Deutsche im Dschihad
Wer seinen Glauben wechselt, ist in seinen Überzeugungen in der Regel strenger, radikaler, fundamentaler als ein Gläubiger, der in seine Religion hineingeboren wurde. Der Konvertit will sich und anderen beweisen, dass er auch als neu Hinzugekommener kein Glaubender minderen Werts ist.
Dieser psychologische Mechanismus lässt sich in vielen Religionen beobachten, im Christentum ebenso wie im Islam. Er hat jedoch inzwischen eine für die Sicherheit der Bundesrepublik relevante Bedeutung erlangt, seit sich zum Islam konvertierte Deutsche islamistischen Gruppen anschließen. Vor kurzem wurde bekannt, dass die Polizei in Berlin und in Süddeutschland auf drei Frauen gestoßen war, die in Internet-Foren Selbstmordattentate im Irak und in Pakistan angekündigt hatten. Eine Berlinerin wollte sogar ihren zweijährigen Sohn mit in den Dschihad nehmen. Bei den drei Frauen handelt es sich um Deutsche, die Partnerschaften mit Muslimen eingegangen und zum Islam übergetreten waren.
Die Berliner Muslimin verfasste für einen Internet-Chatroom eine Botschaft, die in der für Islamisten typischen verklausulierten Sprache gehalten war. "Ich will Euch bitten", schrieb sie, "für mich und mein Baby zu beten, dass Allah, der Gepriesene, uns für das Paradies akzeptieren wird." Ob die drei Frauen wirklich vorhatten, ihre Ankündigungen in die Tat umzusetzen, oder ob es sich um letztlich folgenlose religiöse Wahnvorstellungen handelte, blieb offen. Die Polizei allerdings ging kein Risiko ein und sprach die Konvertitinnen an. Die Berlinerin wurde vorübergehend in die Psychiatrie eingewiesen, ihr Sohn kam in eine Pflegefamilie.
Es war Zufall, dass die Frauen überhaupt auffielen. Polizei und Geheimdiensten fehlt das Personal, um das Internet systematisch zu durchforsten. Die Polizei hat überdies keine Handhabe, Deutsche am Verlassen der Bundesrepublik zu hindern, solange nicht eindeutige Beweise vorliegen. So reiste im März 2002 der 24-jährige Konvertit Thomas Fischer aus Blaubeuren bei Ulm unbehelligt nach Tschetschenien, um sich dem Kampf der muslimischen Rebellen gegen die russischen Streitkräfte anzuschliessen. Er gab sich den Kampfnamen "Hamza" – Löwe. Im November 2002 wurde er bei einem Feuergefecht mit russischen Truppen getötet.
Hinter der Entscheidung für den Dschihad stand weder bei dem jungen Schwaben noch bei den drei Frauen eine große Organisation, die Kandidaten anwarb und für einen Einsatz als Glaubenskämpfer ausbildete. Konvertiten, die in den Heiligen Krieg ziehen wollen, sind Einzelgänger. Zur Realität in einem Einwanderungsland wie der Bundesrepublik gehört aber, dass sie für ihr Vorhaben Ansprechpartner finden, die ihnen helfen, ihren Plan in die Wirklichkeit umzusetzen. Solche Vermittler lernt man in Moscheen kennen oder im Internet. "Hamza" Fischer verkehrte in Ulm in türkischen Kreisen, die ihm den Weg in die Türkei und von dort aus nach Tschetschenien bahnten.
Konvertierte Deutsche spielen in islamistischen Zirkeln der Bundesrepublik eine wachsende Rolle. So wurde in Ulm ein dem orthodoxen Islam saudischer Prägung nahe stehendes Zentrum von Deutschen mitbegründet. Islamistische Schriften werden zunehmend aus dem Arabischen übersetzt, auch die Zahl einschlägiger Internet-Seiten in deutscher Sprache steigt. Viele der Konvertiten, die später mit dem Gesetz in Konflikt geraten, treten in einer schwierigen Lebensphase zum Islam über. Der Islam mit seinen klaren Regeln verspricht in solchen Fällen vielfach Halt. Die Radikalisierung ist dann ein längerer Prozess, der durch das Selbststudium von Propagandamaterial und – nicht weniger wichtig – durch den Kontakt zu Gleichgesinnten gefördert wird.
Selbst unter fundamentalistischen Konvertiten sind die wenigsten gewaltbereit, doch weder dem Christentum noch dem Islam ist der Gedanke des Märtyrertums fremd. Während im säkularen Europa die Selbstaufopferung aus religiösen Motiven vom Heldentod fürs Vaterland abgelöst wurde, erlebt sie im Orient seit den achtziger Jahren eine Renaissance. Lange vor El Kaida setzten schiitische Milizen im Libanon Selbstmordattentäter ein, vor allem palästinensische und tschetschenische Terroristen rekrutieren auch Frauen für den mörderischen Freitod. Dass die Idee des Märtyrertums über den nahöstlichen Umweg nach Europa zurückkehrt, gehört zu den Eigentümlichkeiten unserer Welt zwischen Globalisierung und dem Kampf der Kulturen.
