten hier, sondern wir sind der Impulsgeber und die Bündeler. Aber die Ressourcen sind eben weitgehend in den Häusern, und das klappt auch gut.

Brink: Es gibt aber auch Grenzen der Bürgerbeteiligung. Es gibt ja auch heikle Fragen zum Beispiel einer Integrationsdebatte.

Erler: Ja, also wichtig ist, wir in Deutschland haben ein Grundgesetz. Und es gibt überhaupt keine Entscheide, auf welcher Ebene auch immer, die durchgeführt werden könnten gegen das Grundgesetz. Wir könnten keinen Entscheid über Verfassungsfragen wie zum Beispiel Minarette – das läuft unter Glaubensfreiheit – durchführen. Das ist bei uns ausgeschlossen.

Brink: Sie sagten bei Amtsantritt, Sie könnten einen großen Beitrag zur Revitalisierung der Demokratie in ganz Deutschland leisten. Soll es Ihr Amt auch auf Bundesebene geben?

Erler: Ja, ich finde es empfehlenswert, diese Dimension eigentlich überall anzudocken. Ich glaube, dass wir jetzt einen Beitrag leisten können, zum Beispiel dadurch, dass wir das Thema Planungsrecht und Bürgerbeteiligung auch auf Bundesebene vorantreiben. Da gab es schon einen Ansatz der alten Landesregierung, den werden wir vertiefen, dass wir den Vorschlag, Sachfragen in Volksentscheiden auch auf Bundesebene diskutieren und abstimmen zu können, den wollen wir auch auf Bundesebene vorantreiben, so habe ich das gemeint. Ich könnte mir auch vorstellen, dass eine Beauftragte oder Ministerin für Bürgerbeteiligung durchaus Sinn haben könnte, wobei ich auch glaube, es sollte immer eine Querschnittsaufgabe sein, die aber mit genügend Einfluss ausgestattet ist, dass die einzelnen Häuser das umsetzen.

Brink: Gisela Erler, Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg. Schönen Dank, Frau Erler, für das Gespräch!

Erler: Ja, bitte schön, Wiederhören!

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