Deutschland – Einwanderungsland?
Von Josef Schmid · 13.10.2010
Das entscheidende Kriterium dafür, was ein Einwanderungsland sei, ist nicht der Druck von außen. Es ist auch nicht die Zahl der schon im Lande lebenden Migranten. Vielmehr bedarf es neben einer politischen Absichtserklärung einer entsprechenden Geisteshaltung. Das aufnehmende Land braucht eine mentale Bereitschaft und eine Festigkeit, den Prozess der Migration durchzustehen, also die Ankommenden auszuwählen und einzugliedern und an die geeignete Stelle zu setzen. Einwanderungsländer sind nüchtern und selbstbewusst.
Es gibt keine Einwanderungspolitik, die nicht im Dienste nationaler Interessen steht. Einwanderer sollen mit ihrer Leistung eine erwünschte soziale Ordnung stützen, von der sie bald selbst profitieren. Man lasse sich einmal von den Botschaften der klassischen Einwanderungsländer Kanada, USA und Australien die Antragsformulare und Bestimmungen zur Ansicht schicken. Schnell kann man sehen, wie ein Einwanderungsland vorgeht – und im Geiste vergleichen, wie wir uns dabei anstellen würden. Mit ähnlicher Strenge und Deutlichkeit? Wohl kaum!
Viele jener Fragen seitens der Einwanderungsbehörden hätten hierzulande gar nicht gestellt werden können: Fragen nach Fähigkeiten und Beruf galten und gelten vielen bei uns noch immer als "Menschentaxieren" nach nützlich und unnütz; penible Fragen zur Person und Gesundheit als menschenverachtend, zynisch und rassistisch.
Hätte Deutschland sich schon früh zum Einwanderungsland erklärt, wäre das eine substanzlose Bekundung geblieben. Und die Probleme wären gewachsen, weil ein weltfremder Moralismus mit sektiererischer Penetranz die nötigen Ausführungsbestimmungen torpediert hätte. Zur Erinnerung: Die dringende Änderung der Asylgesetzgebung dauerte volle fünf Jahre und bot alle Facetten eines Gesinnungskampfes.
Der politische Moralismus entstammt den Positionskämpfen im kulturell-medialen Bereich, dem Verdrängungswettbewerb unter Intellektuellen am Meinungsmarkt. Dieser Wettbewerb ist an die Stelle der früheren Glaubensstreitigkeiten getreten, verläuft aber mit der gleichen Unerbittlichkeit. Zwischen dem Ausmaß an Intellektuellenmacht und der Nicht-Lösung und Vertagung von national-sensiblen Hausaufgaben besteht ein Zusammenhang. Auf der Ebene medialer Gesinnungsrivalitäten werden wichtige Probleme sentimentalisiert und auf demagogische Weise einer rationalen politischen Entscheidung entzogen. Der Zuwanderer ist da ein Opfer globaler Ungerechtigkeit, ein Erlöser von uns selber - zumindest ist er ein Unberührbarer, an dem wir uns in Charakteraufbesserung zu üben haben. Eine solche Sicht verbietet es geradezu, den Zuwanderer staatlichen Integrationsmaßnahmen zu unterziehen. Sie betrachtet den Deutschunterricht als "Zwangsgermanisierung" und die Ausweiskontrolle als "rassistische Vorverurteilung". Wer außerdem Nation und Kultur für gefährliche Fantasiegebilde hält, die man gut streichen könne, sollte gleich zweimal die Finger vom Label 'Einwanderungsland' lassen. Es eignet sich nicht als Spielwiese, auf der sich nationale Selbstwertdefekte austoben können.
Zum wiederholten Mal in Deutschland hat eine Hypermoral über lange Zeit vernünftige Politik verhindert und deren Sinn verkehrt. Für diese Moral waren die Einheimischen der eigentliche Integrations- und Erziehungsfall und weniger die Zuwandernden. Das Ergebnis sehen wir jetzt.
Josef Schmid, Bevölkerungswissenschaftler und Soziologe, zählt zu den profiliertesten Wissenschaftlern auf seinem Gebiet. Geboren 1937 in Linz, Österreich, studierte er Volkswirtschaft, sowie Soziologie, Philosophie und Psychologie und hatte von 1980 bis 2007 den Lehrstuhl für Bevölkerungswissenschaft an der Universität Bamberg inne. Hauptarbeitsgebiete sind Bevölkerungsprobleme der modernen Welt und der Entwicklungsländer, kulturelle Evolution und Systemökologie. Josef Schmid ist Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Humanökologie (DGH).
