Deutscher Historiker: Republikaner profitieren von Guantánamo

Manfred Berg im Gespräch mit Stephan Karkowsky |
Barack Obama wollte das US-Lager Guantánamo schließen, doch bis heute werden dort noch immer 168 Menschen festgehalten, jeder zweite ohne Anklage. Für die Republikaner bedeutet das Fortbestehen des Unrechtslagers eine "Win-Win-Situation", sagt der Historiker Manfred Berg.
Stephan Karkowsky: Seine [Roosevelts] Frau Eleanor war Mitautorin der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. US-Präsident Roosevelt selbst dagegen war 1942 vor allem eins: Er war Oberster Feldherr im Krieg gegen Nazi-Deutschland. Wer mit dem Feind kollaborierte, hatte seine Menschenrechte verspielt. Das machte Roosevelt heute vor 70 Jahren sehr deutlich, als erstmals Zivilisten von einem US-Militärgericht als ungesetzliche Kombattanten eingestuft und hingerichtet wurden. Ob sich dieses Verfahren vergleichen lässt mit der aktuellen Lage in Guantánamo, darüber möchte ich mit dem Amerikahistoriker Professor Manfred Berg sprechen von der Universität Heidelberg. Guten Morgen, Herr Berg!

Manfred Berg: Guten Morgen!

Karkowsky: Weiß man, ob diese Operation Pastorius eigentlich offiziell als Vorbild diente für die Einrichtung des Strafgefangenenlagers in Guantánamo, oder braucht man keine Vorbilder, um Recht zu brechen?

Berg: Also, zumindest wurde der aus der Operation hervorgehende Fall, den der Supreme Court entscheiden musste, also, Ex parte Quirin, immer wieder im Zusammenhang mit der Rechtmäßigkeit von Guantánamo und dem Konzept der sogenannten ungesetzlichen Kombattanten vorgebracht. Insofern ist hier durchaus eine gewisse Kontinuität zu konstatieren. Die Bush-Regierung hat sich immer darauf berufen, dass der Oberste Gerichtshof in Quirin dem Präsidenten als Oberbefehlshaber weitreichende Vollmachten zur Schaffung von Militärgerichten gab, und zwar Vollmachten, die nicht vom Kongress abhängig waren. Und Quirin – und das ist ganz wichtig – hat den Begriff des ungesetzlichen Kämpfers verwendet. Insofern berief sich dann auch die Anordnung zur Schaffung von Militärtribunalen Ende 2001 auf diesen Fall als Präzendenzfall. Es gab damals, wenn ich mich recht entsinne, sogar Stimmen, die behaupteten, dieser Präzedenzfall Quirin rechtfertige sogar die Anordnung summarischer Exekutionen. Denn es ist ja so, dass die deutschen Saboteure seinerzeit mehrheitlich hingerichtet wurden.

Karkowsky: Gehen Sie denn wirklich davon aus, dass man hier schon eine Kontinuität feststellen kann? Ein Vorfall vor 70 Jahren und dann später erst in Guantánamo? Oder ist da in der Zwischenzeit mehr passiert, von dem wir vielleicht gar nichts ahnen?

Berg: Es geht ja nur darum, dass hier eine rechtliche Kontinuität konstruiert wird. Präzendenzfälle sind im amerikanischen Recht extrem wichtig und insofern war es mehr oder weniger zwangsläufig, dass die Juristen der amerikanischen Regierungen auf diesen Fall zurückgreifen würden. Man muss grundsätzlich davon ausgehen, dass Kriege und Terrorakte insbesondere des Ausmaßes, wie wir sie nach dem 11. September 2001 erlebt haben, in keinem Land der Rechtsstaatlichkeit zuträglich sind und dass sie in der Regel zu Ausnahmegesetzgebungen und Sondervollmachten für die Exekutive führen.

Karkowsky: Aber das sind ja meist nur kurzfristige Phänomene, da könnte man fragen, warum es denn unter den US-Juristen keine stärkere Opposition gibt gegen eine Willkürjustiz, die ja die USA weltweit Sympathien kostet und jetzt schon viele Jahre anhält?

