Deutschland sitzt "auf der Anklagebank"
Der Europapolitiker Jorgo Chatzimarkakis hat den erneut drohenden Verstoß Deutschlands gegen den EU-Stabilitätspakt kritisiert. Gerade Deutschland müsse sich als ihr "Erfinder" an die Kriterien halten, sagte das Mitglied des Europäischen Parlaments. Ein weiterer Verstoß, sei "kein blaues Auge, das ist eher peinlich, und das führt nicht dazu, dass die anderen sich selbst an strikter Haushaltsdisziplin ausrichten".
Ostermann: Vier Mal hintereinander riss Deutschland die Latte, verstieß gegen die vorgegebene Defizitobergrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Und auch in diesem Jahr könnte das der Fall sein. Erst 2007, so die Pläne, würde der Stabilitätspakt wieder eingehalten.
Die EU-Kommission sieht die Probleme und kommt entgegen. Im laufenden Jahr verzichtet Brüssel auf eine Senkung des strukturellen Defizits um 0,5 Prozent, dafür muss es im kommenden Jahr um ein ganzes Prozent zurückgehen. Und, ab jetzt werden von Deutschland regelmäßige Haushaltsberichte verlangt. Über diesen Kompromiss reden möchte ich mit Dr. Jorgo Chatzimarkakis, er sitzt für die Liberalen im Parlament. Schönen, Guten Morgen.
Chatzimarkakis: Guten Morgen nach Berlin.
Ostermann: Da scheint Deutschland mit einem blauen Auge davon zu kommen. Wie bewerten Sie den sich abzeichnenden Kompromiss?
Chatzimarkakis: Naja, blaues Auge ist gut. Im Grunde sind es ja die Deutschen gewesen, die den Stabilitätspakt, der all diese Zahlen vorschreibt, gefordert haben. Wir erinnern uns, dass es nicht so leicht war, den Euro zu bekommen, es ging auf eine deutsche und auch französische Initiative zurück. Und in Deutschland konnte man den Stabilitätspakt, beziehungsweise den Euro erst durch ein zusätzliches Verfahren durchsetzen. Weil man damals sagte, wir brauchen eine Gewähr dafür, dass der Euro nicht nur bei der Hochzeit, also bei der Einführung des Euros, stabil ist, sondern langfristig. Das heißt, das Verfahren, um das es geht, ist eine urdeutsche Erfindung, und dass der Erfinder nun selbst schon zum vierten Male diese Erfindung nicht einhält, das ist kein blaues Auge, das ist eher peinlich. Und das führt nicht dazu, dass die anderen sich selbst an strikte Haushaltsdisziplin richten, ausrichten, sondern führt eher dazu, dass man sagt, ihr Deutschen ihr könnt es selber sicht, dann lassen wir es auch etwas lascher angehen.
Ostermann: Wie glaubwürdig ist aus Ihrer Sicht die deutsche Finanzpolitik, auf der einen Seite zu sparen und auf der anderen Seite durch die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer die öffentlichen Haushalte zu sanieren?
Chatzimarkakis: Na gut, die Erhöhung der Mehrwertsteuer soll ja ein Mittel sein, um mehr Einnahmen zu haben, um somit die Maastricht-Kriterien, drei Prozent Neuverschuldung, besser gestalten zu können. Ich bin aber nicht so sicher, ob das der richtige Weg ist. Ich glaube, und jeder weiß es auch in Europa, die Kommission macht auch solche Ratschläge, dass man einfach der Wirtschaft freieren Lauf lassen müsste und wenn die Konjunktur anspringt, dann sinkt auch die Beteiligung des Staates am Bruttoinlandsprodukt und dann kann man auch die Maastricht-Kriterien aus eigener Kraft schaffen. Dazu hat die Politik im Moment noch nicht den Mut. Das gilt für die Bundesregierung davor, das gilt für die jetzige. Ich hoffe, dass der Mut bald wieder da ist, denn nur eine echte Sanierung der Staatsfinanzen würde dazu führen, dass man sich wieder Respekt verschafft in Europa. Deutschland war mal ein Vorbild, und im Moment sieht man das nicht so stark, weil der Dollar immer noch nicht stärker ist als vor vielen, vielen Jahren. Wenn der Dollar stärker ist, und das Verhältnis Euro zu Dollar gravierender wird, dann würden viele in Deutschland auch aufschreien. Im Moment ist das durch die Schwäche des Dollars so ein bisschen kaschiert, dass wir hier große Fehler, strukturelle Fehler in Deutschland begehen, und darunter ganz Europa leiden wird.
