"Deutscher Plumpsack mit Sauerkraut im Hirn"

Rezensiert von Jörg Plath · 28.08.2006
Der französische Schriftsteller und Kritiker Jules Barbey d’Aurevilly rechnet in "Gegen Goethe" mit dem deutschen Dichter ab. Kein gutes Haar lässt der Pamphletist an dessen Romanen, Gedichten und Theaterstücken. Obwohl Goethe übel beschimpft wird, macht das Lesen dieser wortgewaltigen Attacken Spaß.
Manche Stunden sind der Lektüre und der Kritik hold, manche weniger. Jules Barbey d’Aurevilly hat 1870 mit recht ungünstigen Umständen zu kämpfen:

"Während die Preußen Paris bombardierten, las ich Goethe."

Die französische Ausgabe von Goethes "Sämtlichen Werken" war im Jahr des deutsch-französischen Krieges neu aufgelegt worden, und der Pariser Starkritiker sah sich militärisch wie kulturell angegriffen:

"Goethe bombardierte mich mit Langeweile. Von allen deutschen Geschossen, die über meinem Stadtteil niedergingen, waren die Sämtlichen Werke für mich das schwerste."

Nun hätte sich Barbey D’Aurevilly als kultureller Landesverteidiger inszenieren können. Doch die totale Mobilmachung bleibt dem 20. Jahrhundert vorbehalten. Barbey D’Aurevilly kündigt lediglich an, Goethe "ein paar gezieltere, härtere, tiefer gehende Schläge zu versetzen", und beendet den ersten Absatz seiner Schrift "Gegen Goethe" mit der Frage, ob ein Genie langweilig sein könne. Das ist nicht nur eine "sehr französische Frage", wie er zugibt, es ist nach dem kriegerischen Auftakt auch eine sehr matte.

Jules Barbey d’Aurevilly filettiert seinen Gegenstand, den er einmal Wolfgang Goethe und dann nur noch Goethe nennt, mundgerecht. Zwischen Einleitung und Zusammenfassung nimmt er sich nacheinander die Theaterstücke, die Gedichte, die Philosophie, die Romane, Kunst und Reisen sowie die Wissenschaft vor, jedoch keineswegs vollständig und zuweilen mit Hilfe von falschen Zitaten.

Im Kapitel über die Romane wird etwa nur dem "Werther" die Gunst einer längeren Erwähnung zuteil: Der "kleine Roman, der so welk, so blass, so altmodisch wirkt", sei noch der beste. "Die Wahlverwandtschaften", die eigentlich "Das sentimentale Konkubinat" heißen müssten, und "Wilhelm Meister" habe wohl nie jemand ganz gelesen. Beide Romane seien "keine Bücher (…), nicht einmal mehr schlechte, sondern nicht mit Namen zu bezeichnende, nicht wiederzugebende, unlesbare Dinge". Weshalb Barbey D’Aurevilly von ihnen schweigt. Das ist kein kursorisches, sondern ein ignorantes Verfahren.

Der zum Katholizismus konvertierte Kritiker wettert gegen den deutschen Protestantismus, er vermisst die psychologische Figurenzeichnung, und in Goethes Dramen fehlen ihm die drei Einheiten der Handlung, der Zeit und des Ortes.

Findet also wenigstens Goethes klassizistisch gebaute "Iphigenie in Tauris" Gefallen? Nein, sie sei "eine Imitation des griechischen Theaters."

Der Ruhm des Weimarers, den Napoleon 1808 auf dem Erfurter Fürstenkongress empfing, gründete sich in Frankreich vor allem auf Madame de Staëls einflussreiches Buch "Über Deutschland". Mag sein, dass Barbey D’Aurevilly bei seinen Lesern Goethe-Kenntnisse voraussetzen durfte und sie nicht in extenso wiederkäuen musste.

Ob das auch für die Metaphysik gilt, die zum Verständnis von Klassik und Deutschem Idealismus nicht unwichtig ist? Der Pamphletist erwähnt die Metaphysik im Kapitel über die Romane mit drei Sätzen:

"Die unschuldigen Deutschen, diese falschen Biedermänner aus Deutschland haben die Metaphysik erfunden, um ihre Heuchelei zu verstecken. Sie sind pfiffig, trotz ihrer Schwerfälligkeit und Einfalt. Die Metaphysik ist die Tarnkappe ihrer Unmoral, wenn sie unmoralisch sind."

Mag sein, dass der Autor wusste, was Metaphysik ist, verraten wollte er es nicht.

All das wäre Barbey D’Aurevilly nachzusehen, träte er wenigstens zu polemischen Höhenflügen an. Doch der "Faust" ist ihm eine "literarische Krupp-Kanone", "Werther" der "Pistolenschuss des Jahrhunderts". Goethe nennt er einen "bedürftigen Monogamisten", der geboren sei für das Konkubinat, außerdem einen "Gimpel", "Dekorateur", "Imitator", "Opernmacher", "ewigen Arrangeur", "Papierzuschneider", "Langeweiler", "ambitionierten Tausendsassa", einen "deutschen Plumpsack" mit Sauerkraut im Hirn, einen "trägen Prahlhans der Laster seines Geistes", eine "Leseratte" und "Gipsarbeit" und "aller Welt Bastard".

"Gegen Goethe" ist eine lärmende, oft plumpe Beschimpfungsarie, keine geistreiche Polemik.

Jules Barbey d’Aurevilly ist hier zu Lande als Autor des Romans "Die Teuflischen" und des Essays "Vom Dandytum" bekannt. Als Kritiker führte er stets eine spitze Feder. Seine Grobheiten in "Gegen Goethe", so Lionel Richard in einem instruktiven Nachwort, seien auch ein Vatermord: Barbey d’Aurevilly habe den Goethe-Verehrer und Kritikerpapst Charles-Augustin de Sainte-Beuve erst lange erfolglos umworben und dann bekämpft. Das Goethe-Bashing gilt eigentlich dem Konkurrenten.

Erstaunlicherweise macht das Buch dennoch Freude. Es ist ein sorgfältig übersetztes und ediertes Schmuckstück mit hilfreichen Anmerkungen, zudem hübsch garniert mit zahlreichen Goethe-Porträts, die ein Essay von Christian Hecht vorstellt als auf unterschiedlichem Niveau scheiternde Versuche, einen Dichterfürsten zu malen. So kann man es lesen als einen sardonischen Gruß zum 257. Geburtstag des Geheimen Raths.

Jules Barbey d’Aurevilly: Gegen Goethe
Aus dem Französischen und mit Anmerkungen von Gernot Krämer
Mit einem Nachwort von Lionel Richard und einem Essay von Christian Hecht
Matthes & Seitz, Berlin 2006
144 Seiten, 19,80 Euro