Deutschland und die Wirtschaftskrise

Zu Gast: Ansgar Belke und Dominik Enste |
Jetzt scheinen alle Dämme gebrochen - eine negative Konjunkturprognose jagt die nächste: Ökonomen warnen vor der schärfsten Wirtschaftskrise seit 1949, Banken und Autoindustrie bitten um Staatshilfe, immer mehr Firmen verkünden Kurzarbeit, die Zahl der Pleiten steigt.
Auch das Wort des Jahres 2008 spiegelt diese Dramatik: Die "Finanzkrise" habe die öffentliche Diskussion in diesem Jahr besonders bestimmt, so das Urteil der Gesellschaft für deutsche Sprache. Auf Platz zwei landete das Wort "verzockt".

Das Rennen hätte auch das Wort "Konjunkturprogramm" machen können, denn auch hier überbieten sich Politiker und Wirtschaftsexperten mit Vorschlägen: Konsumschecks? Mehrwertsteuersenkung? Kaufanreize für Neuwagen?

Ansgar Belke, Professor für Volkswirtschaft und Experte für Makroökonomik an der Universität Duisburg-Essen, steht derlei Hilfsaktionen skeptisch gegenüber:

"Von Konsumschecks halte ich recht wenig, weil sie einen Einmaleffekt haben, sie sind ein Strohfeuer, und die Gefahr besteht, dass die Menschen abwarten und erst recht nichts ausgeben. Und dadurch droht noch mehr Arbeitslosigkeit." Zudem bedeuteten sie eine höhere Staatsverschuldung.

Was hält er von Kaufanreizen für Autos?

"Die halte ich für rein populistische Maßnahmen, außerdem laufen sie konträr zu dem Umweltschutzziel, weil der Zuschuss bei Spritschleudern größer ist und die falsche Produktpalette gestützt wird. Warum soll man in den Markt eingreifen? Ich bin da eher ein Freihändler, was das anbetrifft."

Der designierte Vizepräsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung rät, trotz der Krise Ruhe zu bewahren. Sie könne auch eine Chance sein, ein reinigendes Gewitter - wenn die Weichen richtig gestellt würden.

Wie sollen wir indes als Arbeitnehmer und Verbraucher auf all diese Nachrichten reagieren? Kaufen, so lange es geht oder sparen für schlechtere Zeiten? Müssen wir Angst vor der Zukunft haben?

"Die Ängste sind übertrieben, weil sie das beschwören, was wir eigentlich vermeiden wollen, dass wir nämlich eine Rezession kriegen wie in den 30er Jahren", sagt Dominik Enste vom Institut der deutschen Wirtschaft. Der Ökonom und Wirtschaftsethiker beschäftigt sich mit der psychologischen Seite der Wirtschaftskrise. "70 bis 80 Prozent der Menschen müssen sich gar keine Sorgen machen um ihren Job, sie gehen auch weiterhin einkaufen. Sehen Sie sich nur die Kölner Innenstadt am verkaufsoffenen Sonntag an. Die Preise sind niedrig, die Löhne und Gehälter werden noch gezahlt. Es ist kein Grund für panikartige Reaktionen."

Trotz der derzeitigen Situation gehe es den Deutschen besser denn je:
"Fakt ist: In den letzten 60 Jahren hat sich das Prokopfeinkommen versechsfacht. Gleichzeitig müssen wir 10 Stunden weniger arbeiten, die Urlaubszeit hat sich seit den 50er Jahren verdreifacht. Als Männer haben wir 12 Jahre, als Frauen 14 Jahre mehr Lebenszeit, um diesen höheren Lebensstandard zu genießen. Aber das steht alles hinten an, weil wir sagen: es gibt auch Hartz IV und Altersarmut. Das sind alles bedauerliche Einzelschicksale, aber sie verdecken, dass es 95 % besser geht als früher."

Auch er warnt vor übereiltem Aktionismus seitens der Politik:
"Ich halte viel von Gutscheinen, aber wenig von Konsumgutscheinen. Gutscheine sind okay, wenn sie konkret verwendet werden, z.B. Pflegegutscheine oder für Kinderbetreuung. Aber Konsumgutscheine entfachen lediglich ein Strohfeuer, weil man auch viel Geld verbrennt, wovon man gar nicht weiß, ob es die hiesige Wirtschaft oder nicht eher die französische oder italienische stärkt. Außerdem warten die Menschen dann auf den Konsumscheck. Besser wäre, die Mehrwertsteuer für sechs Monate zu senken. Ich denke, Frau Merkel hält sich bewusst zurück und wartet, um im Wahljahr entsprechend rauszukommen. Außerdem wäre es sinnvoller, nachhaltig zu investieren, zum Beispiel Schulen auf einen Stand zu bringen, der internationalen Anforderungen standhält, auch Kindertagesstätten und Hochschulen – all das, was längst anstand."

"Deutschland und die Wirtschaftskrise – Was kommt auf uns zu?"
Darüber diskutiert Dieter Kassel heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr gemeinsam mit den Wirtschaftsexperten Ansgar Belke und Dominik Enste. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800–22542254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.

Informationen im Internet über
Ansgar Belke und
Dominik Enste