Ostermann: Die Kommission verschärft jetzt das Verfahren, indem es regelmäßige Berichte verlangt, das ist ja die Vorstufe für Sanktionen. Hätten Sie sich eine härtere Gangart gewünscht?
Chatzimarkakis: Ich glaube, für den Moment ist das das richtige Verfahren. Die Kommission setzt Deutschland, so heißt das im Fachjargon, in den Verzug, das heißt, es muss ein neues Verfahren, eine weitere Stufe des Verfahrens eingehalten werden. Deutschland wird sozusagen regelrecht überprüft und wenn es schlecht wirtschaftet, wird es auf einen Aufschrei aus Brüssel stoßen. Das ist allein schon für sich genommen peinlich, im Grunde steht Deutschland damit in einer Stufe, auf einer Stufe mit einem anderen Land, das ich auch ganz gut kenne, das ist Griechenland, und das ist schon peinlich genug. Es kann aber gut sein, dass wenn die Bundesrepublik die notwendigen Kriterien nicht einhält, bald Strafzahlungen nötig sein werden. Also ich persönlich hoffe nicht, dass es dazu kommt, weil ich ... man sitzt damit schon genug auf der Anklagebank. Allerdings kann es dazu kommen, dass Deutschland Strafzahlungen machen muss. Man kann sich über die Verfahren, über das Verfahren an sich, kann man sich streiten, ob das in Ordnung ist, ob das überhaupt geht, dass ein Land, das wenig hat, viele Schulden hat, dann auch noch zu Strafen verpflichtet wird. Aber immerhin ist dies das Verfahren, das Deutschland selber mit angestrengt hat, und an Verträge muss man sich halten, also muss man sich hier auch an ein von sich selbst angestrengtes Verfahren halten.
Ostermann: Die EU-Kommission und die Finanzminister Mitte März dürften sich ja auf diesen Kompromiss des Gebens und Nehmens einlassen, aber wie ist eigentlich die Stimmung im Europäischen Parlament? Ist da nicht längst die Geduld mit Deutschland erschöpft?
Chatzimarkakis: Ja. Das Europäische Parlament vertritt ja die Bevölkerung in Europa und wir müssen feststellen, dass der Stabilitätspakt im Grunde eine Garantie war für künftige Generationen, dass die Politik nicht mehr sich verschuldet, dass die Politik keine Politik mehr betreibt, also dass die Staats- und Regierungschefs keine Politik mehr betreibt zu Lasten künftiger Generationen. Einfach Schulden machen und sozusagen das Übel in die Zukunft vertagen. Und hier sehen wir, auch als Vertreter der Interessen künftiger Generationen, dass sich die Staats- und Regierungschefs, insbesondere Deutschland nicht daran halten. Und das sehen wir mit großer Sorge...
Ostermann: ... gilt das eigentlich für alle Parteien? Ich denke mir, die Konservativen oder die Sozialdemokraten in Brüssel, die aus Deutschland kommen, sind da geduldiger.
Chatzimarkakis: Die sind natürlich etwas geduldiger. Und Sie müssen sehen, dass ausgerechnet diese beiden Parteien, CDU und SPD, die Fraktionsvorsitzenden der großen Fraktionen stellen, und wir stellen schon fest, dass seit der großen Koalition in Berlin, seit Bildung der großen Koalition in Berlin, auch in Brüssel und in Straßburg, bei uns im Europaparlament manchmal Kompromisse, manchmal in letzter Minute gemacht werden, die wir so nicht erwartet hätten. Also die lähmende Kraft der großen Koalition wirkt sich so ein bisschen auf Europa aus, gleichwohl ein großer Teil der Europaparlamentarier, eben die, die nicht aus Deutschland kommen, vor allem die aus kleineren Ländern kommen, wie Österreich, Niederlande, die sich an diese Stabilitätskriterien strikt, sehr strikt sogar, halten, die schauen auf uns und sind nicht erfreut, über das, was sich in Deutschland abspielt.
