Kommentar

Paradoxe strafrechtliche Regeln zur Abtreibung ersatzlos streichen

04:31 Minuten
Demonstration am Internationalen Frauentag in Augsburg: Eine Frau trägt ein Schild mit der Aufschrift "Ersatzlose Streichung § 218". Das ist der Pragraph im deutschen Strafrecht zum Schwangerschaftsabbruch.
Auch auf Demonstrationen am Internationalen Frauentag wird die Streichung von Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs gefordert © IMAGO / Bihlmayerfotografie / IMAGO / Michael Bihlmayer
09.04.2024
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Die in Deutschland geltenden Vorschriften zum Schwangerschaftsabbruch seien verfassungswidrig und paradox, meint die Strafrechtlerin Jessica Hamed. Sie spricht sich daher für die vollständige Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs aus.
Der Schwangerschaftsabbruch war kein Thema, für das ich brannte. Doch dann musste ich mich damit beruflich befassen und merkte, dass ich völlig falsch lag mit meiner Annahme, der Schwangerschaftsabbruch sei in Deutschland bis zum dritten Monat legal und es gäbe keine Probleme. Je mehr ich mich mit dem Thema beschäftigte, desto klarer wurde mir, dass die geltenden Vorschriften verfassungswidrig sind - auch wenn das Bundesverfassungsgericht das anders sieht.

Situation in Deutschland ist paradox

Die Situation ist paradox: Der indikationslose Schwangerschaftsabbruch gilt in Deutschland noch immer als rechtswidrig, allerdings wird von einer Bestrafung abgesehen. Jede Frau, die diese Regelung nutzt, macht sich danach zwar nicht strafbar, aber sie begeht Unrecht. Das klingt nicht nur widersprüchlich, sondern ist es auch.
Es wird sogar so skurril, dass Karlsruhe den Staat dazu auffordert, geeignete Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Frauen solche „rechtswidrigen Handlungen“ gefahrlos begehen können. Mit anderen Worten: Der Staat wird verpflichtet, unrechtmäßige Handlungen zu ermöglichen!

Verfassungsrichter argumentieren widersprüchlich

Als unrechtmäßig kann die Abtreibung nur deshalb gelten, weil Blastozyten, Embryonen und Föten Grundrechte zugesprochen werden. Das lässt sich meines Erachtens juristisch jedoch nicht begründen. Grundrechtsschutz kommt nämlich „erst“ dem neugeborenen Säugling zu. Personenrechte erst mit der Geburt einzuräumen, das sehen auch die Vereinten Nationen so. Artikel 1 der UN-Menschenrechtserklärung sagt, dass alle Menschen „frei und gleich an Würde und Rechten geboren“ sind – und eben nicht gezeugt oder empfangen.
Auch in anderer Hinsicht haben die Verfassungsrichter widersprüchlich argumentiert: Die Aufnahme des „an sich selbstverständlichen Rechts auf Leben in das Grundgesetz“ erkläre sich nämlich hauptsächlich als „Reaktion auf die ,Vernichtung lebensunwerten Lebens‘ durch ,Endlösung‘ und ,Liquidierung‘, die vom nationalsozialistischen Regime als staatliche Maßnahmen durchgeführt wurden.
Tatsächlich haben die Nationalsozialisten einerseits die Tötung ungewollter Föten massiv vorangetrieben, anderseits jedoch den Schwangerschaftsabbruch mündiger Frauen mit besonderer Härte bestraft. Umso erschütternder ist es, dass auch das Bundesverfassungsgericht den Schwangerschaftsabbruch generell als „Unrecht“ ansah, nicht aber die Abtreibung eines Embryos, sofern es z. B. Hinweise auf eine schwere Erkrankung gibt.

Regelung des Schwangerschaftsabbruchs ist keine weltanschauliche Frage

Es ist wichtig zu verstehen, dass es bei der Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs um eine juristische und keine weltanschauliche Frage geht. Bei der früher verpönten Homosexualität hat die Gesellschaft das mittlerweile verstanden. Abgesehen davon ist die Annahme, dass eine Legalisierung zu vermehrten Schwangerschaftsabbrüchen führen würde, nicht belegt. So hat etwa das liberale Kanada prozentual ein Drittel weniger Abbrüche als die USA – und sie finden früher statt.
Bei uns hat die aktuelle Regelung dazu geführt, dass es nur noch wenige Ärztinnen und Ärzte gibt, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, sodass die schlechte Versorgungslage die Gesundheit der Betroffenen bedroht. Sie müssen lange Wege auf sich nehmen, und die Abbrüche finden deshalb später als nötig statt. Das benachteiligt vor allem ökonomisch schwache Frauen.

Frauen haben das Recht, frei über ihren Körper zu entscheiden

Als Juristin spreche mich deshalb für die vollständige Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs aus. Frauen haben das Recht, frei über ihren Körper zu entscheiden. Die §§ 218 StGB, die den Schwangerschaftsabbruch derzeit strafrechtlich regeln, sind ersatzlos zu streichen, auch bedarf es keiner sonstigen Fristenregelungen. Lediglich der gegen oder ohne den Willen der Schwangeren durchgeführte Abbruch ist zu bestrafen.
Damit es nicht zu übereilten Abbrüchen kommt, müssen niedrigschwellige Beratungsangebote zur Verfügung gestellt werden. Kurzum: Betroffene Frauen benötigen – gerade auch in ländlichen Regionen – eine sichere ärztliche Versorgung und Beratung. Was sie nicht benötigen, ist eine moralische Belehrung.

Jessica Hamed

Jessica Hamed ist Fachanwältin für Strafrecht und lehrt an der Hochschule Mainz und beim Bundeskriminalamt. Als stellvertretende Direktorin leitet sie gemeinsam mit Prof. Dr. Jörg Scheinfeld das Institut für Weltanschauungsrecht.

Porträt von Jessica Hamed
© kortizes PUNKT / Karin Becker
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