Berg: Also, dass es keine Opposition gegeben hat, diese These würde ich nicht teilen. Es ist zum Beispiel so, dass die amerikanische Anwaltsvereinigung, also, die American Bar Association, ganz explizit argumentiert hat, dass dieser Quirin-Fall eben nicht als Rechtfertigung dafür herangezogen werden könne, Gefangene dauerhaft und ohne Anklage und ohne rechtliches Gehör zu internieren. Es hat immer deutliche Proteste gegeben vonseiten amerikanischer Juristen, vor allem dagegen, dass die Bush-Regierung ja etwas ganz Ungewöhnliches wollte. Sie hat nämlich versucht, in Guantánamo einen im wörtlichen Sinne rechtsfreien Raum zu schaffen, in dem weder amerikanisches Recht, amerikanisches Zivilrecht, noch völkerrechtliche Normen gelten sollten. Und das hat im Übrigen auch – das muss man auch in Erinnerung rufen – der Oberste Gerichtshof zwischen 2004 und 2008 in mehreren Entscheidungen eindeutig bestritten und festgestellt, dass die in Guantánamo Inhaftierten durchaus Rechte nach der Genfer Konvention und der US-Verfassung haben.

Karkowsky: Die sie nur wahrnehmen können müssen. Und daran sind sie ja lange genug gehindert worden. Was glauben Sie denn, warum auch die Proteste der amerikanischen Anwaltsvereinigung keine Erfolg hatten bei der Auflösung von Guantánamo?

Berg: Also, die Auflösung von Guantánamo, die Barack Obama ja versprochen hat, die scheitert aus meiner Sicht nun vor allem daran, dass Obama im amerikanischen Kongress keine Mehrheiten hatte und hat. Das reflektiert wiederum den Umstand, dass die Mehrheit der Amerikaner keine Terroristen im Land will und dass die Abschiebung ins Ausland sehr schwierig ist. Obama hatte ja direkt nach seinem Amtsantritt angekündigt, dass er das Lager schließen wolle. Der Grund dafür, dass es bisher noch nicht geschehen ist, dass Senatsmehrheiten jeweils Zusätze zu Gesetzen verabschiedet haben, die verhindern, dass die Gefangenen verlegt werden, also genau genommen die Finanzmittel dafür blockieren. Und um diesen Widerstand zu brechen, müsste Obama gegen seinen eigenen Verteidigungshaushalt ein Budget einlegen. Das kann er nicht tun. Insofern ist es für Obama seit 2009 eine ausgesprochen schwierige Situation gewesen.

Karkowsky: Was sagt das aus über die Macht eines amerikanischen Präsidenten, den die Deutschen ja immer noch für den mächtigsten Mann der Welt halten?

Berg: Das ist ein Mythos aus dem Kalten Krieg. Der amerikanische Präsident ist selbstverständlich im Hinblick auf gesetzliche Vorhaben vom amerikanischen Kongress abhängig und wir haben ja – das ist nicht neu –, aber vor allem eben seit 2010 die Situation des sogenannten Divided Government. Das heißt also, der Präsident gehört einer Partei, der demokratischen Partei an, und im Kongress gibt es Mehrheiten der Oppositionspartei. Das war früher nicht so schlimm, weil man in der Regel in vielen Fragen Konsens gefunden hat. Aber das hat sich ja heute im Zeichen der Polarisierung des amerikanischen Parteiensystems und der amerikanischen politischen Kultur sehr stark geändert. Man muss einfach auch ganz klar sehen: Für die Republikaner ist Guantánamo eine Win-win-Situation in dem Sinne, dass sie hier die Möglichkeit haben, ein Wahlversprechen Obamas zu blockieren und im Übrigen natürlich auch sich auf den Standpunkt stellen können vor der amerikanischen Öffentlichkeit, sie verhinderten, dass gefährliche Gefangene in die USA verbracht werden. Das ist etwas, was die Mehrheit der Amerikaner nicht will, obwohl es rational kaum einzusehen ist, warum die USA nicht etwa 70 bis 80 Gefangene – denn um die geht es etwa in den USA – in Gefängnissen sicher unterbringen und in den USA dann vor Gericht stellen könnte.

Karkowsky: Heute vor 70 Jahren wurde der Begriff des ungesetzlichen Kombattanten geprägt, in der Operation Pastorius wurden die Urteile gesprochen und Hinrichtungen erfolgten in den USA. Sie hörten zum Vergleich mit Guantánamo den Heidelberger Amerikahistoriker Professor Manfred Berg. Herr Berg, vielen Dank!

Berg: Bitte sehr, auf Wiederhören!


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