Deutsches Frauenarchiv geht online

"Wir sind immer noch männerdominiert"

Die Frauenrechtlerinnen Anita Augspurg, Marie Stritt, Lily von Gizycki, Minna Cauer und Sophia Goudstikker (v.l.n.r.), um 1894 - zu finden im Digitalen Deutschen Frauenarchiv
Die Frauenrechtlerinnen Anita Augspurg, Marie Stritt, Lily von Gizycki, Minna Cauer und Sophia Goudstikker (v.l.n.r.), um 1894 - zu finden im Digitalen Deutschen Frauenarchiv © Bildnachweis: Atelier Elvira, Wikimedia Commons, gemeinfrei
Sabine Balke im Gespräch mit Ute Welty · 13.09.2018
Der Kampf ums Frauenwahlrecht: In den Schulbüchern sei dazu nichts zu finden, sagt Sabine Balke vom Digitalen Deutschen Frauenarchiv. Dort werden nun Quellen zur Geschichte der Frauenbewegung publiziert.
Ute Welty: Heute geht ein für Europa einzigartiges Projekt online: Es startet das Digitale Deutsche Frauenarchiv. An der Berliner Humboldt-Universität findet deswegen ein Festakt statt, zu dem auch die zuständige Bundesministerin Franziska Giffey erwartet wird. Mitglied der Geschäftsführung beim Digitalen Deutschen Frauenarchiv ist Sabine Balke. Guten Morgen, Frau Balke!
Sabine Balke: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Worin liegt die besondere Bedeutung eines solchen Archivs für die Geschichtsforschung?
Balke: Die besondere Bedeutung des Archivs ist für uns auf jeden Fall, Geschichte sichtbar zu machen. Frauen machen Geschichte! Und das ist in der heutigen Zeit immer noch eine Arbeit, die wir tun müssen. Frauen sind nicht sichtbar gewesen in den Schulbüchern, bis heute nicht. Und wir brauchen noch viel Arbeit, um eben eine Parität auch in der Geschichtsschreibung zu erreichen.

Tagebuch der Frauenrechtlerin Minna Cauer

Welty: Was sind das für Dokumente, mit denen Sie die Geschichte von Frauen oder Geschichte durch Frauen sichtbar machen können und die Sie jetzt digitalisiert haben?
Balke: Das sind Bestände aus dem i.d.a.-Dachverband, das ist der Dachverband der Frauen- und Lesbenarchive und -bibliotheken im deutschsprachigen Raum. Diese Bestände wurden gesammelt von den Frauen seit über 40 Jahren. In den 70er-Jahren fingen sie an zu sammeln, die Bestände, weil sie gemerkt haben, es gibt in den öffentlichen Bibliotheken, Archiven nicht viel oder ganz rudimentär nur die Geschichte von Frauen. Und das sind zum Beispiel Tagebücher, Tagebücher von Minna Cauer. Sie war eine der Frauenrechtlerinnen, die für das Frauenwahlrecht gekämpft haben. Dieses Tagebuch ist digitalisiert und wird ganz online gestellt, und man kann da blättern, und man kann die Handschrift von Minna Cauer sehen, und man kann eben selbst reinzoomen in das Portal und schauen, was sie geschrieben hat.
Demonstration für das Frauenwahlrecht am 12. Mai 1912 in Berlin, digital koloriertes Foto der Gebrüder Haeckel
Demonstration für das Frauenwahlrecht am 12. Mai 1912 in Berlin, digital koloriertes Foto der Gebrüder Haeckel© picture alliance/akg-images
Welty: Alle sollen auf dieses Archiv zugreifen können. Was war denn bislang so schwierig? Was hat den Blick verstellt auf die Frauenbewegung?
Balke: Wir sind immer noch eine Gesellschaft, die männerdominiert ist. Was verstellt? Es ist einfach – mein Sohn, als er in der Schule die Weimarer Republik durchgenommen hat im Geschichtsunterricht, da habe ich ihn gefragt: Und was ist mit dem Frauenwahlrecht? Und da hat er mich nur angeguckt und hat gesagt: Was, Frauenwahlrecht? Und da hab' ich im Schulbuch nachgeguckt, und es ist ein einziger Satz drin gewesen, ein einziger Satz, nämlich "Die Frauen bekamen 1918 das Frauenwahlrecht" - Punkt! Aber all die Kämpfe, die diese Frauen damals kämpfen mussten, um dazu zu kommen, das Wahlrecht zu bekommen, das wird nirgendwo aufgeschrieben, bis heute nicht. Wir wissen nicht, wer Anita Augspurg war. Wir wissen nicht, wer Minna Cauer war. Und das ist, denke ich, unsere Aufgabe im Digitalen Deutschen Frauenarchiv, das aufzuzeigen, aufzudecken, Lust zu machen, reinzugehen und diese Geschichte erfahrbar zu machen.
Welty: Aber kann es nicht auch ein Zeichen von Selbstverständlichkeit sein, dass es eben keine besondere Erwähnung findet, dass 1918 das Frauenwahlrecht eingeführt wurde?
Balke: Es war keine Selbstverständlichkeit.

