Deutschland weiter im Reformstau?

Von Corinna Emundts |
Wenn die Politik schon Fehler macht, dann sollte sie zumindest daraus lernen. Oder denken sie doch schon alle an die nächste Wahl?
Gesundheitsreform - war da was? Kaum vom Bundestag verabschiedet, ist sie seltsam schnell von der Bildfläche verschwunden. Man könnte auch sagen: vergraben worden. Die große Parlamentsdebatte wurde zur großen Enttäuschung. Neben den üblichen Verteidigungsreden der führenden Protagonisten wie Ulla Schmidt wurde vor allem über das Procedere gestritten. Zu Recht, denn CDU und SPD konnten sich kurz vor knapp über rund 80 Änderungsanträge nicht entscheiden, die Opposition wurde nachts vor der entscheidenden Ausschusssitzung informiert. Andererseits war das auch nur die letzte Peinlichkeit in einem sagenhaft aufwändigen politischen Verhandlungsprozess.

Der monatelange, zeitliche Aufwand auf allen Seiten war so enorm, dass es daran nicht liegen konnte, dass das Ergebnis minimal war. Es war seltsamerweise kein rechter Grund zu erkennen, warum es so kommen musste. Zuweilen werden politische Kompromisse nach sachlichen Kriterien entschieden, oder es geht ausschließlich um Machtgewinn. Mal murrt die CDU, dann hat die SPD etwas gewonnen, mal ist es umgekehrt. Doch in diesem Fall trat beides nicht ein. Am Ende fühlten sich alle als Verlierer.

Man hätte deswegen besser von Anfang an das Wort "Reform" streichen können. Das ging aber nicht, weil das Schicksal der Großen Koalition am Gelingen ebendieser Reform hing. Bei einem solchen Eingeständnis, das von Medien und Opposition genüsslich zum Scheitern umdefiniert worden wäre, hätte die Regierung um ihre Stabilität fürchten müssen. Und wenn es einen Konsens dort gibt, dann dass man unbedingt die vier Jahre durchhalten muss, um das schwindende Vertrauen der Menschen in beide Parteien nicht noch zu nähren. Also hat man unter dem Etikett Reform einzelne Gesetzesveränderungen verhandelt, die im Detail durchaus vernünftig sind. Sei es die neue Abrechnung von Arzthonoraren, die Palliativmedizin oder die Pflichtversicherung für nicht gesetzlich Versicherbare. Allerdings wird aus der Summe von Einzelgesetzen nicht zwangsläufig eine Reform. Es kommt erschwerend hinzu, dass beide Parteien im Wahlkampf suggeriert hatten, das Gesundheitssystem von Grund her neu aufzubauen und nicht nur die Fassade zu renovieren.

Bei Gründung dieser zweiten Großen Koalition der Republik gab es zwei Möglichkeiten: Entweder würden SPD und CDU in der Lage sein, ihre Ideologien zeitlich befristet an den Nagel zu hängen und einen großen Konsens der Vernunft herzustellen –im Sinne von zwei Dritteln der Wählerschaft, die für beide zusammen votiert hatten. Oder – und das klingt paradox – die Zusammenarbeit dieser politischen Gegner verschärft sogar die ideologische Konkurrenz zueinander und damit auch ihre Unfähigkeit, einen Konsens zu finden. Einen Konsens, der mehr wäre als der kleinste gemeinsame Nenner in Unter-Unterpunkten von Gesetzen - das hatte schwarz-rot schließlich schon immer im Vermittlungsausschuss zwischen Bundesrat und Bundestag geschafft.

Leider sieht man jetzt, dass diese fast zwanghafte Parteilichkeit und Treue zu bestimmten Lobbyisten, die jedem in der traditionellen Farbenlehre zugeordnet sind, wie eine Mauer zwischen beiden stehen. Für Beobachter ist das äußerst schwer zu verstehen, da sich die Fachpolitiker inhaltlich häufig gar nicht uneinig sind, aber dann doch am Ende in ihre Parteilehren oder –logiken verfallen. Man wird das dieses Jahr noch erleben anhand des Streits um Kombi- oder Mindestlohn, anhand der Pflegeversicherung. Dort wird es vermutlich gar nicht anders gehen, als die Privatversicherten mit den Gesetzlichen zu fusionieren - was der Union ein Dorn im Auge ist - und andererseits Kopfpauschalen zu erheben - was die SPD per se für unsozial hält.

Beim nächsten Mal wird alles anders – so kann die deutsche Politik einfach nicht mehr funktionieren. Vielleicht wird es erst die sehr pragmatische Generation der heute 30-40-Jährigen schaffen, diesen ewigen Teufelskreis zu durchbrechen. Wenn sie nicht dann die Fehler ihrer Vorgänger kopieren.


Corinna Emundts, geb. 1970, schreibt für die Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit" Online-Kolumnen aus Berlin. Die Politikjournalistin (Theodor-Wolff-Preisträgerin 1995) hat auch für die "Süddeutsche Zeitung", die "Frankfurter Rundschau", "Die Woche" und andere Blätter gearbeitet.