Ostermann: Dr. Jorgo Chatzimarkakis ...
Die EU-Kommission sieht die Probleme und kommt entgegen. Im laufenden Jahr verzichtet Brüssel auf eine Senkung des strukturellen Defizits um 0,5 Prozent, dafür muss es im kommenden Jahr um ein ganzes Prozent zurückgehen. Und, ab jetzt werden von Deutschland regelmäßige Haushaltsberichte verlangt. Über diesen Kompromiss reden möchte ich mit Dr. Jorgo Chatzimarkakis, er sitzt für die Liberalen im Parlament. Schönen, Guten Morgen.
Chatzimarkakis: Guten Morgen nach Berlin.
Ostermann: Da scheint Deutschland mit einem blauen Auge davon zu kommen. Wie bewerten Sie den sich abzeichnenden Kompromiss?
Chatzimarkakis: Naja, blaues Auge ist gut. Im Grunde sind es ja die Deutschen gewesen, die den Stabilitätspakt, der all diese Zahlen vorschreibt, gefordert haben. Wir erinnern uns, dass es nicht so leicht war, den Euro zu bekommen, es ging auf eine deutsche und auch französische Initiative zurück. Und in Deutschland konnte man den Stabilitätspakt, beziehungsweise den Euro erst durch ein zusätzliches Verfahren durchsetzen. Weil man damals sagte, wir brauchen eine Gewähr dafür, dass der Euro nicht nur bei der Hochzeit, also bei der Einführung des Euros, stabil ist, sondern langfristig. Das heißt, das Verfahren, um das es geht, ist eine urdeutsche Erfindung, und dass der Erfinder nun selbst schon zum vierten Male diese Erfindung nicht einhält, das ist kein blaues Auge, das ist eher peinlich. Und das führt nicht dazu, dass die anderen sich selbst an strikte Haushaltsdisziplin richten, ausrichten, sondern führt eher dazu, dass man sagt, ihr Deutschen ihr könnt es selber sicht, dann lassen wir es auch etwas lascher angehen.
Ostermann: Wie glaubwürdig ist aus Ihrer Sicht die deutsche Finanzpolitik, auf der einen Seite zu sparen und auf der anderen Seite durch die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer die öffentlichen Haushalte zu sanieren?
Chatzimarkakis: Na gut, die Erhöhung der Mehrwertsteuer soll ja ein Mittel sein, um mehr Einnahmen zu haben, um somit die Maastricht-Kriterien, drei Prozent Neuverschuldung, besser gestalten zu können. Ich bin aber nicht so sicher, ob das der richtige Weg ist. Ich glaube, und jeder weiß es auch in Europa, die Kommission macht auch solche Ratschläge, dass man einfach der Wirtschaft freieren Lauf lassen müsste und wenn die Konjunktur anspringt, dann sinkt auch die Beteiligung des Staates am Bruttoinlandsprodukt und dann kann man auch die Maastricht-Kriterien aus eigener Kraft schaffen. Dazu hat die Politik im Moment noch nicht den Mut. Das gilt für die Bundesregierung davor, das gilt für die jetzige. Ich hoffe, dass der Mut bald wieder da ist, denn nur eine echte Sanierung der Staatsfinanzen würde dazu führen, dass man sich wieder Respekt verschafft in Europa. Deutschland war mal ein Vorbild, und im Moment sieht man das nicht so stark, weil der Dollar immer noch nicht stärker ist als vor vielen, vielen Jahren. Wenn der Dollar stärker ist, und das Verhältnis Euro zu Dollar gravierender wird, dann würden viele in Deutschland auch aufschreien. Im Moment ist das durch die Schwäche des Dollars so ein bisschen kaschiert, dass wir hier große Fehler, strukturelle Fehler in Deutschland begehen, und darunter ganz Europa leiden wird.