"Wir müssen bis heute noch kämpfen"

Welty: Nein, aber es ist vom heutigen Standpunkt aus und vom heutigen Blick aus eine Selbstverständlichkeit, und deswegen macht man da nicht mehr so viel Aufhebens drum.
Balke: Ja, aber auch heute müssen wir noch kämpfen um unsere Rechte, auch heute noch gibt es eben keine Parität zwischen den Geschlechtern, beim Lohn für gleiche Arbeit und ähnliches. Es ist unsere Geschichte, zu wissen und zu erfahren, dass Frauen immer dafür kämpfen mussten, sich einen Teil zu nehmen, in die Universitäten gehen zu können, studieren zu können, das Wahlrecht zu erlangen. Elisabeth Selbert hat kämpfen müssen, damit im Grundgesetz dieser Satz steht: Frauen und Männer sind gleich. Das ist wichtig, heute auch zu wissen, und es ist keine Selbstverständlichkeit. Wir müssen bis heute noch kämpfen um unser Recht und unser Selbstverständnis in der Gesellschaft.
Welty: Ein wichtiges Stichwort für Sie ist die Deutungshoheit. Wie sehr liegt die Ihrer Ansicht nach immer noch bei Männern?
Balke: In dem Moment, wo Frauen unsichtbar gemacht werden – ich beziehe mich jetzt auf die Geschichte –, ist die Deutungshoheit bei Männern. Und für uns ist es wichtig, jetzt durch die technischen Errungenschaften, die es in den letzten Jahrzehnten gegeben hat, zu gucken, dass wir das ändern können, dass wir da ändern können, dass wir da reingehen und sagen können, wir haben selbst die Deutungshoheit. Wir können zeigen, wie Geschichte war. Und das war auch ein Antrieb der Frauen in den 70er-Jahren. Aus diesem Grund haben sie angefangen, diese Archive zu gründen, diese Bibliotheken zu gründen und zu sammeln. Protokolle, Fotos, Plakate, all das zu überliefern, für uns, für die nächsten Generationen, um aufzuzeigen, früher gab es auch schon, und heute müssen wir wieder kämpfen für manches.
Welty: Sie sagen, wieder dafür kämpfen. Waren wir schon mal weiter?
Balke: In manchen Punkten schon. Wenn man sich in der Weimarer Republik, in Berlin anguckt, was es da für eine Fülle an Bars, Cafés für Frauen gab und ein Leben gab, wo eben ganz viel passiert ist. Und dann, Anfang der 30er-Jahre, wurde alles geschlossen mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus, weil die Repressionen so groß waren. Geschichte ist nicht linear, sondern es geht so in Wellen. Und nach dem Weltkrieg mussten die ganzen Frauenverbände wieder kämpfen, sich wieder aufzustellen, weil alles war kaputt gemacht worden vor dem Zweiten Weltkrieg. Und da wieder anzufangen, in diesen Wellen, das ist ganz wichtig für uns zu wissen: Früher gab es diese Kämpfe auch schon, früher waren die Frauen schon – um zu lernen, was ist damals schief gelaufen, um zu gucken heute, wehret den Anfängen. Zu gucken, das ist damals so gelaufen, wir müssen heute ganz klar uns positionieren und uns ganz klar wehren zum Beispiel.
Welty: Heute geht das Digitale Deutsche Frauenarchiv online. Verantwortlich dafür ist unter anderem Sabine Balke. Frau Balke, haben Sie Dank für das Gespräch, und ich wünsche Ihnen einen guten Tag!
Balke: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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