Veröffentlichungen u. a.: "Bevölkerung und Soziale Entwicklung" (1984), "Bevölkerungsveränderungen – Eine Revolution auf leisen Sohlen" (1984), "Das verlorene Gleichgewicht – Eine Kulturökologie der Gegenwart" (1992); "Sozialprognose – Die Belastung der nachwachsenden Generation" (2000; mit A. Heigl und R. Mai); "Bevölkerungswissenschaft im Werden" (2007; mit P. Henssler), über Denkschulen in der deutschen Bevölkerungs- und Industriegeschichte von Friedrich List bis Ludwig Erhard
Viele jener Fragen seitens der Einwanderungsbehörden hätten hierzulande gar nicht gestellt werden können: Fragen nach Fähigkeiten und Beruf galten und gelten vielen bei uns noch immer als "Menschentaxieren" nach nützlich und unnütz; penible Fragen zur Person und Gesundheit als menschenverachtend, zynisch und rassistisch.
Hätte Deutschland sich schon früh zum Einwanderungsland erklärt, wäre das eine substanzlose Bekundung geblieben. Und die Probleme wären gewachsen, weil ein weltfremder Moralismus mit sektiererischer Penetranz die nötigen Ausführungsbestimmungen torpediert hätte. Zur Erinnerung: Die dringende Änderung der Asylgesetzgebung dauerte volle fünf Jahre und bot alle Facetten eines Gesinnungskampfes.
Der politische Moralismus entstammt den Positionskämpfen im kulturell-medialen Bereich, dem Verdrängungswettbewerb unter Intellektuellen am Meinungsmarkt. Dieser Wettbewerb ist an die Stelle der früheren Glaubensstreitigkeiten getreten, verläuft aber mit der gleichen Unerbittlichkeit. Zwischen dem Ausmaß an Intellektuellenmacht und der Nicht-Lösung und Vertagung von national-sensiblen Hausaufgaben besteht ein Zusammenhang. Auf der Ebene medialer Gesinnungsrivalitäten werden wichtige Probleme sentimentalisiert und auf demagogische Weise einer rationalen politischen Entscheidung entzogen. Der Zuwanderer ist da ein Opfer globaler Ungerechtigkeit, ein Erlöser von uns selber - zumindest ist er ein Unberührbarer, an dem wir uns in Charakteraufbesserung zu üben haben. Eine solche Sicht verbietet es geradezu, den Zuwanderer staatlichen Integrationsmaßnahmen zu unterziehen. Sie betrachtet den Deutschunterricht als "Zwangsgermanisierung" und die Ausweiskontrolle als "rassistische Vorverurteilung". Wer außerdem Nation und Kultur für gefährliche Fantasiegebilde hält, die man gut streichen könne, sollte gleich zweimal die Finger vom Label 'Einwanderungsland' lassen. Es eignet sich nicht als Spielwiese, auf der sich nationale Selbstwertdefekte austoben können.
Zum wiederholten Mal in Deutschland hat eine Hypermoral über lange Zeit vernünftige Politik verhindert und deren Sinn verkehrt. Für diese Moral waren die Einheimischen der eigentliche Integrations- und Erziehungsfall und weniger die Zuwandernden. Das Ergebnis sehen wir jetzt.
Josef Schmid, Bevölkerungswissenschaftler und Soziologe, zählt zu den profiliertesten Wissenschaftlern auf seinem Gebiet. Geboren 1937 in Linz, Österreich, studierte er Volkswirtschaft, sowie Soziologie, Philosophie und Psychologie und hatte von 1980 bis 2007 den Lehrstuhl für Bevölkerungswissenschaft an der Universität Bamberg inne. Hauptarbeitsgebiete sind Bevölkerungsprobleme der modernen Welt und der Entwicklungsländer, kulturelle Evolution und Systemökologie. Josef Schmid ist Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Humanökologie (DGH).
Veröffentlichungen u. a.: "Bevölkerung und Soziale Entwicklung" (1984), "Bevölkerungsveränderungen – Eine Revolution auf leisen Sohlen" (1984), "Das verlorene Gleichgewicht – Eine Kulturökologie der Gegenwart" (1992); "Sozialprognose – Die Belastung der nachwachsenden Generation" (2000; mit A. Heigl und R. Mai); "Bevölkerungswissenschaft im Werden" (2007; mit P. Henssler), über Denkschulen in der deutschen Bevölkerungs- und Industriegeschichte von Friedrich List bis Ludwig Erhard