Ostermann: Die Kommission verschärft jetzt das Verfahren, indem es regelmäßige Berichte verlangt, das ist ja die Vorstufe für Sanktionen. Hätten Sie sich eine härtere Gangart gewünscht?
Chatzimarkakis: Ich glaube, für den Moment ist das das richtige Verfahren. Die Kommission setzt Deutschland, so heißt das im Fachjargon, in den Verzug, das heißt, es muss ein neues Verfahren, eine weitere Stufe des Verfahrens eingehalten werden. Deutschland wird sozusagen regelrecht überprüft und wenn es schlecht wirtschaftet, wird es auf einen Aufschrei aus Brüssel stoßen. Das ist allein schon für sich genommen peinlich, im Grunde steht Deutschland damit in einer Stufe, auf einer Stufe mit einem anderen Land, das ich auch ganz gut kenne, das ist Griechenland, und das ist schon peinlich genug. Es kann aber gut sein, dass wenn die Bundesrepublik die notwendigen Kriterien nicht einhält, bald Strafzahlungen nötig sein werden. Also ich persönlich hoffe nicht, dass es dazu kommt, weil ich ... man sitzt damit schon genug auf der Anklagebank. Allerdings kann es dazu kommen, dass Deutschland Strafzahlungen machen muss. Man kann sich über die Verfahren, über das Verfahren an sich, kann man sich streiten, ob das in Ordnung ist, ob das überhaupt geht, dass ein Land, das wenig hat, viele Schulden hat, dann auch noch zu Strafen verpflichtet wird. Aber immerhin ist dies das Verfahren, das Deutschland selber mit angestrengt hat, und an Verträge muss man sich halten, also muss man sich hier auch an ein von sich selbst angestrengtes Verfahren halten.
Ostermann: Die EU-Kommission und die Finanzminister Mitte März dürften sich ja auf diesen Kompromiss des Gebens und Nehmens einlassen, aber wie ist eigentlich die Stimmung im Europäischen Parlament? Ist da nicht längst die Geduld mit Deutschland erschöpft?
Chatzimarkakis: Ja. Das Europäische Parlament vertritt ja die Bevölkerung in Europa und wir müssen feststellen, dass der Stabilitätspakt im Grunde eine Garantie war für künftige Generationen, dass die Politik nicht mehr sich verschuldet, dass die Politik keine Politik mehr betreibt, also dass die Staats- und Regierungschefs keine Politik mehr betreibt zu Lasten künftiger Generationen. Einfach Schulden machen und sozusagen das Übel in die Zukunft vertagen. Und hier sehen wir, auch als Vertreter der Interessen künftiger Generationen, dass sich die Staats- und Regierungschefs, insbesondere Deutschland nicht daran halten. Und das sehen wir mit großer Sorge...
Ostermann: ... gilt das eigentlich für alle Parteien? Ich denke mir, die Konservativen oder die Sozialdemokraten in Brüssel, die aus Deutschland kommen, sind da geduldiger.
Chatzimarkakis: Die sind natürlich etwas geduldiger. Und Sie müssen sehen, dass ausgerechnet diese beiden Parteien, CDU und SPD, die Fraktionsvorsitzenden der großen Fraktionen stellen, und wir stellen schon fest, dass seit der großen Koalition in Berlin, seit Bildung der großen Koalition in Berlin, auch in Brüssel und in Straßburg, bei uns im Europaparlament manchmal Kompromisse, manchmal in letzter Minute gemacht werden, die wir so nicht erwartet hätten. Also die lähmende Kraft der großen Koalition wirkt sich so ein bisschen auf Europa aus, gleichwohl ein großer Teil der Europaparlamentarier, eben die, die nicht aus Deutschland kommen, vor allem die aus kleineren Ländern kommen, wie Österreich, Niederlande, die sich an diese Stabilitätskriterien strikt, sehr strikt sogar, halten, die schauen auf uns und sind nicht erfreut, über das, was sich in Deutschland abspielt.
Ostermann: Dr. Jorgo Chatzimarkakis ...