Deutschlands Außenpolitik: Es muss sich viel ändern

Von Jan Ross |
Die deutsche Außenpolitik ist noch in den Sommerferien, die diesmal etwas länger dauern, bis zu den Wahlen am 18. September. Die Bewerbung um einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist vorerst gescheitert, die Bundesregierung betreibt dieses Lieblingsprojekt nur noch pro forma.
Die Sorge vor einer iranischen Atombombe ist größer denn je, aber von einer europäischen und deutschen Iran-Politik ist nicht mehr viel zu hören. Im Bundestagswahlkampf spielt die Außenpolitik, wie üblich, keine Rolle; die Wahl 2002, mit dem Streit um den Irak-Krieg, war ein krasser Ausnahmefall.

Schröder hat beim Thema Iran noch einmal ein bisschen Angst vor Bush geschürt und sich als Friedenskanzler in Erinnerung gebracht - kurz und ohne Erfolg. Aber auch das populistische Paradepferd der Unions-Außenpolitik, dass sie nämlich gegen eine EU-Mitgliedschaft der Türkei ist, kommt nicht in Trab.

Vom Herbst an wird es allerdings wieder eine deutsche Außenpolitik geben müssen, sehr wahrscheinlich unter einer neuen, christdemokratischen Kanzlerin. Wie wird die Bundesrepublik dann in Europa und in der Welt auftreten? Was wird sich ändern? Wird sich überhaupt viel ändern?

Gewiss weniger als in der Sozial- und Wirtschaftspolitik. Angela Merkel wird nicht gewählt, um Deutschland mit George Bushs Amerika zu versöhnen, im Gegenteil: dass man ihr das zutraut, dass man sie für proamerikanisch hält, ist für sie ein Handicap. Wenn sie die Bundesrepublik wieder enger an die Vereinigten Staaten binden will, muss sie es vorsichtig, unter den Augen einer misstrauischen Bevölkerung tun. Die Union schimpft sehr, und mit Recht, über Schröders Europapolitik, über die einseitige Fixierung auf den Politdinosaurier Chirac. Aber das ändert nichts daran, dass die Bundesrepublik in Europa keinen besseren Verbündeten finden wird als dieses wunderbare, nervige, ewig sein Konto überziehende Frankreich, das, von Spanien einmal abgesehen, das einzige europäische Land ohne antideutsches Ressentiment ist. Man mag sich hundertmal vorstellen, wie viel schöner und besser man es doch mit den Briten haben würde, aber diese Britenfreundschaft ist eine Phantasie, die Engländer spielen dabei einfach nicht mit; sie gehören nicht wirklich zu Europa, weil sie nicht wirklich zu Europa gehören wollen.

Das heißt nicht, dass in der deutschen Außenpolitik alles bleiben wird, wie es ist. Das Sonderverhältnis des gegenwärtigen Bundeskanzlers zu den eurasischen Großreichen Russland und China dürfte nach dem Regierungswechsel keine Fortsetzung finden. Gutnachbarschaftliche Beziehungen mit Moskau und geschäftsträchtige mit Peking wird jede Regierung in Berlin klugerweise pflegen; die Schrödersche Mischung von Friedenspathos und Vertreterbeflissenheit dagegen muss nicht sein. Gerade weil eine Kanzlerin Merkel in der Irak-Politik und bei einer möglichen Iran-Krise auf Distanz zu den Vereinigten Staaten achten muss, um ihr eigenes Volk nicht zu verprellen, wird sie die Supermacht nicht mit Aktionen wie einer Aufhebung des Waffenembargos gegen China provozieren. Wo die Bundesrepublik keine starken eigene Interessen hat, wo sie nicht unmittelbar betroffen ist, wird sie die Welt wieder mehr mit den Augen der Amerikaner betrachten und sich in die globale Politik Washingtons einfügen. Dafür kann man sich dann die Freiheit nehmen, Nein zur Türkei in Europa zu sagen, obwohl die Vereinigten Staaten es lieber anders hätten.

Die Außenpolitiker der Union und der FDP tun gern so, als sei Gerhard Schröder einfach ein verantwortungsloser Abenteurer gewesen, ein Mittelmacht-Großprotz, der die atlantische Bündnistreue und das gute alte bescheidene bundesdeutsche Europäertum in den Wind geschlagen habe. Das ist nicht ganz gerecht. Der Bruch mit Amerika hätte so brutal nicht ausfallen müssen, aber dass man sich auseinander entwickelt hat, seit 1989 und dann noch einmal seit dem 11. September 2001, das hat nicht Gerhard Schröder erfunden, das wäre auch ohne ihn der Lauf der Geschichte gewesen. Trotzdem: Etwas Unausgegorenes und nicht recht Vertrauenswürdiges hat die deutsche Außenpolitik in diesen Jahren tatsächlich angenommen, irgendwo zwischen moralischer Großsprecherei, Spielertum und neuer Interessenkälte. Es war frech, aber nicht ohne Grund, dass man Schröders außenpolitischen Stil als eine Art neuen Wilhelminismus bezeichnet hat. Für diese Art Auftreten ist Angela Merkel weder begabt, noch geht ihr Ehrgeiz dahin, und das ist auch gut so.

Jan Ross, geboren 1965, Studium der klassischen Philologie, Philosophie und Rhetorik in Hamburg und Tübingen. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für klassische Philosophie der FU-Berlin. 1991 bis 1996 Redakteur im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeine Zeitung", 1997/98 bei der "Berliner Zeitung". Seit Oktober 1998 politischer Redakteur der "Zeit". 1998 erschien das Buch: "Die neuen Staatsfeinde. Was für eine Republik wollen Schröder, Henkel, Westerwelle und Co?" Zuletzt veröffentlichte er "Der Papst. Johannes Paul II. Drama und Geheimnis".