Deutsche Hospiz Stiftung: Sterbebegleitung nicht im Strafrecht verankern

Moderation: Matthias Hanselmann · 20.09.2006
Der geschäftsführende Vorstand der Deutschen Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, hat davor gewarnt, die Sterbebegleitung im Strafrecht zu verankern. Stattdessen plädierte er für eine Einzelfallentscheidung durch die Gerichte.
Matthias Hanselmann: Wir begrüßen Eugen Brysch vom Vorstand Deutsche Hospiz Stiftung, die sich bundesweit dem Patientenschutz für Schwerstkranke und Sterbende widmet. Guten Morgen Herr Brysch!

Eugen Brysch: Einen schönen guten Morgen, Herr Hanselmann!

Hanselmann: Herr Brysch ein verzweifelter, schwer leidender Mensch möchte seinem Leben ein Ende setzen, bisher ist zum Beispiel ein Arzt, der dazukommt, verpflichtet diesen Menschen zu retten, also genau das zu tun, was der Mensch nicht mehr wollte, nämlich ihn wieder zu einem Lebenden und Leidenden zu machen. Bisher wird bestraft, wer solch eine Hilfeleistung bewusst unterlässt, sprich den Menschen, der sich umbringen wollte, auch sterben lässt. Was sagen Sie dazu?

Brysch: Also, Sie haben Recht. Es ist entsetzlich, dass hunderttausendfach in Deutschland das Selbstbestimmungsrecht missachtet wird und zwar indem man Menschen leiden lässt. Die Frage ist nur, ob Töten die Konsequenz ist oder nicht eine umfassende, qualifizierte Sterbebegleitung, die nur rund zwei Prozent der Sterbenden in Deutschland bekommen.

Hanselmann: Aber wenn die Versorgungsstrukturen, die ärztliche Begleitung verbessert würde, hätten wir es dennoch aber mit Sterbenden zu tun und immer auch mit Menschen, die über ihr Leben selbst bestimmen wollen und folglich zum Beispiel auch aus demselben scheiden wollen. Was ist für Sie denn letztlich Patientenautonomie?

Brysch: Sie haben in dem Punkt der Patientenautonomie einen entscheidenden Faktor in die Frage eingewoben. Es geht doch darum, dass ich auch selbst entscheiden muss und kann, jetzt möchte ich keine intensive Therapie mehr haben. Tatsächlich wird in Deutschland aber nur intensive Therapie abbrechenbar gemacht. Ich habe ja in der Praxis gar nicht die Chance, eine Alternative, eine andere Form einzufordern. Deswegen sagen wir, auch für den deutschen Juristentag, das ist kein strafrechtliches Problem.

Wir brauchen nicht neue Kategorien der Sterbehilfe, sondern wir brauchen einen Rechtsanspruch, auch nein sagen zu dürfen und dafür ist auch ein Arzt verpflichtet, Sterbebegleitung dann, wenn der Patient es wünscht, auch zu realisieren, das heißt Therapie der Quälerei zu unterbleiben und Therapie der Begleitung tatsächlich Wirklichkeit werden zu lassen. Was wir fordern, ist nicht ein Rückzug der Medizin, was wir fordern, ist nicht ein Rückzug der Gesellschaft oder der Pflege, sondern endlich wahrnehmen, dass es Rechte gibt als Patient und auch das Recht auf Sterben gehört dazu, ohne getötet werden zu müssen.

Hanselmann: Aber die Vorschläge jetzt auf dem deutschen Juristentag sollen doch genau darauf hinauslaufen. Sie sollen Ärzte und andere Helfer rausnehmen aus der kriminellen Ecke, rausholen, um ihnen auch die Unsicherheit zu nehmen, wann und wie sie beim Sterben helfen können.

Brysch: Ja, das ist eine außerordentlich theoretische Diskussion. Das hören wir oft, dass viele Angst vor Rechtsnormen haben. In der Praxis erleben wir, dass es vielleicht zehn Fälle in Deutschland gibt, in den letzten zwei Jahren, wo wir genau darüber diskutieren, war es Tötung auf Verlangen, war es begleiteter Suizid.

In Wirklichkeit ist die Realität doch eine andere. Wir erleben Pflegenotstand in den Pflegeheimen. Wir erleben in unseren Krankenhäusern eingeführte Fallpauschalen, die genau für unsere Patienten, die wir vertreten, keinen Raum mehr bieten und deswegen sagen wir, wir sind gefordert nicht die Phantasie zur Entwicklung, möglichst schöne Normen zu entwickeln, um getötet zu werden, sondern wir sind aufgefordert die Bedingung des Sterbens in den Blickpunkt zu packen. Übrigens nicht nur für die letzten zwei Tage, sondern oft geht es hier um ein Leiden, das jahrelang vollzogen wird. Es ist entsetzlich, dass unsere Gesellschaft dafür keine Antwort geben will.

