Preti Taneja: "Wir die wir jung sind"

"King Lear" auf Indisch

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Das Buchcover des Romans "Wir, die wir jung sind" von Preti Taneja liegt auf einem Hintergrundfoto, das junge Leute bei einem Fest in Indien zeigt. Sie haben sich mit Farbpulver beworfen.
Die indische Autorin hat mit ihrem Roman "Wir, die wir jung sind" eine "King-Lear"-Neuinterpretation vorgelegt. © C.H. Beck/Unspash/Shubham Sharma/Deutschlandradio
Von Johannes Kaiser · 23.03.2019
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Indien mit seine patriarchalen Familienstrukturen ist vermutlich ein idealer Handlungsort für eine Neuinterpretation von "King Lear". Die Autorin Preti Taneja liefert sie erfindungsreich und wortgewaltig. Ihr König: ein skrupelloser Konzernchef.
Wortgewandt und mit vielen unverhofften Wendungen erzählt die in England geborene und aufgewachsene Schriftstellerin Preti Taneja, deren Eltern aus Indien stammen, wie ein Patriarch und Konzernchef sich und sein Lebenswerk zerstört.
Mit großer Brutalität, absoluter Skrupellosigkeit, zynischer Menschenverachtung hat der inzwischen 75jährige Devraj sein Imperium geschaffen. Er hat Politiker gekauft, Beamte bestochen, Parteien und Journalisten geschmiert. Jetzt sollen seine drei Töchter sein Erbe antreten. Gagi, die Älteste, ist eine kühl kalkulierende Geschäftsfrau, die alle Konzernzahlen im Kopf hat. Radha – modeversessen, verschwenderisch, narzisstisch - kümmert sich um die PR. Sita, die jüngste, kämpft für den Naturschutz, will mit dem Konzern nichts zu tun haben.

Töchter, Söhne und ein wahnsinniger König

Die Töchter können aber nicht allein über die Zukunft der Firma entscheiden, sondern müssen die beiden Söhne von Ranjit Singh mit berücksichtigen, dem alten Freund ihres Vaters, der Mitbesitzer ist. Sie alle kennen sich seit der gemeinsam verbrachten Kindheit sehr gut. Shakespeares "König Lear" Drama lässt grüßen. Zwei Töchter, die ihren Vater entmachten und eine dritte Tochter, die von ihm verflucht wird. Zwei Söhne seines engsten Beraters, die im Machtkampf Partei ergreifen. Ein König, der letztlich dem Wahnsinn verfällt.
Preti Tanejas Neuinterpretation ist mit über 600 Seiten weit ausholend, bitter und bisweilen sarkastisch. Sie entwirft das Sittengemälde einer reichen indischen Oberschicht, die sich ohne Gewissensbisse bereichert, Korruption für normal hält, nur den eigenen Vorteil im Auge hat. Die Autorin erzählt chronologisch, beginnt beim Machtverzicht des Patriarchen, der sich dennoch weiterhin ständig einmischt, und endet beim grausamen Ausgang des Machtkampfes. Taneja wechselt ständig die Perspektive. Mal spricht der Patriarch, mal erfahren wir, was jede der drei Schwestern und die beiden Söhne des Teilhabers planen und unternehmen.

Der Patriarch wird zur Ghandi-Figur

Die Situation spitzt sich unaufhörlich zu. Es kommt zur offenen Auseinandersetzung zwischen den Töchtern und dem Patriarchen, der plötzlich gandhi-artig durchs Land zieht, zur Rebellion gegen seine eigene Firma aufruft, deren korruptes Handeln anprangert, sich als geläuterter Weiser gibt.
Indien, so zeigt Preti Taneja, befindet sich im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbruch. Die alten patriarchalen Machtgefüge werden in Frage gestellt. Ärgerlich ist, dass Preti Taneja – oder ihr Verlag - offenkundig davon ausgehen, dass ihre Leser zahlreiche Hindiredewendungen kennen. Sie werden nur selten übersetzt. Das Glossar ist dürftig. Das schmälert den Genuss an der Geschichte. Die erzählt Preti Taneja feurig, wortgewaltig und erfindungsreich mit viel Sinn für Spannung, Dramatik und auch Komik. Preti Taneja ist eine Entdeckung, schon jetzt ein literarisches Schwergewicht.

Preti Taneja: Wir, die wir jung sind
Aus dem Englischen Claudia Wenner
C.H.Beck Verlag, München 2019
618 Seiten, 26 Euro

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