Deutschland und der IS

Es sind unsere Terroristen

03:42 Minuten
Ein Fahrzeugkonvoi mit Mitgliedern der Terrormiliz Islamischer Staat
Damals noch auf dem Vormarsch: ein Fahrzeugkonvoi des sogeannten IS in Syrien. © Militant website/AP
Von Fabian Goldmann · 20.03.2019
Audio herunterladen
Deutschland sträubt sich gegen die Rückkehr seiner eigenen Staatsbürger, die zu IS-Terroristen wurden. Dabei hat die Bundesrepublik den Terror und die Terroristen einst exportiert. Und dies geschah wissentlich, sagt der Islamwissenschaftler Fabian Goldmann.
Wann haben Sie sich eigentlich zuletzt von deutschen Terroristen distanziert? Zum Beispiel von Robert B.? Der Ex-Bundeswehrsoldat aus Solingen hat mutmaßlich bei einem Selbstmordattentat Anfang 2014 50 Menschen mit in den Tod gerissen.
Oder von Yannik N.? Der junge Freiburger steuerte wahrscheinlich im Jahr 2015 einen mit anderthalb Tonnen Sprengstoff beladenen LKW in eine Menschenmenge und nahm so Dutzenden Personen das Leben.
Oder von Yamin A.?. Im Sommer 2015 tauchte im Netz ein Video auf, das zeigte, wie der ehemalige Telekom-Azubi aus Königswinter zwei gefesselten Soldaten in den Kopf schoss.
Oder, oder, oder…

Deutsche Täter, aber kaum deutsche Opfer

Hauptsache nicht bei uns! Dies scheint auch dieser Tage wieder die Maxime zu sein, wenn Politiker und Öffentlichkeit über den Umgang mit deutschen Terroristen diskutieren. Von potenziellen Bedrohungen und Anschlagsgefahren in Deutschland liest man dann. Vom ganz realen Terror, den Deutsche in den vergangenen Jahren über die Menschen in Syrien und Irak gebracht haben, hört man hingegen kaum. Ein Terror, der kaum deutsche Opfer aber umso mehr deutsche Täter kannte.
1.050 – das ist laut Bundesinnenministerium die Anzahl der Dschihadisten, die in den letzten Jahren die Bundesrepublik in Richtung Nahost verlassen hat. Es fällt schwer, sich umgekehrtes Szenario überhaupt auszumalen. Was wäre wohl los, hätte es nur ein Bruchteil arabischer Terroristen geschafft, bei uns Anschläge zu begehen? Europas "Muslim Bann"? Überwachungsstaat auf NSA-Niveau?
Die CSU stünde womöglich am linken Ende des politischen Spektrums, und auf Twitter würde Trump deutsche Migrationspolitiker zur Mäßigung aufrufen. Der deutsche Terror in Nahost kommt hingegen seit Jahren ganz ohne Sondersendungen, politische Debatten und Distanzierungsforderungen aus.

Deutsche Kämpfer waren nicht nur willenloses Kanonenfutter

An fehlendem Wissen liegt das nicht. Von ganzen Einheiten des IS, in denen kein einziger Kämpfer Arabisch spreche, berichten syrische, irakische und kurdische Soldaten schon seit Jahren. Von Aleppo über Raqqa bis Mossul haben Aktivisten und Politiker immer wieder darauf hingewiesen, dass viele der schlimmsten Mörder in den Reihen des IS Europäer sind. Interessiert hat das hier kaum jemand.
Dabei dienten Deutsche dem Islamischen Staats nicht nur als willenloses Kanonenfutter, wie es oft dargestellt wird. Viele haben seinen Terror mitgeprägt. Wie Martin L., der derzeit in kurdischer Haft sitzt. Der Schweißer aus Sachsen-Anhalt soll sich vom Folterknecht bis zum Geheimdienstler mit Kontakten bis in die Führungsspitze der Terrororganisation hochgearbeitet haben.
Oder Reda S., Der Prediger aus Berlin-Charlottenburg soll dem IS in Mossul als Bildungsminister gedient haben. Oder der Berliner Ex-Rapper Denis Cuspert, der zu den wichtigsten Personen in der IS-Medienorganisation Al-Hayat gehörte. Oder, oder, oder…

Behörden wussten gut Bescheid

Natürlich entstand der Islamische Staat nicht in deutschen Fußgängerzonen. Zur deutschen Verantwortung gehört aber auch, dass Politiker und Behörden lange wegschauten, solang nur die Täter, aber nicht die Opfer Deutsche waren. Behörden wissen und wussten erschreckend gut Bescheid über die Radikalisierung deutscher Islamisten. Ein Großteil der späteren IS-Kämpfer war polizeibekannt, stand auf Gefährderlisten oder hatte wegen islamistischer Straftaten bereits Haftstrafen verbüßt. An der Ausreise gehindert wurden sie oftmals dennoch nicht. Die Gefahr, die von deutschen Terroristen ausgeht, interessierte Politik und Öffentlichkeit erst dann wieder, als ihre Einreise drohte.

Fabian Goldmann ist Journalist und Islamwissenschaftler. Für verschiedene Magazine und Zeitungen berichtete er viele Jahre aus Nahost. Zurzeit widmet er sich vor allem dem Islam diesseits des Bosporus. Auf seinem Blog Schantall und die Scharia bloggt er über Islamophobie in Deutschland.

© Camay Sungu
Mehr zum Thema