Hanselmann: Deswegen muss ich Sie genau an dieser Stelle fragen, welche Art des, sagen wir, vorzeitigen Aus-dem-Leben-Scheidens auf Wunsch eines Patienten akzeptieren Sie?

Brysch: Ich glaube, wir müssen die Achtung davor wieder gewinnen, dass der Suizid kein Selbstmord ist. Wenn jemand autonom die Entscheidung trifft, sich das Leben zu nehmen, dann haben wir das zu respektieren. Das ist das, wenn Sie so wollen, staatliche Pflicht, die Autonomie zu wahren…

Hanselmann: …Wenn er aber so krank ist, dass er technisch dazu nicht mehr in der Lage ist, Entschuldigung.

Brysch: Genau darum geht es. Der Staat hat die Pflicht, die Autonomie zu wahren und hat sich in diese hoheitlichen Aufgaben nicht einzumischen. Aber genau daraus wird auch nicht die Pflicht des Staates, dafür die Mittel zur Verfügung zu stellen. Es gibt in unserer Verfassung zwei Rechte, die, wenn Sie so wollen, permanent in Einklang zu bringen sind. Das geht nicht in einer Schwarzweiß-Malerei mit einigen Fällen des Einzelfalls, sondern das geht nur, indem wir beide Dinge im Auge behalten: Auf der einen Seite die wichtige Autonomie, die unser Gestalten regelt, aber auch genauso die Fürsorge.

Und ich will Ihnen etwas sagen, Herr Hanselmann, ich habe an diesem Wochenende eine Sterbebegleitung gemacht, eine Begleitung eines Menschen, den ich sehr lieb habe und ich habe mir in Vorbereitung dieses Juristentages gedacht, als er stöhnte und mich immer wieder anschaute, was ist deine größte Sorge, die Selbstbestimmung oder mein Blick, der dir deutlich macht, ich habe keine Zeit für dich, ich habe nicht die Fürsorge anzutragen. Und ich bin mehr denn je wieder in diesem praktischen Beispiel deutlich geworden, es ist die Begleitung, die gerade die Schwächsten von uns fordern, die Hilfe, die Unterstützung und nicht die Phantasie, uns möglichst schnell von ihnen zu entledigen.

Hanselmann: Wenn Sie diese Zeit hätten in ausreichender Form, könnten Sie trotzdem in die Situation kommen, dass der Mensch, um den es geht, sterben möchte, es aber nicht schafft, sich selbst aus dem Leben zu befördern?

Brysch: Herr Hanselmann, Sie sprechen den Punkt an, den Sie eben nicht gesetzlich regeln können und deswegen werben wir auf dem heutigen Juristentag nicht für eine gesetzliche Regelung, weil ich glaube, die Realität, die so genannte Möglichkeit eine Gerechtigkeit zu schaffen, lässt sich immer nur im Einzelfall und wir sehen ja, dass deutsche Gerichte auch in der Lage sind, solche Einzelfälle außerordentlich gerecht zu lösen. Es gibt Fälle in Berlin, die wir im letzten Jahr begrüßt haben, wo eine Tötung auf Verlangen straffrei gestellt wurde, weil die Gesamtumstände so waren, wie sie sind. Aber niemand käme auf die Idee Tötung auf Verlangen zu relativieren, sondern diese Einzelfallgerechtigkeit kann immer nur nicht der Gesetzgeber, sondern ein Richter herstellen.

Ich will deutlich machen, wir haben große Sorge davor, dass Menschen uns einreden wollen, dass es ein gerechtes Töten gibt, genau der Punkt, den wir auch in der Diskussion von gerechten Kriegen haben. Wir sagen nur für diejenigen, die so etwas einführen wollen, am besten noch rechtlich normiert, du trägst die Verantwortung für die entsetzlichen Kolateralschäden für die Menschen, die nie gefragt worden sind. Bei Kriegen sind es die Alten und die Frauen, und bei Tötungen auf Verlangen sind es diejenigen, die sich nicht wehren konnten, und auf das weisen wir hin.

Hanselmann: Eugen Brysch vom Vorstand der Deutschen Hospiz Stiftung zum Gutachten "Patienten-Autonomie und Strafrecht bei der Sterbebegleitung" beim 66. Deutschen Juristentag.