Eric Gujer, 1962 in Zürich geboren, hat in Freiburg (Breisgau) und Köln Geschichte, Politik und Slawistik studiert. Die Wende in der DDR erlebte er als Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung in Ost-Berlin. Nach einem Intermezzo in Jerusalem und der Redaktion in Zürich ging er für die NZZ nach Moskau, wo er wie in Ostdeutschland mit den besonderen Problemen einer postkommunistischen Gesellschaft im Übergang konfrontiert wurde. Seit 1998 ist er wieder in Berlin, diesmal als politischer Korrespondent für ganz Deutschland.
Die Berliner Muslimin verfasste für einen Internet-Chatroom eine Botschaft, die in der für Islamisten typischen verklausulierten Sprache gehalten war. "Ich will Euch bitten", schrieb sie, "für mich und mein Baby zu beten, dass Allah, der Gepriesene, uns für das Paradies akzeptieren wird." Ob die drei Frauen wirklich vorhatten, ihre Ankündigungen in die Tat umzusetzen, oder ob es sich um letztlich folgenlose religiöse Wahnvorstellungen handelte, blieb offen. Die Polizei allerdings ging kein Risiko ein und sprach die Konvertitinnen an. Die Berlinerin wurde vorübergehend in die Psychiatrie eingewiesen, ihr Sohn kam in eine Pflegefamilie.
Es war Zufall, dass die Frauen überhaupt auffielen. Polizei und Geheimdiensten fehlt das Personal, um das Internet systematisch zu durchforsten. Die Polizei hat überdies keine Handhabe, Deutsche am Verlassen der Bundesrepublik zu hindern, solange nicht eindeutige Beweise vorliegen. So reiste im März 2002 der 24-jährige Konvertit Thomas Fischer aus Blaubeuren bei Ulm unbehelligt nach Tschetschenien, um sich dem Kampf der muslimischen Rebellen gegen die russischen Streitkräfte anzuschliessen. Er gab sich den Kampfnamen "Hamza" – Löwe. Im November 2002 wurde er bei einem Feuergefecht mit russischen Truppen getötet.
Hinter der Entscheidung für den Dschihad stand weder bei dem jungen Schwaben noch bei den drei Frauen eine große Organisation, die Kandidaten anwarb und für einen Einsatz als Glaubenskämpfer ausbildete. Konvertiten, die in den Heiligen Krieg ziehen wollen, sind Einzelgänger. Zur Realität in einem Einwanderungsland wie der Bundesrepublik gehört aber, dass sie für ihr Vorhaben Ansprechpartner finden, die ihnen helfen, ihren Plan in die Wirklichkeit umzusetzen. Solche Vermittler lernt man in Moscheen kennen oder im Internet. "Hamza" Fischer verkehrte in Ulm in türkischen Kreisen, die ihm den Weg in die Türkei und von dort aus nach Tschetschenien bahnten.
Konvertierte Deutsche spielen in islamistischen Zirkeln der Bundesrepublik eine wachsende Rolle. So wurde in Ulm ein dem orthodoxen Islam saudischer Prägung nahe stehendes Zentrum von Deutschen mitbegründet. Islamistische Schriften werden zunehmend aus dem Arabischen übersetzt, auch die Zahl einschlägiger Internet-Seiten in deutscher Sprache steigt. Viele der Konvertiten, die später mit dem Gesetz in Konflikt geraten, treten in einer schwierigen Lebensphase zum Islam über. Der Islam mit seinen klaren Regeln verspricht in solchen Fällen vielfach Halt. Die Radikalisierung ist dann ein längerer Prozess, der durch das Selbststudium von Propagandamaterial und – nicht weniger wichtig – durch den Kontakt zu Gleichgesinnten gefördert wird.
Selbst unter fundamentalistischen Konvertiten sind die wenigsten gewaltbereit, doch weder dem Christentum noch dem Islam ist der Gedanke des Märtyrertums fremd. Während im säkularen Europa die Selbstaufopferung aus religiösen Motiven vom Heldentod fürs Vaterland abgelöst wurde, erlebt sie im Orient seit den achtziger Jahren eine Renaissance. Lange vor El Kaida setzten schiitische Milizen im Libanon Selbstmordattentäter ein, vor allem palästinensische und tschetschenische Terroristen rekrutieren auch Frauen für den mörderischen Freitod. Dass die Idee des Märtyrertums über den nahöstlichen Umweg nach Europa zurückkehrt, gehört zu den Eigentümlichkeiten unserer Welt zwischen Globalisierung und dem Kampf der Kulturen.
Eric Gujer, 1962 in Zürich geboren, hat in Freiburg (Breisgau) und Köln Geschichte, Politik und Slawistik studiert. Die Wende in der DDR erlebte er als Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung in Ost-Berlin. Nach einem Intermezzo in Jerusalem und der Redaktion in Zürich ging er für die NZZ nach Moskau, wo er wie in Ostdeutschland mit den besonderen Problemen einer postkommunistischen Gesellschaft im Übergang konfrontiert wurde. Seit 1998 ist er wieder in Berlin, diesmal als politischer Korrespondent für ganz Deutschland.