Deutsche Schlüsselfigur

Vorgestellt von Felix Florian Weyh · 16.04.2006
Andreas Platthaus interessiert in seiner Biographie Alfred Herrhausens nicht das abrupte, gewaltvolle Ende einer außergewöhnlichen Karriere, sondern deren vorangegangenes Gelingen. Das Buch könnte intellektuell spannend sein - leider ist es das nicht. Sondern bis zur Biederkeit rechtschaffen.
"Ich, der unterzeichnende Alfred Herrhausen, Solingen, Schloss Caspersbroich, erkläre: Für den Fall meiner Entführung bitte ich auf unverantwortliche Erpressungen, die sich gegen den demokratischen Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland richten, nicht einzugehen. Solingen, den 11. September 1977."

Ein Briefumschlag, der den deutschen Herbst verschlossen überstand. So gelangte das mutige Vermächtnis aus unruhigen Zeiten erst zwölf Jahre später zur Kenntnis der Betroffenen. Die Erste, die es dann lesen musste, war soeben Witwe geworden und hatte gar nicht die Chance, auf Erpressungen irgendwelcher Art reagieren zu können. Denn im November 1989 war Deutschlands mächtigster und zugleich in den eigenen Reihen umstrittenster Bankier von Terroristen der RAF in die Luft gesprengt worden – ohne Entführung.

Bis heute lädt das unaufgeklärte Verbrechen zu Verschwörungstheorien ein, denen Andreas Platthaus allerdings kaum Platz einräumt. Ihn interessiert in seiner Biographie Alfred Herrhausens nicht das abrupte, gewaltvolle Ende einer außergewöhnlichen Karriere, sondern deren vorangegangenes Gelingen. Ein Mann aus kleinbürgerlichem Hause in Essen, Jahrgang 1930, der Kraft seiner intellektuellen Fähigkeiten und einer gezielten Eliteförderung weiter aufstieg als alle anderen Generationsgenossen. Bei dieser Geburtskohorte könnte man allerdings insgesamt von einer "Gnade der passenden Geburt" sprechen, denn der untergehende NS-Staat hinterließ 1945, so Platthaus in Anlehnung an den Historiker Hans-Ulrich Wehler:

"… eine leistungsbereite junge Elite, die nicht mehr dazu gekommen war, sich im Krieg zu bewähren, und deshalb nun um so mehr danach strebte, ihre Befähigungen unter Beweis zu stellen."

Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen: Der Schüler der NS-Eliteanstalt im bayrischen Feldafing, Alfred Herrhausen, war als Erwachsener ein lupenreiner, ja begeisterter Demokrat: Entscheidungsfreiheit in Wirtschaft und Politik galten ihm als unverrückbare Wohlfahrtsgaranten für jede Gesellschaft. Dennoch ist sein Lebensweg ohne die frühe Umschmeichelung als künftiger Retter der Nation – als die heranwachsende Eliten in jedem System gelten – kaum zu erklären. Diese Erziehung stützte den dominanten Charakterzug, den Edzard Reuter so beschreibt:

"Herrhausen war immer davon überzeugt, dass man nur seine Sicht der Dinge haben konnte. Denn er hatte ja dieses Ideal vom richtigen Denken. Das führte zu Irritationen, nicht nur bei Außenstehenden, sondern auch im Bankvorstand selbst."

Das richtige, durch nüchternen Intellekt zu genau einer Lösung kommende Denken bildete das Fundament von Herrhausens Selbstverständnis, selber stets der richtige Mann am richtigen Ort zu sein. Dabei war er für viele Bankierskollegen genau das gerade nicht: Er kam nämlich – durch Heirat früh protegiert – von der kommunalen Energiewirtschaft, weswegen ihn die Banker abschätzig "den Elektriker" nannten. In der hierarchisch geprägten und in Traditionen erstarrten Deutschen Bank war er nicht nur ein Seiteneinsteiger, sondern auch ein Exot – freilich ein Exot an der Spitze, was nicht folgenlos bleiben konnte. Dort machte er nämlich eine Forderung wahr, die er einer anderer Firma, Daimler-Benz, ins Stammbuch schrieb:

"Ein Unternehmen, das sich entwickelt, braucht alle fünfzehn bis zwanzig Jahre so etwas wie eine kleine Kulturrevolution."

Die Kulturrevolution der Deutschen Bank, ja des deutschen Bankgewerbes insgesamt, hieß in den 80er-Jahren Alfred Herrhausen. Als er ermordet wurde, stand das größte deutsche Geldhaus vor einer radikalen Neustrukturierung, die dann rasch wieder abgeblasen wurde. Die Vorstellungen des kühnen Kapitalismusvisionärs, Entwicklungsländer zu entschulden, brauchte fast zwanzig Jahre, bis sie in Teilen von der Politik – und keineswegs vom privaten Bankengewerbe – realisiert wurde.

Nur die systemkonformen Anteile in Herrhausens Konzepten überdauerten ihn, wie all jene finanzmarktspezifischen Entwicklungen, die das korporatistische System des "Rheinischen Kapitalismus" beschleunigten und schließlich ganz untergehen ließen. Josef Ackermanns kühnes Ziel einer 25-prozentigen Jahresrendite folgt etwa ganz den ehrgeizigen Vorstellungen Herrhausens aus den 80ern – nur dass dieser mit einem langjährigen Jahresgehalt von 1,4 Millionen Mark aus heutiger Sicht ein armer Tropf gewesen ist.

Vor allem aber dachte er stets gesamtgesellschaftlich. Das "Deutsche" im Namen seiner Bank war ihm nicht bloß Zeichenbestandteil eines Markensignets, sondern Verpflichtung. Daran erinnert zu werden, muss für heutige Vorstände des Geldhauses beinahe verschroben wirken.

"Er verkörperte den Kapitalismus als Intelligenz"

… hat einst ein kluger Journalist über ihn geschrieben, und also müsste eine Herrhausen-Biographie intellektuell spannend sein. Sie ist es – leider! – nicht, sondern bis zur Biederkeit rechtschaffen, als zwinge sich der Feuilletonredakteur Andreas Platthaus in jenen Konfirmationsanzug hinein, den er einst als Deutsche-Bank-Lehrling trug. Platthaus verzichtet weitgehend auf Interpretationen, auf Spekulationen sowieso, und vermag aus mannigfaltigen Interviews mit Herrhausen-Kennern keine wirklich lebendige Figur erstehen zu lassen. Vor allem jene Schilderungen wirtschaftlicher Innovationen und Reformen, die das Außergewöhnliche an Herrhausens Wirken ausmachen, geraten ihm nur komplex, aber nicht anschaulich.

Dennoch bleibt es ein materialreiches Dokument über eine deutsche Schlüsselfigur, aus dem Eliteforscher aufschlussreiches Material über die Durchlässigkeit der Gesellschaft gewinnen mögen. Es taugte aber auch zur Jahresgabe der Deutschen Bank. Eckte der Biografierte zeitlebens bei seinen eigenen Leuten an, tut es die Biografie durchaus nicht.


Andreas Platthaus: Alfred Herrhausen – Eine deutsche Karriere
Rowohlt Verlag, Berlin 2006